Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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»Allerdings, eine große Neuigkeit sogar; noch ein Klempner ist Sous-Chef geworden.«
Sie wurde sehr erregt.
»In welcher Abteilung?«
»In der Abteilung für auswärtige Erwerbungen.«
»An Stelle Ramon’s also«, sagte sie ärgerlich, »gerade die ich mir für Dich ausgedacht hatte. Und Ramon? Pensioniert?«
»Pensioniert«, stammelte er.
»Damit ist’s nun aus, mit dieser schönen Gelegenheit;« sagte sie heftig, während ihr Häubchen auf die Schulter rutschte. »Es lässt sich im Augenblick nichts machen. Und wie heisst er denn, Dein Kommissair?«
»Bonassot«.
Sie nahm die Marine-Rangliste, die sie stets zur Hand hatte, und schlug nach:
»Bonassot. -- Toulon. -- Geb. 1851. -- Kommissariats-Eleve 1871, Unter-Kommissar 1875. -- Hat er zur See gedient, der da?«
Bei dieser Frage heiterte sich Caravan’s Antlitz wieder auf. Er lachte, dass ihm der Bauch wackelte.
»Wie Balin, genau wie sein Chef Balin.«
Und mit noch stärkerem Lachen fügte er einen alten Witz hinzu, der im ganzen Ministerium kursierte:
»Man dürfte sie ja nicht einmal ausschicken, um die Marinestation Point-Du-Jour zu inspizieren; sie würden unterwegs an der Seekrankheit sterben.«
Aber sie blieb ernst, als hätte sie nichts gehört; dann murmelte sie, sich langsam am Kinn kratzend:
»Wenn man nur einen Deputierten an der Hand hätte! Wüsste die Kammer alles, was da drinnen vorgeht, so müsste das Ministerium auf der Stelle springen …«
Lautes Schreien auf der Treppe schnitt ihr die weiteren Worte ab. Marie-Louise und Philipp-August, welche von der Gasse heraufkamen, bearbeiteten sich gegenseitig auf jeder Treppenstufe mit Püffen und Fusstritten. Ihre Mutter rannte zornig heraus, nahm Jedes am Arme und stiess sie beide ins Zimmer, wobei sie sie kräftig schüttelte.
Sobald sie ihren Vater sahen, stürzten sie auf ihn los und er küsste sie lange zärtlich; dann nahm er beide auf seine Knie und plauderte mit ihnen.
Philipp-August war ein garstiger blasser Bursche, schmutzig von oben bis unten und hatte ein Gesicht wie ein Kretin. Marie-Louise glich jetzt schon sehr ihrer Mutter; sie sprach wie diese, indem sie deren Worte wiederholte und sogar ihre Gebärden nachahmte: »Was gibt’s Neues im Ministerium?«
»Dein Freund Ramon«, sagte er scherzend, »der jeden Monat bei uns isst, wird uns verlassen, Töchterchen! Ein anderer Souschef tritt an seine Stelle.«
Sie hob die Augen zu ihrem Vater empor und sagte mit einem für ihr Alter frühreifen Mitleid:
»Noch einer also, der Dir über den Kopf geklettert ist!«
Er hörte auf zu lachen und antwortete nicht; dann brachte er das Gespräch auf ein andres Thema, indem er sich zu seiner Frau wandte, die jetzt Fensterscheiben putzte:
»Der Mutter geht’s gut oben?« fragte er.
Madame Caravan hörte auf zu reiben, wandte sich um und brachte mit einem Ruck das Häubchen, welches ihr jetzt vollständig auf dem Rücken hing, wieder in Ordnung.
»Ach ja,« sagte sie mit zuckenden Lippen, »lass uns von Deiner Mutter sprechen. Sie hat mir einen netten Ärger bereitet. Denke Dir, als heute Madame Lebaudin, die Frau des Friseurs, während ich ausgegangen war, heraufkommt, um von mir ein Packet Stärke zu leihen, hat Deine Mutter sie fortgejagt und sie eine ›Bettlerin‹ geschimpft. Aber ich habe ihr meine Meinung gesagt, der Alten. Sie tat natürlich wieder, als höre sie nichts, wie immer, wenn man ihr mal die Wahrheit sagt, aber sie ist nicht tauber, weißt Du, wie ich; es ist Verstellung und weiter nichts. Der Beweis dafür ist der, dass sie sofort nach oben in ihr Zimmer gegangen ist, ohne weiter ein Wort zu reden.«
Caravan, dem diese Wendung des Gespräches peinlich war, schwieg klüglich still, zumal jetzt das Dienstmädchen meldete, es sei angerichtet. Dann nahm er, um seine Mutter hiervon zu benachrichtigen, einen Kehrbesen aus der Ecke, wo er immer ruhte, und klopfte damit dreimal an die Zimmerdecke. Hierauf ging man ins Speisezimmer und Madame Caravan jr. teilte die Suppe aus, während man auf die Mutter wartete. Diese kam jedoch nicht und die Suppe fing schon an kalt zu werden. Man begann langsam zu essen; aber als die Teller leer waren, wartete man immer noch vergebens.
»Das tut sie absichtlich«, sagte Madame Caravan ärgerlich zu ihrem Gatten, »und Du hältst ihr immer noch die Stange.«
Er fühlte sich sehr unbehaglich so zwischen zwei Lagern, und schickte Marie-Louise, um die Großmutter zu holen; dann blieb er still mit gesenkten Augen sitzen, während seine Frau mit der Messerspitze nervös an den Fuss ihres Glases klopfte.
Plötzlich öffnete sich die Türe, das Kind kam allein, schreckensbleich zurück und sagte schnell:
»Großmama liegt auf dem Fussboden!«
Mit einem Sprung stand Caravan auf, warf seine Serviette auf den Tisch und stürzte die Treppe herauf, auf der sein hastiger Schritt dröhnend widerhallte, während seine Frau, die irgend eine Bosheit ihrer Schwiegermutter vermutete, langsam und achselzuckend folgte.
Die alte Frau lag mitten im Zimmer der Länge nach auf der Erde, und als ihr Sohn sie aufrichtete, erschien sie steif und unbeweglich, ihr runzliches gelbes Gesicht war fahl, die Augen waren geschlossen, die Zähne aufeinander gepresst und alles an ihr blieb leblos.
»Meine arme Mutter, meine arme Mutter!« seufzte Caravan, der bei ihr niedergekniet war. Aber seine Frau, welche sie einen Augenblick betrachtet hatte, sagte:
»Bah! sie hat nur einen Ohnmachtsanfall; das ist alles. Sie möchte uns nur am Essen hindern, glaube mir.«
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