Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Schnell ging er nach oben und trat in das Zimmer, wo Rosalie noch in demselben tiefen Schlummer lag, in dem sie die ganze Nacht verbracht hatte. Nachdem er diese an ihre Arbeit geschickt hatte, steckte er neue Kerzen auf die Leuchter und betrachtete dann seine Mutter, während in seinem Gehirn jene vorübergehenden Spuren tieferer Gedanken, halb religiöse, halb philosophische Vorstellungen, auftauchten, welche selbst Leute von mittelmässigem Verstande beim Anblick des Todes zu empfinden pflegen.
Aber schon rief seine Frau wieder nach ihm und er stieg herunter. Sie hatte eine Liste von allem angefertigt, was am Morgen zu geschehen hätte, und überreichte nun dieses Verzeichnis ihrem verblüfften Gatten. Er las:
1. Auf der Mairie den Todesfall anzeigen;
2. den Leichenbeschauer herbei bitten;
3. den Sarg bestellen;
4. bei der Kirche vorbeigehen;
5. bei der Begräbnis-Anstalt alles bestellen;
6. bei der Druckerei Todesanzeigen bestellen;
7. zum Notar gehen;
8. den Verwandten telegrafieren.
Ferner noch eine Menge kleiner Besorgungen.
Nach kurzer Zeit nahm er seinen Hut und ging.
Dann, als die Nachricht sich verbreitet hatte, kamen allmählich die Nachbarinnen, um die Leiche zu sehen.
Beim Friseur im Erdgeschoss hatte zwischen diesem, der gerade einen Kunden rasierte, und seiner Frau über diesen Punkt sich eine kleine Szene abgespielt.
»Das war noch eine«, sagte die Frau, emsig ihren Strumpf strickend, »und eine Geizige dazu, wie es nicht leicht eine zweite gibt. Ich konnte sie nicht gut leiden, das ist wahr; aber ich werde doch wohl ’mal zu ihr hinaufgehen müssen.«
»Was für Ideen!« brummte ihr Mann, während er den Kunden einseifte. »Nur eine Frau kann auf so etwas kommen. Sie ärgern uns nicht nur, so lange sie leben; nein, auch noch im Tode müssen sie uns belästigen.«
»Es ist stärker wie ich«, entgegnete seine Frau, ohne sich um sein Gebrumme zu kümmern; »ich muss herauf! Es quält mich schon den ganzen Morgen. Ich müsste sonst zeitlebens daran denken; aber wenn ich mir ihr Gesicht gut eingeprägt habe, werde ich nachher Ruhe haben.«
Der Barbier zuckte mit den Achseln und flüsterte dem Herrn zu, dessen Backe er gerade bearbeitete:
»Ich bitte Sie, was das für Ideen sind; ja, diese Teufels-Frauen. Mir würde es wenig Freude machen, einen Toten anzuschauen.«
Aber seine Frau hatte es gehört und entgegnete munter:
»Es ist nun ’mal nicht anders.«
Dann legte sie ihren Strumpf fort und begab sich in die erste Etage hinauf.
Zwei Nachbarinnen befanden sich schon oben und plauderten mit Madame Caravan, welche ihnen genau alle Einzelnheiten erzählen musste.
Man begab sich ins Sterbezimmer. Die vier Frauen schlichen auf den Zehen herein, besprengten eine nach der andren die Bettdecke mit Weihwasser, knieten nieder, machten das Kreuzzeichen und sprachen ein kurzes Gebet; dann erhoben sie sich wieder und betrachteten lange mit weitaufgerissenen Augen, den Mund halb offen, die Leiche, während die Schwiegertochter der Toten sich bemühte, hinter ihrem vorgehaltenen Taschentuche ein herzzerbrechendes Schluchzen hervorzubringen.
Als sie sich zum Herausgehen wandte, sah sie an der Türe Marie-Louise und Philipp-August stehen, beide im Hemd, welche neugierig zuschauten. Sie vergass ihren künstlich erzeugten Schmerz und ging mit hochgehobener Hand auf sie zu, indem sie ihnen zurief:
»Marsch hinaus mit Euch, Ihr infamen Rangen!«
Zehn Minuten später stieg sie mit einer neuen Schar Nachbarinnen abermals hinauf; man besprengte wiederum die Schwiegermutter mit Weihwasser, man betete und weinte. Aber plötzlich bemerkte sie, noch ganz mit ihren Aufgaben beschäftigt, abermals die beiden Kinder hinter sich. Sie verabreichte jedem gewissenhaft eine Schelle; aber das nächste Mal gab sie darum nicht besser Acht. Bei jeder Wiederholung der Besuche folgten ihr immer wieder die beiden Nichtsnutze, knieten ebenfalls in einer Ecke nieder und machten genau alles nach, was sie die Mutter tuen sahen.
Nachmittags verminderte sich die Schar der Neugierigen etwas; schliesslich kam niemand mehr. Madame Caravan zog sich in ihr Zimmer zurück, um alle Vorbereitungen für das Leichenbegängnis zu treffen und die Tote blieb wieder allein.
Das Fenster des Sterbezimmers stand offen; eine drückende Hitze drang mit einzelnen Staubwolken durch dasselbe ein. Die Flammen der vier Kerzen in der Nähe der Toten flackerten unruhig hin und her, und auf den Decken, über das Gesicht mit den geschlossenen Augen, über die gefalteten Hände krochen kleine Fliegen, flogen fort und kamen wieder, setzten sich bald hier, bald dorthin und schienen zu erwarten, dass die Stunde ihrer Mahlzeit bald kommen werde.
Marie-Louise und Philipp-August hatten sich herausbegeben und trieben sich auf der Strasse umher. Bald waren sie von einer Schar Spielgefährten umgeben, hauptsächlich kleinen Mädchen, die mit dem aufgeweckten Sinn der Kinder am schnellsten alle Neuigkeiten in der Stadt aufgriffen. Sie fragten genau wie Erwachsene: -- »Ist Deine Großmutter tot?« -- »Ja, seit gestern Abend.« -- »Wie ist das eigentlich, wenn jemand tot ist?« -- Und Marie-Louise erzählte ihnen alles, von den Lichtern, dem Weihwedel, von der Leiche selbst. Da erwachte natürlich eine große Neugierde bei den Kindern und sie verlangten sehnsüchtig, auch in das Zimmer zu der Leiche herauf zu können. Marie-Louise arrangierte alsbald eine erste Partie, fünf Mädchen und fünf Jungens, die grössten und kühnsten. Sie mussten, um nicht entdeckt zu werden, unten an der Treppe ihre Schuhe ausziehen; die kleine Gesellschaft schlich sich ins Haus und stahl sich leise, wie eine Schar Mäuse, die Treppe herauf.
Einmal im Zimmer, ahmte das kleine Mädchen seine Mutter nach und regelte das Zeremoniell. Es führte seine Spielgefährten СКАЧАТЬ