Der Schreiberling. Patrick J. Grieser
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Название: Der Schreiberling

Автор: Patrick J. Grieser

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Der Primus

isbn: 9783947816040

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СКАЧАТЬ er hatte sie in ihrer Wolfsgestalt lichterloh brennend in das Energiefeld stürzen sehen). Hekate. Die Göttin der Wegkreuzungen. Magna Mater, die Große Mutter. Sie hatte die Seelensprinter kontrolliert und sich der tollwütigen Seemänner bedient. Wenn sie nicht mehr existierte, dann konnte auch keine ihrer Kreaturen auf diese Welt kommen und sie vernichten. Dieser Gedankengang erschien Jakob ausgesprochen logisch. Leonhard war im Besitz der Steuerkarte. Er würde niemals Seelensprinter in diese Welt schicken. Schließlich war es der Primus selbst gewesen, der ihn hierher gebracht hatte. Doch Jakob war ein junger Mann mit einem sehr hohen Sicherheitsbedürfnis. Er musste im Wald nachschauen. Erst dann würde er sich in Sicherheit wiegen.

      Hastig lief Jakob zwischen den toten Nacktschnecken vorbei in Richtung Stockwiese. Diese waren ein kleines Naturschutzgebiet, unweit von Klein-Gumpen, mit einer überschaubaren Anzahl von Wanderwegen, die ins Zentrum und in benachbarte Orte führten. Die Reichelsheimer nutzten die Stockwiese für ausgiebige Nachmittags- oder Sonntagsspaziergänge. Eine unberührte Landschaft, die die Last des Alltags für ein paar Stunden vergessen ließ. Ein kleiner Weg unscheinbar von dichten Büschen umgeben, zweigte von der Waldstraße ab und führte direkt ins Herz des Naturschutzgebietes.

      Jakob sprintete den geteerten Weg entlang. Hätte ich doch nur mein altes Fahrrad, meinen grünen Felt-Cruiser!, dachte er sehnsuchtsvoll. Früher war er immer mit dem Fahrrad durch die Stockwiese gefahren. Es tat weh, an seine alte Clique zu denken: Schnute, Mehlsack, Roland und Peter. Sie waren alle tot, hatten ihr Leben auf der Flucht vor den tollwütigen Seemännern gelassen. Der Weg führte an Wiesen, Pferdekoppeln und Bachläufen vorbei. Obwohl es sich anfühlte, als wäre er eine halbe Ewigkeit nicht mehr in der Stockwiese gewesen, achtete er trotzdem nicht auf die nähere Umgebung. Die alte Kurklinik Göttmann ragte in der Ferne wie ein schlafender Riese über die Hecken und Bäume hinweg.

      Der Weg gabelte sich nun wenige Hundert Meter vor der Kurklinik. Jakob nahm die linke Abzweigung, denn dieser Pfad führte in die Wälder. Er erinnerte sich daran, dass Dirk Wolpers – ein Schläger der Albert-Einstein-Schule – von seltsamen Schienen erzählt hatte. Wolpers, der immer zu den Fischteichen im Wald gegangen war, um dort zu kiffen, stieß damals auf diese seltsamen Bahnschienen. Sie waren auf einmal da gewesen. Was einige zunächst für einen bösen Streich hielten, entpuppte sich später als die Apokalypse schlechthin. Auf den Schienen und ihren Gleisbetten waren die Seelensprinter gekommen.

      Es schauerte Jakob noch immer bei dem Gedanken an die riesige, fast organisch wirkende Lokomotive mit dem schiefen Schornstein und den aufgeblähten Waggons, an den Rohrkessel und die Kolbendampfmaschine, die in diesem seltsamen grünlichen Licht leuchtete. Und die Seelensprinter entluden ihre unheilige Fracht in den Wäldern: die tollwütigen Seemänner … Jakob verscheuchte den Gedanken, bevor er sich bildhaft vor seinem inneren Auge manifestieren konnte. Stattdessen lenkte er seinen Aufmerksamkeitsfokus wieder nach außen. Achtsamkeit. Der Schlüssel, um negative Gedanken und Gefühle loszuwerden. Das hatte Lehrer Tempels immer gesagt. Gleich hatte er den angrenzenden Wald erreicht! Nur noch wenige Schritte.

      Als er durch die dichten dunklen Tannen trat, bemerkte er die Kälte, die ihm entgegenschlug. Es war, als hätte er eine Schwelle überschritten, den Übergang in eine andere Welt. Von den sommerlichen Temperaturen war hier zwischen den Baumriesen nichts mehr zu spüren. Obwohl er den weiten Weg gerannt war und sehr stark schwitzte, bildete sich eine Gänsehaut auf seinen Armen. Er fröstelte. Sein Schweiß fühlte sich plötzlich kalt und schmierig auf der Haut an.

      Jakob verfiel wieder in ein Lauftempo und joggte den Waldweg entlang. Schließlich gabelte sich der Weg erneut auf. Irritiert blieb er stehen und kratzte sich am Hinterkopf. Er wusste nicht mehr genau, in welcher Richtung die alten Weiher lagen.

      In seinem früheren Leben hatte er die Fischteiche stets gemieden. Sie waren das Revier von Dirk Wolpers und seinen Schlägern gewesen. Wer dort unerlaubt auftauchte, hatte eine gehörige Tracht Prügel bekommen. Instinktiv entschied er sich für den linken Pfad. Es war sein inneres Bauchgefühl, vielleicht eine Art Intuition, die ihn zu dieser Entscheidung veranlasste. Und sein Bauchgefühl sollte recht behalten.

      Nach circa zehn Minuten erreichte er das Gewässer. Das Erste, was er wahrnahm, war der unangenehme Geruch von Moder und Verwesung, der wie eine unsichtbare Wolke über dem schlammigen Wasser herrschte. Überall ragten verwitterte Baumstümpfe aus der Erde. Eine gespenstische Stille lag über dem Teich. Jakob vermisste das Quaken der Frösche, das sanfte Plätschern der Fische, wenn sie die Oberfläche durchstießen, um ein unvorsichtiges Insekt zu verschlingen. Die Wasseroberfläche war jedoch so glatt wie geschliffenes Glas.

      Langsam schritt Jakob um das faulige Gewässer herum. Auf der anderen Seite befand sich verwildertes Gebüsch. Von Weitem sah es so aus, als sei das Gestrüpp entfernt worden, um einen Weg zu bilden, der tiefer in das Herz des Waldes führte. Doch dem war nicht so bei näherem Hinsehen. Jakobs Bauch zog sich zusammen. Jetzt hast du deine Gewissheit!, flüsterte ihm seine innere Stimme zu. Auf dem Boden lagen die Bahnschienen! Deutlich größer und wuchtiger als gewöhnliche Bahnschienen auf einem aufgefüllten Schotterbett. Man konnte fast meinen die Hecken und Bäume wären zurückgewichen, um den Gleisen Platz zu machen.

      Jakob trat vor die Schienen. Jetzt erkannte er auch die Gravur, die in den Stahl eingelassen worden war. Kýrie eléison, was so viel wie Herr, erbarme dich heißt! Eine archaische Huldigung an eine Vielzahl von Göttern – in diesem Fall an die mächtigen Olympioi, die das Multiversum beherrschten und ihre Wurzeln in der griechischen Mythologie hatten.

      Die Angst schien Jakob förmlich mit dem Boden zu verwurzeln. Die Schienen waren noch da! Jakob blickte das Gleisbett entlang. Sie waren noch nicht weit ausgebaut, doch mit jeder Stunde, die verstrich, würden sie wie von Geisterhand länger werden. Vielleicht ein paar Tage noch, und sie wären lang genug, um die Seelensprinter in diese Dimension zu bringen. Fuck!

      Er überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Ein Gedanke jagte den anderen. Wenn die tollwütigen Seemänner eintrafen, dann wäre er geliefert. Normale Waffen konnten diesen Kreaturen mit ihren altertümlichen Taucheranzügen nichts anhaben. Es waren Dämonen, die nicht den irdischen Gesetzen unterworfen waren. Man konnte sie nur mithilfe von Bannzaubern und Ritualen zur Strecke bringen. Eines dieser Rituale war in einer von Dominikanermönchen geschriebenen Ausgabe des Hexenhammers verewigt worden. Es gäbe die Möglichkeit, nach Darmstadt zu fahren und in der Universitätsbibliothek den Hexenhammer an sich zu nehmen. Jakob schüttelte den Kopf. Damals waren sie als Gruppe aufgebrochen und hatten mehr Glück als Verstand gehabt, um dieses geheimnisvolle Buch in ihren Besitz zu bringen. Sie waren mehrere Personen gewesen. Außerdem hatte er den Cowboy und Simon Hauser an seiner Seite gehabt. Jetzt war er alleine. Es gab niemanden mehr, der ihn unterstützte. Und auf einmal fühlte er sich so schrecklich müde und ausgelaugt. Seine Kräfte schienen zu schwinden. Er hatte eine unglaubliche Reise hinter sich, hatte so viele Freunde verloren und war dem Tod mehr als einmal von der Schippe gesprungen. Jetzt war es genug! Er konnte nicht noch einmal das Ganze von vorne durchleben. Und es gab auch keinen Primus mehr, der ihm aus dieser sterbenden Welt bei der Flucht helfen würde. In diesem Moment fühlte er sich wie jemand, der des Lebens überdrüssig war und nur noch wollte, dass es aufhörte. Besonders groß war für ihn die Enttäuschung, dass der Primus ihn reingelegt hatte. Es war sein Todesurteil gewesen!

      Tief in Gedanken versunken lief er den Waldweg zurück zur Stockwiese. Damals hatten sie sich in der alten Kurklinik vor den tollwütigen Seemännern versteckt. Es war der ideale Unterschlupf gewesen. Die Klinik hatte über viele Jahre als Lungenheilanstalt gedient, war aber im Laufe der Zeit geschlossen worden, weil die Kurgäste ausblieben. Seit der Schließung der Kurklinik hatte sich niemand mehr um das parkähnliche Gelände gekümmert, sodass es sich mit der Zeit in ein verwildertes Areal verwandelt hatte.

      In der Kurklinik könnte er vielleicht eine Zeit lang untertauchen. So wie damals. Die tollwütigen Seemänner würden ihn in dem verfallenen Gemäuer mit seinen labyrinthartigen Gängen nicht finden. Aber wenn er sich dort versteckte, СКАЧАТЬ