Название: Ich bin, was ich bin
Автор: Claudio Honsal
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783902998064
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Zahnarzt wollte ich als Kind werden, vor diesem Beruf hatte ich Respekt. Wolfgang wollte Tierarzt werden.
„Wenn man die beiden Kleinen fragte: ‚Und was will eure Schwester einmal werden?‘“, erinnert sich Annette an einen unserer Aussprüche, „dann kam stets die Antwort: ‚Annette muss unsere beiden Praxen sauber machen!‘“
Das dürfte zwar in der Kategorie „Märchen und Legenden“ anzusiedeln sein, aber immerhin ist Annette die Einzige von uns, die sich schließlich für einen medizinischen Beruf entschieden hat. Das macht mich stolz auf sie.
Wolfgang war schon sehr früh überzeugt, dass ich einmal einen künstlerischen Beruf ergreifen würde und hat mich um meine Talente beneidet. Keine Ahnung, ob er weniger begabt war. Er hat mich etwas angehimmelt. Als großer Bruder hatte ich eine gewisse Vorbildwirkung. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, und so, wie Annette mich am Hals hatte, musste ich später meinen Bruder mitschleppen. Für ihn war es sicher eine spannende Zeit bei den diversen Schultheateraufführungen oder später bei den Auftritten mit Saitensprung.
Irgendwie wussten oder ahnten in der Familie alle – bis auf Vater – dass mich die schönen Künste begeisterten. Als ich mich nach dem Zivildienst für eine künstlerische Laufbahn entschieden hatte und bei meinem Entschluss blieb, konnte sich die gesamte Familie Kröger bald kaum noch einen anderen Beruf für mich vorstellen. Nur mein Vater war konsequent dagegen und machte das der restlichen Familie auch immer wieder klar: Von der Bundeswehr und einem anständigen Beruf träumte er für seinen Sohn, nicht von einer Karriere als Hungerleider. Lange Zeit glaubte er, ich oder später auch Wolfgang würden einmal in seinen Getränkevertrieb einsteigen und diesen weiterführen. Musiker und Tänzer waren für ihn keine Berufe. Immer wieder kam es deswegen zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen meinen Eltern. Mutter versuchte stets, ihn von der Richtigkeit meiner Entscheidung zu überzeugen. Vergeblich, er blieb stur.
„Eine Charaktereigenschaft, in der du Vater sehr ähnlich warst“, hat mir mein Bruder einmal vorgeworfen. Ich selbst habe nie eine Ähnlichkeit zu meinem Vater gesehen und wollte das auch gar nicht. Die Erinnerungen an meinen Vater sind nicht die besten, damit habe ich zu leben gelernt.
Etwas betroffen machte mich allerdings eine Aussage meiner Schwester, als sie mich in Salzburg bei The Sound of Music besuchte: „Uwe, du wirst es nicht gerne hören, aber es hat mir förmlich einen Stich ins Herz versetzt, als du als Kapitän von Trapp in Lederhosen und mit der Gitarre in der Hand, umringt von Kindern, das Lied ‚Edelweiß‘ intoniert hast. Da saß plötzlich Papa auf der Bühne, wie er leibte und lebte!“
Ich wollte nie so wie mein Vater sein
Es macht mich manchmal nachdenklich, traurig und auch wütend, wenn ich über Vater nachdenke. Mag sein, dass ich ihm optisch immer ähnlicher werde. Würde ich nicht so viel Sport betreiben, hätte ich wohl mittlerweile auch den für ihn typischen Bauch, der jedem in Erinnerung ist, wenn er an Hermann Kröger denkt.
Es ist für mich immer noch eine sehr emotionale Angelegenheit, über Vater zu sprechen. Ich wollte nie so sein wie er, empfand ihn als furchtbar. Er war jähzornig, dominant und verbreitete schlechte Laune. Er hatte eine Gabe, seine Familie einzuteilen und mit Dingen zu beschäftigen, die vor allem uns Kinder überhaupt nicht interessierten. Sobald er sah, dass wir spielten oder uns mit einem Buch, einer Zeichnung selbst beschäftigten, hat er uns nach seinen Maßstäben sinnvoll zwangsbeschäftigt. Ob mit Gartenarbeit oder dem Stapeln der Getränkekisten im Lager, egal. Es musste nach seinem Kopf gehen. Völlig sinnlos waren die ewig langen Autofahrten, wenn wir ihn bei der Auslieferung der Getränke begleiten mussten. Wolfgang und ich saßen einfach nur im Auto und warteten gelangweilt auf ihn. Hauptsache, er hatte uns um sich und konnte uns kontrollieren.
Die Ablehnung, die Distanzierung und schließlich der von mir gewollte Bruch mit meinem Vater hatten ihre Wurzeln in meinen Kindertagen. In vielen Gesprächen beteuerte meine Schwester zwar: „Uwe, du warst immer Papas Liebling, du hast es nur nicht bemerkt“, aber es war auch nie zu bemerken. Ich war der erstgeborene Sohn, der erste männliche Nachkomme und ein Wunschkind, wie mir Mutter immer versichert hat. Und das wird es wohl gewesen sein: simpler männlicher Stolz. Die Erhaltung der Familie, des Namens Kröger, war gesichert. Mein Vater hat praktisch gedacht, richtige Vaterliebe habe ich nie erfahren. Zwischen Wunsch und realem Leben liegen eben doch Welten, wahrscheinlich auch zwischen meiner Vorstellungswelt und jener meiner Schwester und meiner Mutter, denn der Realität, die ich erleben musste, entsprechen ihre Aussagen nicht.
Ich kann nicht einmal sagen, dass Vater sehr große Unterschiede in der Behandlung seiner Kinder gemacht hat. Jeder von uns hat einfach anders reagiert. Ich mache Annette keinen Vorwurf, aber den Jagdschein zum Beispiel hat sie ihm zuliebe gemacht. Ich habe heute noch ein riesiges Problem mit allem, was mit Weidmannsideologie zu tun hat, und Wild kann ich nicht einmal riechen, geschweige denn essen. Als Kinder wurden wir regelrecht dazu gezwungen, Wild zu essen. Aber ich kann heute ohne Rehbraten ganz gut leben, und es hat sich auch sonst im Laufe der Jahre vieles relativiert, das ich in meiner Sturm- und Drangphase kategorisch abgelehnt habe. Ich kombiniere die Modefarbe Grün zu allen möglichen Kleidungsstücken und assoziiere damit nicht mehr sofort das verhasste Jagdgrün aus Kindertagen. Als Wahl-Österreicher habe ich gelernt, eine zünftige Lederhose anzuziehen, nicht nur für The Sound of Music auf der Bühne. Ich fühle mich wohl darin und habe sie als lustiges, praktisches, österreichisches Accessoire für bestimmt Anlässe entdeckt.
Trotzdem denke ich viel lieber an meine Mutter Elisabeth. Sie war immer der ruhende Pol in der Familie, wirkte stets kalmierend, wenn es Probleme im Vater-Kind-Verhältnis gab. „Ihr müsst ihn verstehen, er hat es nicht leicht gehabt“, lauteten zumeist ihre beschwichtigenden Worte.
Ein Handbuch, das Söhnen vermittelt, wie sie mit ihren Vätern umzugehen haben, gibt es nicht. Unser Familienleben unterschied sich nicht von dem vieler deutscher Familien. Heute wie damals ist es ganz bestimmt nicht die Aufgabe der Kinder, herauszufinden, wie der Erzeuger tickt.
Es waren viele kleine Details, die mir ein normales Vater-Sohn-Verhältnis nie ermöglicht haben. Wir haben nie miteinander geredet. Weder, als wir noch unter einem Dach gewohnt haben, noch nachher. Kommunikation war für meinen Vater ein Fremdwort. Ich habe ihn nie gehasst, aber für gewisse Charakterzüge, die anderen Familienmitgliedern vielleicht nicht aufgefallen sind, verachtet. Immer hat er uns als glückliche, strahlende Familie seinen Jagdgesellschaften oder bei ausgelassenen Festen zuhause vorgeführt, es wurde gelacht, getanzt und fröhliche Stimmung verbreitet – wehe, wir waren schlecht drauf. Waren die Gäste aus dem Haus, legte er den Schalter um. Es herrschte absolute Interessenlosigkeit dem gegenüber, was wir Kinder machten.
Ich glaube, dass er mit mir nichts anfangen konnte, und ich mit ihm ebenfalls nicht. Es mag sein, dass ich bockig war, aber am Verhalten meines Vaters hat sich auch nicht viel verändert, nachdem ich weg war, selbst wenn meine Mutter heute noch beteuert: „Der Papa war sehr stolz auf deine Erfolge. Wir haben oft darüber geredet.“ Ich habe von diesen wundersamen, mir fremden Emotionsausbrüchen ausschließlich durch Erzählungen von Familienmitgliedern gehört, nie aus dem Mund meines Vaters, ebenso wenig wie ich die drei alles entscheidenden Worte gehört habe: „Ich liebe dich!“
Hat er mich geliebt, dieser hart arbeitende Hermann Kröger, der zwei Familien versorgen musste? Mag sein, dass er es nicht sagen und empfinden konnte, weil er es selbst nie erfahren hatte. Er war als Waisenkind aufgewachsen und von einer Familie in die nächste verpflanzt worden. Als Jugendlicher sah er seine Freunde an der Kriegsfront fallen, er selbst wurde schwer verwundet und stellte sich tot, um zu überleben.
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