Название: Ich bin, was ich bin
Автор: Claudio Honsal
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783902998064
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Den Glauben an religiöse Institutionen verlor ich schon bald. An ein antiquiertes Wesen, das man mit Wünschen und egozentrischen Fürbitten überhäufen muss, konnte ich nicht glauben. Ich glaube an eine höhere Macht als Energie- und Kraftquelle in allen Lebenssituationen. Jeder muss wissen, wie er mit seinem Gott umgeht, wie er ihn erreichen kann, aber sicher nicht durch Institutionalisierungen. Ich habe mich richtig geschämt für die Bild-Schlagzeile „Wir sind Papst!“ und zweifle sehr daran, dass selbst ein aufgeschlossener Papst wie Franziskus irgendetwas an dem mittelalterlichen System der Kirche verändern kann. Da müsste zuerst die gesamte Menschheit aus Fehlern lernen. Der Mensch ist und bleibt ein Wiederholungstäter. Die Kirche bietet die Möglichkeit der Vergebung: Du betest fünf Vaterunser und schon ist eine Tat, eine Absicht, ein Fehlverhalten nicht mehr existent. Sehr clever, aber einen Tatbestand kann man nicht wegbeten.
Das eigentliche Manko in unserer Gesellschaft ist das Fehlen jeglicher sozialer Intelligenz und Eigenverantwortlichkeit. Ab und zu bin ich einem liberalen, aufgeschlossenen katholischen Pfarrer begegnet oder habe mit strenggläubigen Fans wunderbare Gespräche über Gott und die Welt geführt, aber grundsätzlich ist es mir völlig egal, welches Buch jemand zur Hand nimmt. Mir geht es um jene entscheidenden Parallelen, die in allen Religionen gesetzmäßig verankert sind: Nächstenliebe, Respekt und ein Leben in Frieden mit sich selbst und der Welt.
Weder Frieden noch Respekt habe ich durch das Begräbnis meines Vaters erfahren dürfen. Der Pfarrer hat, obwohl er meine Eltern seit vielen Jahren kannte, am Anfang nicht einmal unseren Namen richtig ausgesprochen, die Grabrede war eine emotionslose Angelegenheit, und als negative Krönung wäre den Totengräbern beinahe der Sarg entglitten und in die Grube gerumpelt. Ein Horror. Mein Vertrauen in die Kirche wurde durch dieses nachhaltige Ereignis mit einem Schlag zerstört. Da zahlt man, wie mein Vater, ein ganzes Leben lang für ein schönes Begräbnis ein und bekommt eine erbärmliche Beerdigung.
Gleich am Tag danach bin ich aus der Kirche ausgetreten. Mein Entschluss, mit der Kirche zu brechen, war richtig, und kirchlich heiraten werde ich wohl auch nie.
Erste Schritte im Showbusiness
Saitensprung – sozialkritischer Folkrock
„Er summte ständig irgendwelche Lieder, meist von amerikanischen Songwritern wie John Denver, Simon & Garfunkel und vielen, die ich noch nicht kannte. All das, was damals eben so in war. Er konnte wesentlich besser singen als ich.“ An die 1980er-Jahre, die mein Bruder Wolfgang hier anspricht, kann ich mich noch gut erinnern, denn wir haben nicht nur im Jagdoutfit musiziert. Ich begann damals, mich intensiv mit Musik zu beschäftigen, mutierte sozusagen vom passiven Zuhörer zum Akteur. Waren es die Gene mütterlicherseits oder einfach nur der Zeitgeist?
Es war auf einer Schullandwoche an der Ostsee, als wir beschlossen, eine Band zu gründen. Bis dahin hatte ich nur im Verborgenen, zu Hause in meinem Zimmer oder in unserer Scheune, mit meinem besten Schulfreund Frank Lahme in gemütlichen Tee- oder Glühweinrunden musiziert. Meistens nur vor ein paar Freunden.
„Ausschlaggebend war wohl das Konzert von Simon & Garfunkel im Central Park im Jahr 1981. Wir hatten die Platte gekauft und hörten sie rauf und runter.“ Frank hat oft über unsere ersten Schritte als Cover-Duo gesprochen. Musikunterricht hatten wir keinen, die wichtigsten Gitarrenakkorde brachten wir uns selbst bei, und schon legten wir los mit dem Nachspielen von Songs der zeitgeistigen US-Stars. Frank und ich waren nicht so übel, wir hatten tierischen Spaß, und so beschlossen wir, mehr daraus zu machen, in Bezug auf das Repertoire, die Häufigkeit der Probentermine und vor allem in Bezug auf die Zusammensetzung der Band. Zwei Schulkolleginnen, Gabi Möller und Petra Reichelt, kamen als Zusatzstimmen in die Band. Burghardt, der Sohn eines Pastors, gesellte sich mit seinem Cello zu uns, und Uli Pika übernahm die Percussion. Wir waren eine kleine, feine und vor allem lustige Truppe, die sich an mehrstimmigem Folkrock, angesiedelt zwischen John Denver, Crosby, Stills, Nash & Young und The Mamas and the Papas, versuchte. Von Coverversionen wechselten wir schnell zu Eigenkompositionen: kritische Lieder, die sich mit damals aktuellen Themen wie dem Nato-Doppelbeschluss, den herrschenden Ängsten im Umfeld des Kalten Krieges oder dem Wertesystem, das sich die Jugend vorstellte, auseinandersetzten.
Heute muss ich etwas schmunzeln, wenn ich an die deutschen Texte unserer Songs wie „Zerstöre meine Traumwelt nicht!“ denke, doch mit diesen Protestliedern versuchten wir, die Hoffnungen, Ängste und Gedanken einer ganzen Generation zu artikulieren. Zumindest glaubten wir das.
Wir gaben uns – typisch für die 1980er-Jahre – den Namen „Saitensprung“. Es sollte ein Gag sein, denn an Franks alter Gitarre waren ständig Saiten gerissen. Vom Seitensprung in einer Beziehung hatten wir alle noch wenig Ahnung.
Frank erzählt heute noch gerne, dass ich nicht nur mit meiner Stimme, sondern besonders durch meine kaputte Blockflöte aufgefallen bin: „Das war so eine billige, um 20 DM, und ein Ton darauf kam ganz schief rüber. Exakt nach diesem schiefen Ton von Uwe wurden letztendlich die Instrumente auf 440 Hz gestimmt und die Kompositionen geschrieben.“
Uns Anfängern war das egal, wir versuchten, unser Bestes zu geben, denn an unserer Schule gab es längst richtige Rockbands mit elektrischen Instrumenten, und das war für uns ein unglaublicher Ansporn und eine Herausforderung. Warum sollten die Saitensprung-Lieder nur in der Scheune erklingen und nicht öffentlich? Die Stars waren zwar die in Jugendkreisen etablierten Rockbands, aber mit viel Proben und Ehrgeiz schafften wir es, auch mit Saitensprung vor bis zu 200 Leuten Konzerte zu spielen. Als Rockstars fühlten wir uns dabei nicht, zu wenig schillernd und progressiv waren die Auftritte unserer Unterstufen-Musikband, die anfangs unentgeltlich, dann mit lächerlichen Aufwandsentschädigungen und später durch überschaubare Einnahmen von Eintrittsgeldern belohnt wurde.
Immerhin hatte die Band ein eigenes Sparbuch, das Frank angeblich heute noch in einer Schublade aufbewahrt: „Das Kennwort lautete ‚Carlo Rabozzo‘, und die erste Einzahlung betrug 79 Mark 68 Pfennig, datiert vom 9. Dezember 1982“, erzählt er immer stolz über die allerersten Einnahmen bei einem Konzert im evangelischen Pfarrheim von Hamm.
Zu unseren Auftrittsorten, die nie weit von unseren Probenräumlichkeiten entfernt waren, fuhren wir mit dem Fahrrad, die Gitarre und das Cello hatten wir umgeschnallt. Unser Publikum war bunt durchmischt und reichte von älteren Personen bis zur Landjugend. Im Repertoire hatten wir rund 20 Songs, geschrieben von Frank und mir – nicht schlecht für Newcomer, die das gesamte erspielte Geld natürlich sofort in Musikinstrumente und Tonanlagen investierten. Bei unseren Auftritten trugen wir alle die gleichen gestreiften Zechenhemden, eine Arbeitsbekleidung aus den Bergwerken unserer Umgebung. Keine Ahnung, warum, aber wir fanden es offensichtlich hipp. In der Freizeit rannten wir alle in Turnschuhen und selbstgestrickten Norwegerpullovern herum, es war die späte Hippie-Ära. Die Haare der Jungs waren halblang – so lange, wie es die Eltern eben erlaubten. Wir wohnten ja alle noch zu Hause. Dass man von Hamm in die weite Welt hinausgehen könnte, war noch kein Thema, und die Atomkraftwerke im Umkreis und deren Gefährlichkeit kannten wir nur vom Hörensagen. Aber wir protestierten gegen Letzere mit Aufklebern wie „Atomkraft – nein, danke!“. Man war eben alternativ unterwegs.
Dazu fällt mir ein weiterer Protestsong von Frank und mir ein: „Ich bin ein Spießer und ich denk nur an mich!“ Es hatte schon einen Sinn, gegen gewisse Umstände öffentlich zu protestieren. Gebracht hat es natürlich wenig, aber СКАЧАТЬ