Название: Ich bin, was ich bin
Автор: Claudio Honsal
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783902998064
isbn:
Man kann alles verzeihen, was in der Vergangenheit passiert ist, aber diesen Vater habe ich nie kennengelernt, leider.
Meine Bezugsperson war und ist meine Mutter. Eine wunderbare Frau, ich liebe sie sehr. Das war schon immer so, obwohl ich nie ein Muttersöhnchen gewesen bin. Von uns Geschwistern habe ich sicher am intensivsten mit ihr geredet und diskutiert. Sie hatte immer ein Ohr für mich, egal wie müde sie war. Von ihr habe ich mein künstlerisches Interesse, sie ist sehr belesen und an allem interessiert, was in der Welt passiert. Sie hat von Anfang an verstanden, wie unglücklich mich das kleinbürgerliche Leben machte.
Ich habe bestimmt von beiden, Mutter und Vater, einige Eigenschaften übernommen. Natürlich hätte ich zu meinem Vater gerne ein anderes Verhältnis gehabt, aber es kam nie dazu.
Viel Positives bleibt nicht. Allerdings habe ich durch das Nachdenken über unsere Familienverhältnisse für mein eigenes Leben gelernt: Kommunikation ist mir extrem wichtig. Man muss die Dinge an- und aussprechen, vor allem, wenn es um Beziehungen geht. Bei Menschen, die mir wichtig sind, werde ich Kommunikationslosigkeit nicht mehr zulassen. Dass sich ausgerechnet mit Christopher, meinem Lebenspartner, in unserer Anfangszeit eine solche Situation anbahnte, hat damals bei mir die Alarmglocken läuten lassen. Christopher ist ein Mensch, der Problemen gerne aus dem Weg geht oder sie totschweigt. Gleich am Beginn unserer Beziehung habe ich ihm gesagt: „Du kannst mit mir streiten, du kannst mir Dinge an den Kopf werfen, aber bitte sprich sie aus und ignoriere sie nicht. Das kenne ich zur Genüge aus meiner Kindheit, und es führt letztendlich zu nichts oder ins Verderben!“
Papa ist gestorben, als ich den Tod spielte
Das Verhältnis zu meinem Vater hat tiefe Wunden in mir hinterlassen. Er war zwar stets als mahnende Figur, jedoch nie als Vater in meinem Leben präsent.
Krank und schwach war er schon lange. Aber es kam sehr plötzlich, als er am 1. März 1993 ausgerechnet bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Füttern seiner Tiere, inmitten von Gänsen, Hühnern, Schafen, Schweinen und Hunden im Garten einen Schlaganfall erlitt und starb. Vielleicht hat er sich genau so einen Abgang immer gewünscht.
So eigenartig es klingen mag, ich war weder geschockt noch übermäßig betroffen. In der Sekunde, in der ich von seinem Tod erfuhr, war eine unendliche Leere in mir, das Bewusstsein, dass zwischen mir und meinem Vater so vieles nicht ausgesprochen worden war und nun nie mehr ausgesprochen werden konnte. Vielleicht hätte man noch aufeinander zugehen können.
Etwas makaber war die Tatsache, dass ich in jenen Stunden ausgerechnet als Tod in Elisabeth auf der Bühne stand. Da macht man sich schon seine Gedanken. Es mag auch kein Zufall gewesen sein, dass ich in der Nacht davor ein ganz bestimmtes Foto meines Vaters in Händen gehalten hatte. Das hatte ich lange nicht mehr getan.
Als ich die Todesnachricht bekam, wollte ich sofort nach Hamm zu meiner Familie. Da meine Zweitbesetzung nicht aufzufinden war, blieb mir das leider verwehrt. Mein Reserve-Tod urlaubte gerade in London, habe ich später erfahren. Für mich ergab sich so eine eigenartige Ablenkung, oder womöglich eine willkommene? Ich hatte keine Zeit, um um meinen Vater zu trauern, wie an jedem Abend musste ich meine Leistung als blonder Todesengel erbringen. Mein damaliger Freund Greg ist sofort von Wien nach Hamm gefahren und hat sich um die Familie gekümmert, ich konnte erst ein paar Tage später nachkommen und Mutter, Annette und Wolfgang in meine Arme schließen.
Mit meinem Vater kam ich nicht mehr ins Reine, ihn konnte ich nicht mehr in meine Arme, in mein Herz schließen. Das brachte für lange Zeit innere Unruhe in mein Leben. Mittlerweile kann man mich aber wieder auf ihn und mein Verhältnis zu ihm ansprechen. Ich komme damit klar, habe viel daran gearbeitet und es verarbeitet. Als eine Form des Verarbeitens habe ich im Rahmen der Absolut Uwe-Tournee im Jahr 2010 das von Udo Jürgens komponierte und von Michael Kunze getextete Lied „Vater und Sohn“ gesungen.
Psychiater habe ich keine zu Rate gezogen, geholfen hat mir vielmehr einer jener vorherbestimmten Zufälle: Bei einer Premierenfeier kam eine elegante Dame, die mir vom Sehen bekannt zu sein schien, auf mich zu, gratulierte mir zum Stück und meinte dann aus heiterem Himmel: „Sie hatten wohl Probleme mit Ihrem Vater. Ich gebe Ihnen einen guten Rat, lassen Sie Ihre weibliche Seite in sich mehr zu, Sie versuchen zu hart zu sich selbst zu sein!“ Sie traf damit mein Innerstes. Wie konnte sie das wissen? Wer war sie, und was wollte sie damit sagen?
Da mir diese Begegnung keine Ruhe ließ, versuchte ich noch vor Ort mehr über sie zu erfahren. Ich erfuhr, dass es sich um eine professionelle Energetikerin handelte, und mit ihrer Analyse hatte sie recht. Wie konnte sie nur erahnen, dass ich so viel kompensiert hatte, ungemein hart geworden war, weil ich die weibliche Energie in mir verdrängt hatte? Hatte sie mir den frühen Bruch mit meinem Vater angesehen? Als wäre es gestern gewesen, weiß ich noch, wie es in genau diesem Moment „klick“ in mir gemacht hat. Die erdrückende Leere war aufgelöst, verschwunden. Als ob das Thema „Vater“ plötzlich abgeschlossen wäre.
Ich habe meinen Vater nicht wirklich gekannt, ich hatte keinen Respekt vor ihm, aber ich hätte ihn gerne besser kennengelernt. Dass uns beiden das nicht mehr gegönnt war, musste ich akzeptieren. Die Beziehung zu Papa ist für mich aufgearbeitet, und an dieser Stelle möchte ich auch jenen Gerüchten begegnen, die bisweilen aus Hobbypsychologen-Kreisen zu hören sind: Nein, ich habe nie eine Vaterfigur in meinen Freunden gesucht, und das komplizierte Verhältnis zu Papa ist sicher auch nicht der Grund dafür, dass ich schwul geworden bin!
Gleich nach dem Begräbnis bin ich aus der katholischen Kirche ausgetreten
Das Verhältnis der Familie Kröger zur römisch-katholischen Kirche war ein grundsätzlich gutes, so wie es üblich ist in kleinen Städten im Norden. In Hamm war die Aufteilung der Glaubensgemeinschaften immer ziemlich ausgeglichen mit 50 Prozent Katholiken und 50 Prozent Protestanten. Wir Kinder wurden im christlichen Sinne erzogen, so wie das auch schon bei meinen Eltern der Fall war. Wir waren nicht strenggläubig, auch der obligatorische sonntägliche Kirchgang war nicht üblich, aber wir glaubten an Gott und sahen einen Sinn in dessen weltlicher Dependance, der Kirche.
Aus dem Religionsunterricht konnte ich einiges fürs Leben mitnehmen. Was ich aber gehasst habe, war das sinnlose Auswendiglernen von Psalmen oder Gedichten. Keiner erklärte uns, warum wir das machen sollten, und so artete es in Zwang aus. Vielleicht war ich deshalb nie im Kirchenchor und habe nie als Ministrant bei einem Gottesdienst assistiert.
Im Zusammenhang mit der christlichen Lehre hat mich in meiner schwarz-weiß gefärbten jugendlichen Welt vor allem die Frage nach dem Guten und dem Bösen, nach Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit interessiert. Aber dafür habe ich schon damals nicht unbedingt die katholische Kirche benötigt. Jede Religion, ob Islam, Buddhismus oder Christentum, richtet nach gewissen Gesetzmäßigkeiten, also ist es im Prinzip ziemlich egal, an welchen Gott man glaubt. Regeln, denen man sich unterwerfen muss, haben sie alle – ob beim Chanten, beim Beten in Richtung Mekka oder bei den Ritualen im Katholizismus.
Die katholische Sichtweise „Bist du gut, kommst du in den Himmel; bist du böse, schmorst du in der Hölle“ habe ich schon früh abgelehnt. Wer sagt denn, dass es da oben über den СКАЧАТЬ