Название: Ich bin, was ich bin
Автор: Claudio Honsal
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783902998064
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„Wir hatten schöne Zeiten, mussten aber auch schwere durchstehen.“ Mutter hat die oftmals schwierige finanzielle Situation in der Aufbauphase des Betriebes in Hamm immer wieder erwähnt. Vater hatte aus seiner ersten Ehe zwei halbwüchsige Kinder zu versorgen, und so lag es größtenteils an ihr, für das leibliche und finanzielle Wohl unserer Familie aufzukommen.
Der Nachwuchs im Hause Kröger hat das Mitanpacken im Haushalt und später im väterlichen Betrieb früh gelernt. Nach der Schule erledigten Wolfgang und ich die Hausaufgaben und begannen dann mit der Auslieferung der Getränke oder arbeiteten im Kiosk mit. Schon vor der Pubertät mussten wir mehr Verantwortung übernehmen als gleichaltrige Schulkollegen. Damals haben wir das nicht als sehr prickelnd empfunden.
Ich war ein kreatives Kind
Süß, aber vor allem kreativ und künstlerisch begabt, so beschreiben mich meine Schwester und auch meine Mutter immer wieder. Mein Bruder sagte einmal zu mir: „Du warst der Künstler in unserer Familie und wurdest von allen darum beneidet. Im Gegensatz zu mir hast du nie viel Zeit ins Lernen investiert. Du bist über die Bücher einmal drübergeflogen und hattest sofort alles intus. Du hattest ein fotografisches Gedächtnis.“
Es mag sein, dass mir die Schulzeit leicht gefallen ist, aber grundsätzlich war ich stinkfaul und hätte bestimmt viel mehr erreichen können. Meine Noten waren eher im Mittelfeld angesiedelt. Die Schule hat nie mein Interesse geweckt, aber da ich mir alles gut merken konnte, brachte ich die Jahre am naturwissenschaftlichen Gymnasium von Hamm meiner Meinung nach ausgezeichnet hinter mich. Ein musisch-pädagogisches Gymnasium wäre meinen Neigungen bestimmt mehr entgegengekommen, aber es war zu weit weg von dem Ortsteil, in dem wir wohnten.
Ich kann nicht gerade sagen, dass ich damals hipp war. Ich war vielleicht beliebt bei den Lehrern und auch bei den Mädels in unserer gemischten Klasse, weil ich ruhig war, angenehm und unauffällig. Und so habe ich auch ausgesehen. Wie eine Prinz-Eisenherz-Kopie mit blonden Haaren und einem Rundschnitt. Cool war ich sicherlich nicht, aber alle mochten mich. Aufbegehrt habe ich selten, ich war kein Revoluzzer. Nur wenn es um offensichtliche Ungerechtigkeit ging, zeigte sich mein Kampfgeist. Von all den anderen Jungs in meinem Alter hat mich vor allem eines gravierend unterschieden: Ich hasste Fußball. Allein das machte mich schon zum Außenseiter. Viel lieber und mit großer Begeisterung beteiligte ich mich an anderen sportlichen Aktivitäten wie Leichtathletik. Ich glaube, ich war sogar einmal der schnellste Läufer meines Jahrgangs.
Mein wahres Interesse galt den schönen Dingen des Lebens. Am wohlsten fühlte ich mich innerhalb der Familie und in meinem Freundeskreis. Das Vertraute war meine Welt. Ich bin nicht sicher, ob sich das heute nicht immer noch ähnlich verhält. So wie damals beginne ich auch heute noch zu fremdeln, wenn ich in mir unbekannte Kreise komme. Es mag absurd klingen, aber ich fühlte mich oft als Eindringling. Privatsphäre und Harmonie waren und sind mir immer wichtig. Stets habe ich versucht, Menschen, die ich nicht kannte, mit sensiblen Fragen und Einfühlsamkeit zu erreichen. Diesbezüglich war ich privat nie ein guter Schauspieler. Man hat mir meine Gemütssituation, meine Ängste, Zu- oder Abneigung sofort am Gesichtsausdruck ansehen können.
Mit 50 hat man natürlich mehr Lebenserfahrung vorzuweisen, ist abgeklärter, aber im Grunde bin ich der kleine, schüchterne Uwe geblieben. Das Kennenlernen, eine Freundschaft hat für mich mit Respekt vor dem anderen zu tun. Man kann durchaus viel Spaß miteinander haben, aber besonders am Beginn einer Bekanntschaft oder in einem ungewohnten Umfeld habe ich immer mehr aus dem Hintergrund agiert, vorsichtig die Menschen und die Lage beobachtet, bevor ich mich geöffnet und etwas von mir preisgegeben habe. Ich denke, das hat mich bis heute vor vielen unangenehmen Überraschungen bewahrt.
Ich hasste die jagdgrüne Lagerfeuerromantik
Mein Vater war passionierter Jäger und an einem Jagdrevier in Niedersfeld im Sauerland beteiligt. An den Wochenenden musste die gesamte Familie Ausflüge in den Wald unternehmen und am Abend wurde regelmäßig musiziert.
Was daran schlimm ist? Es waren die Volks- und Weidmannslieder, die Hermann Kröger mit der Gitarre in der Hand anstimmte, der Zwang, der für mich alles überschattet hat. Die unfreiwillige Lagerfeuerromantik, wenn wir vor der spartanisch ausgerüsteten Hütte im Kreise der Familie musizierten. Mir läuft ein Schaudern über den Rücken, wenn ich mich an dieses Jagdgetue erinnere, obwohl ich im Schießen, das wir natürlich lernen mussten, ganz gut war.
Wald, Jagd, Waffen – wie sehr habe ich das gehasst. Meine Schwester hat sogar den Jagdschein gemacht. Ich war da anders. Dreck, Nässe und allein der Geruch von Wald machten mich fast wütend. Oft begann ich aus einer Trotzreaktion heraus während des Musizierens meine Wolle und Stricknadeln auszupacken und am Lagerfeuer Schals und Pullover zu stricken, nur um Vater zu provozieren.
Heute stelle ich immer öfter fest, dass ich Papa ungewollt in manchen Dingen sehr ähnlich geworden bin. Vielleicht hat er mich doch geprägt. Gerade in der Zeit, als wir Der Besuch der alten Dame in Thun spielten, habe ich die Natur, den See, die Berge und auch den Wald bewusst wahrgenommen, auf eine neue Weise entdeckt und lieben gelernt. Ich war überrascht. Vielleicht bin ich ja doch nicht der eingefleischte Stadtmensch, für den ich mich immer gehalten habe.
„Uwe ist von allen Geschwistern unserem Vater immer am ähnlichsten gewesen, nur wollte er das nie hören. Er hat auch alles unternommen, um anders zu sein.“ So urteilt mein jüngerer Bruder. Und Annette meint: „Die Farbe Grün konnten wir Kinder schon gar nicht mehr sehen, denn unser Vater rannte in der Freizeit fast ausschließlich in Weidmannstracht herum.“
Unsere Mutter, die stets auf der Seite der Kinder und besonders auf meiner stand, sorgte als flinke Schneiderin für bunten, wenn auch sehr geschwisteruniformen Ausgleich. Ich bin überzeugt, dass meine schöngeistige Neigung zur Musik und zur Kunst genetisch mütterlicherseits verwurzelt ist, die furchtbaren pseudoromantischen Hüttenabende in Vaters Revier können es wohl nicht gewesen sein.
Oft erzählte mir meine Mutter von meinem Opa: „Dein Großvater spielte mehrere Instrumente und war ein sehr weltoffener Mensch mit liberalen Einstellungen, die man damals bei uns im kleinen Hamm nicht immer teilte.“
Mein Großvater lebte lange Zeit in Berlin, und neben der Leidenschaft für die Musik lag ihm auch die bildende Kunst am Herzen, was auch mir nachgesagt wird. Ich hatte eine natürliche Begabung zum Zeichnen. In der Grundschule porträtierte ich in den damals noch verpflichtenden Handarbeitsstunden meine Klassenkollegen, und ich interessierte mich brennend für die Schneiderarbeit meiner Mutter. Es war zwar nicht sehr knabenhaft, aber ich konnte ganz passabel nähen und stricken. Für Annettes Puppen skizzierte ich den einen oder anderen Entwurf für ein Kleid, den dann zumeist meine Mutter umsetzte.
Alle haben wir mit Puppen gespielt, denn Spielzeug, wie es die Kinder heute in rauen Mengen haben, kannten wir nicht. Nach dem Abendessen fertigte ich Kohlezeichnungen oder experimentierte mit Pastellfarben.
„Schaut mal, das sind Frühwerke meines kleinen Bruders. Der kann nicht nur singen, sondern auch ziemlich gut malen und zeichnen.“ So präsentiert meine Schwester ihren Besuchern zwei Bilder von mir, die sie bei sich zuhause an der Wand hängen hat. Auf dem einen sieht man halbverspeiste Maiskolben, die ich irgendwann einmal nach dem Mittagessen mit Pastellfarben festhalten musste, und auf dem anderen zwei einander umschlingende Hände, die sich immerwährende Liebe schwören – mein Hochzeitsgeschenk an Annette und ihren Mann.
Ja, hätte ich mehr Energie in diese Kunstform investiert, vielleicht СКАЧАТЬ