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Schlaf hatte die eleganten Frisuren zerstört und die Kleider zerknittert, so boten die Frauen im hellen Tageslicht einen abstoßenden Anblick: ihre Haare hingen wirr herunter, der Ausdruck ihrer Züge hatte sich verändert, ihre strahlenden Augen waren vor Übermüdung trübe geworden. Die gelbe Haut, die bei Kerzenschein schimmerte, war abscheuerregend; die blutleeren Gesichter, so zart und weich, als sie ausgeruht waren, sahen nun grün aus; die sonst lieblichen roten Münder waren jetzt trocken und blaß und wiesen die schmählichen Spuren der Trunkenheit auf. Die Männer wichen vor den nächtlichen Geliebten zurück, die sie so allen Glanzes ledig sahen, leichenhaft, gleich zertretenen Blumen, die nach einer Prozession auf der Straße liegen. Diese hochmütigen Männer jedoch waren noch schrecklicher anzusehen. Diese menschlichen Gesichter hätten sie zurückschaudern lassen mit ihren hohlen schwarz umränderten Augen, die vom Wein umnebelt und durch einen üblen Schlaf, der mehr ermüdend als erfrischend war, getrübt, nichts wahrzunehmen schienen. Diese übernächtigten Gesichter, auf denen die physischen Triebe nackt zutage traten, ohne die Poesie, mit der unsere Seele sie schmückt, hatten etwas grauenhaft Wildes und Bestialisches an sich. Dieses Erwachen des hüllenlosen ungeschminkten Lasters, dieses entblößten, kalten, hohlen Gerippes des Bösen, das, der Sophismen des Geistes oder der Verzauberungen des Luxus beraubt, diese unverzagten Streiter entsetzte, so sehr sie auch den Kampf mit der Ausschweifung gewöhnt waren. Künstler und Kurtisanen blieben stumm und sahen verstört auf die Unordnung in den Räumen, wo das Feuer der Leidenschaft alles verheert und verwüstet hatte. Ein infernalisches Gelächter erhob sich mit einem Male, als Taillefer auf das dumpfe Röcheln seiner Gäste hin sich zur Begrüßung eine Grimasse abquälen wollte; sein rot aufgedunsenes, vor Schweiß triefendes Gesicht ließ über dieser höllischen Szene das Bild des Verbrechens ohne Reue schweben. Die Szenerie war vollständig. Das war schmutzige Vollkommenheit mitten im Luxus, eine grausige Mischung aus menschlichem Glanz und Elend, das Erwachen der Ausschweifung, wenn sie mit ihren starken Händen alle Früchte des Lebens ausgepreßt hat und nichts um sich läßt als schmachvolle Trümmer und Lügen, an die sie nicht mehr glaubt. Das Bild erinnerte an den grinsenden Tod mitten in einer pestkranken Familie: keine betäubenden Düfte und Lichter mehr; keine Heiterkeit und kein Verlangen; dafür der Überdruß mit seinen eklen Gerüchen und seiner ätzenden Philosophie; die Sonne, strahlend hell wie die Wahrheit, eine Luft, rein wie die Tugend, im Gegensatz zu der schwülen Atmosphäre, die mit widrigen Dünsten, mit dem Pesthauch einer Orgie geschwängert war! Das eine oder andere Mädchen, obwohl sie das Laster gewohnt waren, dachte wohl an ihr Erwachen von ehemals, wo sie unschuldig und rein durch ihre ländlichen Fenster, an denen Geißblatt und Rosen rankten, eine morgenfrische Landschaft im tauschimmernden Dunstkleid der aufgehenden Sonne schauten, die das freudige Schmettern der Lerche verzauberte. Andere malten sich das Frühstück in der Familie aus, den Tisch, um den in unschuldiger Freude die Kinder und der Vater saßen, wo um alles ein unbeschreiblicher Zauber lag und die Gerichte einfach waren wie die Herzen. Ein Künstler dachte an den Frieden seines Ateliers, an seine keusche Statue, an das graziöse Modell, das ihn erwartete. Ein junger Mann erinnerte sich an den Prozeß, von dem das Schicksal einer Familie abhing, und eine wichtige Verhandlung fiel ihm ein, bei der seine Gegenwart unerläßlich war. Der Gelehrte dachte mit Bedauern an sein stilles Arbeitszimmer, wohin ihn ein edles Werk rief. Fast alle waren mit sich unzufrieden. In diesem Augenblick erschien Émile, frisch und rosig, wie der schmuckste Ladendiener eines florierenden Geschäfts, und lachte.
»Ihr seid häßlicher als Gerichtsbüttel!« rief er. »Heute könnt Ihr doch nichts tun, der Tag ist verloren; ich meine, wir setzen uns zum Frühstück.«
Nach diesen Worten ging Taillefer hinaus, um das Nötige anzuordnen. Müde und mißmutig brachten die Frauen vor den Spiegeln ihre Toiletten in Ordnung. Alle schüttelten sich. Die Verderbtesten predigten den Maßvollsten Moral. Die Kurtisanen spöttelten über jene, die nicht die Kraft zu finden schienen, dieses wilde Gelage fortzusetzen. Nach einer Weile kam neues Leben in diese Gespenster, sie bildeten Gruppen, plauderten und lachten. Einige Bediente stellten geschickt und flink die Möbel und übrigen Dinge wieder auf ihren Platz. Ein üppiges Frühstück wurde aufgetragen. Die Gesellschaft stürzte in den Speisesaal. Wenngleich auch dort alles den untilgbaren Stempel der nächtlichen Ausschweifungen trug, gab es darin doch wenigstens noch eine Spur von Leben und Denken, wie in den letzten Zuckungen eines Sterbenden. Wie bei dem Fastnachtszug wurde die Saturnalie von Masken beerdigt, die, ihrer Tänze müde, ihren Rausch satt hatten und nun alles Vergnügen fad fanden, um sich die eigene Ohnmacht nicht eingestehen zu müssen. In dem Augenblick, wo diese unverzagte Gesellschaft sich um die Tafel des Kapitalisten scharte, tauchte das sanft lächelnde Beamtengesicht Cardots auf, der sich am Abend vorher klüglich nach dem Diner verdrückt hatte, um seine Orgie im Ehebett zu beschließen. Er machte eine wichtige Miene. Er schien geahnt zu haben, daß es eine Nachfolge, einen Nachlaß zu teilen, zu inventarisieren, urkundlich festzuhalten gälte, einen Nachlaß mit vielen Aktenstücken und fetten Honoraren, so saftig wie das zitternde Filet, in das der Gastgeber gerade sein Messer stach.
»Oh, oh! wir sollen im Beisein des Notars frühstücken!« rief Monsieur de Cursy.
»Sie kommen gerade zurecht, um all diese Stücke zu rubrizieren und zu paragraphieren«, sagte der Bankier zu ihm und wies auf das prächtige Frühstück.
»Es ist kein Testament zu machen, aber vielleicht Eheverträge«, meinte der Gelehrte, der seit einem Jahr glücklich verheiratet war.
»Oho!«
»Aha!«
»Einen Augenblick«, erwiderte Cardot, den ein ganzer Chor von schlechten Witzen niederschrie, »ich komme in einer ernsten Sache. Ich bringe einem von Ihnen sechs Millionen.« (Tiefes Schweigen). »Monsieur«, wandte er sich an Raphael, der eben damit beschäftigt war, sich ohne viel Umstände mit einem Zipfel seiner Serviette die Augen auszuwischen, »war Ihre Frau Mutter nicht eine geborene O’Flaharty?«