Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
Автор: Honore de Balzac
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815226
isbn:
›Wann gedenken Sie mich zu bezahlen?‹ fragen sie. Und wir sind genötigt zu lügen, einen anderen wegen Geldes anzuflehen, vor einem dummen Tropf, der auf seinem Säckel sitzt, einen Bückling zu vollführen, seinen kalten Blick, einen Blutegelblick auszuhalten, der schlimmer ist als eine Ohrfeige, sich seiner Rechenmoral und seiner krassen Unwissenheit zu beugen. Eine Schuld ist ein Werk der Phantasie, für das sie kein Verständnis haben. Ein Aufschwung der Seele reißt so manches Mal einen Menschen dazu hin, Schulden zu machen, und beherrscht ihn, während die, die im Gelde leben und nichts als das Geld kennen, von nichts Großem beherrscht, von nichts Edelmütigem geleitet werden. Ich hatte einen Abscheu vor dem Geld. Schließlich kann sich der Wechsel in einen tugendhaften Greis verwandeln, einen Familienvater. Ich war vielleicht einem lebenden Bild von Greuze51 Geld schuldig, einem Gelähmten mit einer Kinderschar oder einer Soldatenwitwe, die mir alle ihre erhobenen Hände entgegenstreckten. Furchtbare Gläubiger, mit denen wir weinen müssen und denen wir, wenn wir sie bezahlt haben, auch noch Beistand schulden. Am Abend vor dem Verfallstag hatte ich mich mit der falschen Ruhe derer schlafen gelegt, die sich auch vor ihrer Hinrichtung oder vor einem Duell immer noch in trügerischer Hoffnung wiegen. Aber als ich aufwachte, als ich kalten Blutes überlegte, als ich fühlte, wie meine Seele im Portefeuille eines Bankiers steckte, mit roter Tinte auf einer Liste voller Zahlen geschrieben stand, da sprangen mir meine Schulden von überallher wie Heuschrecken entgegen; sie saßen in meiner Uhr, meinen Sesseln oder in den Möbeln, die ich am liebsten hatte. Diese angenehmen Sklaven aus Holz und Stoff sollten also den Harpyien des Châtelet52 zur Beute fallen, sollten von Bütteln weggeschleppt und ungerührt versteigert werden. Ach, nur meine Hülle war noch ich selbst. Die Türklingel läutete in meinem Herzen, sie traf mich, wo man Könige treffen muß, am Kopf. Es war ein Martyrium, aber eins, dem kein Himmel als Lohn winkte. Jawohl, für einen Menschen, der ein Herz hat, sind Schulden die Hölle, eine Hölle mit Gerichtsvollziehern und Häschern des Schuldgerichts. Eine unbezahlte Schuld ist eine Niederträchtigkeit, ist der Anfang der Spitzbüberei und, schlimmer als all das: ist eine Lüge! Sie ist die Saat der Verbrechen, sie häuft die Bretter zum Schafott. Meine Wechsel gingen zu Protest. Drei Tage später bezahlte ich sie. Das ging so: Ein Spekulant schlug mir vor, ich sollte ihm die Insel verkaufen, die ich in der Loire besaß und auf der das Grab meiner Mutter stand. Ich willigte ein. Als ich bei dem Notar des Käufers den Vertrag unterzeichnete, spürte ich in dem dunklen Büro einen eisigen Hauch wie aus einer Gruft. Ich schauderte, als ich dieselbe feuchte Kälte spürte, die mich am Rand des Grabes erfaßt hatte, in dem mein Vater ruht. Ich nahm diesen Zufall für ein düsteres Vorzeichen. Mir war, als hörte ich die Stimme meiner Mutter und sähe ihren Schatten; eine mir unbekannte Macht ließ meinen eigenen Namen durch Glockengeläut hindurch an mein Ohr dringen. Vom Erlös meiner Insel blieben mir nach Bezahlung aller Schulden noch 2000 Francs. Gewiß hätte ich nun zu meiner friedlichen Gelehrtenexistenz in meine Mansarde zurückkehren können, nachdem ich das Leben erprobt, den Kopf voll wichtiger und reicher Beobachtungen hatte und schon eine gewisse Berühmtheit genoß. Aber Fœdora hatte ihre Beute nicht fahrenlassen. Wir waren uns oft begegnet. Ich hatte dafür gesorgt, daß ihre Liebhaber, die über meinen Geist, meine Pferde, meine Erfolge, meine Equipagen erstaunt waren, ihr ständig mit meinem Namen in den Ohren lagen. Sie blieb bei allem kalt und gefühllos, selbst als Rastignac ihr gegenüber die schreckliche Bemerkung machte: ›Er richtet sich um Ihretwillen zugrunde!‹ Ich beauftragte die ganze Welt mit meiner Rache, aber ich war nicht glücklich. Indem ich mich so dem Leben bis in seinen Schlamm hinein hingab, ersehnte ich noch immer die Wonnen einer erwiderten Liebe, und diesem Lockbild jagte ich in all meinen Ausschweifungen und Orgien nach. Zu meinem Unglück wurde ich in meinen schönen Hoffnungen getäuscht, für meine Wohltaten mit Undank bestraft und für meine Fehler mit tausend Genüssen belohnt! Eine unselige Philosophie, für den Wüstling aber wahr! Und schließlich hatte Fœdora mich mit dem Gift ihrer Eitelkeit angesteckt. Als ich meine Seele ergründete, fand ich sie brandig und faulig. Der Teufel hatte mir seine Klaue auf die Stirn gedrückt. Es war mir fortan unmöglich, auf die ständigen Erregungen eines in jedem Moment auf die Waagschale geworfenen Lebens und auf die fluchwürdigen Raffinessen des Reichtums zu verzichten. Wäre ich Millionär gewesen, hätte ich unablässig gespielt, geschwelgt und mich umhergetrieben. Ich wollte nicht mehr mit mir allein bleiben. Ich brauchte Mätressen, falsche Freunde, Wein, gutes Essen, um mich zu betäuben. Familiäre Bande waren in mir für immer zerrissen. Ein Galeerensträfling des Genusses, mußte ich meine Bestimmung, meinen Selbstmord bis zu Ende ausführen. Während der letzten Tage, an denen ich noch Geld besaß, überließ ich mich jeden Abend unglaublichen Ausschweifungen; aber an jedem Morgen warf mich der Tod wieder ins Leben zurück. Wie der Inhaber einer Leibrente hätte ich ruhig eine Feuersbrunst durchschreiten können. Zuletzt fand ich mich mit einem 20-Francs-Stück allein, da erinnerte ich mich des Glücks, das Rastignac gehabt hatte … Holla!« rief Raphael, dem mit einemmal wieder sein Talisman einfiel. Er zog ihn aus der Tasche.
Ob er nun, von den Kämpfen dieses langen Tages erschöpft, nicht mehr die Kraft besaß, benebelt von Wein- und Punschdünsten, seinen Verstand zu meistern, oder ob er sich, durch den Blick auf sein Leben erregt, unmerklich am Strom seiner Worte berauscht hatte, jedenfalls war Raphael außer sich und geriet СКАЧАТЬ