Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
Автор: Honore de Balzac
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815226
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›Und schreibt Memoiren‹, fügte die Comtesse hinzu, der das tiefe Schweigen, welches sich plötzlich ausgebreitet hatte, zu mißfallen schien. ›Memoiren einer falschen Comtesse, Madame‹, versetzte Rastignac. ›Um sie zu schreiben, bedarf es einer anderen Sorte Mut.‹ – ›Ich traue ihm viel Mut zu‹, erwiderte sie, ›er ist mir treu.‹ Ich war lebhaft versucht, vor den Spöttern aufzutauchen wie Banquos Geist in Macbeth. Ich verlor eine Geliebte, aber besaß einen Freund! Jedoch flüsterte mir die Liebe mit einem Male eine jener feigen und spitzfindigen Paradoxa zu, mit denen sie all unseren Schmerz einzulullen versteht. – ›Wenn Fœdora mich liebt‹, dachte ich, ›muß sie dann ihre Neigung nicht unter boshaften Scherzen verstecken. Wie oft schon hat das Herz den Lügen des Mundes widersprochen!‹ Endlich wollte mein unverschämter Rivale, der als letzter bei der Comtesse geblieben war, sich verabschieden. – ›Wie? schon?‹ fragte sie in schmeichlerischem Ton. Ich zitterte. ›Wollen Sie mir nicht noch einen Augenblick schenken? Haben Sie mir nichts mehr zu sagen? Können Sie mir nicht eines Ihrer Vergnügen opfern?‹ Er ging. ›Ach!‹ rief sie und gähnte, ›wie langweilig sie alle sind!‹ Sie zog heftig an einer Schnur, und eine Klingel ertönte. Die Comtesse trat in ihr Schlafzimmer und trällerte die Melodie ›Pria che spunti‹.39 Nie hatte sie jemand singen hören, und dieses Nichtsingen hatte zu absonderlichen Deutungen geführt. Man sagte, sie hätte ihrem ersten Liebhaber, der von ihrem Talent entzückt und übers Grab hinaus eifersüchtig gewesen wäre, versprochen, niemandem ein Glück zu gewähren, das er allein genossen haben wollte. Ich spannte alle Kräfte meiner Seele an, um die Klänge in mich aufzunehmen. Von Note zu Note sang sie voller, schien Fœdora lebhafter, der Reichtum ihrer Kehle entfaltete sich, und die Melodie gewann etwas Göttliches. Die Comtesse hatte eine klare, reine Stimme und etwas Harmonisches und Vibrierendes in ihrem Organ, das das Herz bewegte und wonnig berührte. Musizierende Frauen sind fast immer verliebt. Wer aber so sang wie sie, mußte sehr wohl zu lieben wissen. Die Schönheit dieser Stimme war also ein Geheimnis mehr an dieser Frau, die schon so geheimnisvoll genug war. Ich sah sie damals, wie ich dich sehe; sie schien sich selbst zu lauschen und dabei eine eigene Wollust zu empfinden wie in einem Liebesrausch. Sie ging an den Kamin, während sie das Hauptmotiv dieses Rondo zu Ende sang; aber als sie nun schwieg, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, ihre Züge erschlafften, und sie sah müde aus. Sie legte eine Maske ab, die Schauspielerin hatte ihre Rolle beendet. Indessen war dieses Welkwerden ihrer Schönheit nach dem kunstvollen Gesang oder infolge des anstrengenden Abends nicht ohne Reiz. – ›So also ist sie in Wahrheit‹, dachte ich. Sie stellte, wie um sich zu wärmen, einen Fuß auf die Bronzestange des Kaminschirms, zog ihre Handschuhe aus, legte die Armbänder ab und streifte eine goldene Kette, an der ihre mit kostbaren Steinen besetzte Riechdose hing, über den Kopf. Ich empfand unsägliches Vergnügen, ihre Bewegungen zu verfolgen, deren geschmeidige Anmut an eine Katze erinnerte, die sich in der Sonne putzt. Sie besah sich im Spiegel und sagte laut und mißvergnügt: ›Ich sah heute abend nicht gut aus, mein Teint welkt erschreckend schnell. Ich sollte mich vielleicht früher schlafen legen, diesem liederlichen Leben ein Ende setzen. Aber was fällt denn Justine ein?‹ Sie klingelte noch einmal; die Zofe kam herbeigeeilt. Wo war ihr Zimmer? Ich weiß nicht. Sie war über eine geheime Treppe gekommen. Ich war neugierig, sie zu betrachten. Meine Dichterphantasie hatte diese unsichtbare Dienerin, eine große, hübsch gebaute Brünette, oftmals in schlimmem Verdacht gehabt. – ›Madame haben geklingelt?‹ – ›Zweimal‹, antwortete Fœdora; ›du bist wohl auf einmal taub?‹ – ›Ich bereitete die Mandelmilch für Madame.‹ Justine kniete sich nieder, löste die kreuzweise geschlungenen Schnürbänder und zog dann ihrer Herrin die Schuhe aus, die sich indes in einem Lehnstuhl am Kamin rekelte, gähnte und sich den Kopf kratzte. Alles in diesen Bewegungen war durchaus natürlich, und kein Zeichen verriet mir die geheimen Schmerzen oder die Leidenschaften, die ich vermutet hatte. – ›Georg ist verliebt‹, sagte sie, ›ich muß ihn entlassen. Hat nicht er heute abend noch die Vorhänge herabgelassen? Was fällt ihm ein?‹ Als ich das hörte, strömte mir alles Blut zum Herzen; aber es war weiter keine Rede mehr von den Vorhängen. ›Das Leben ist sehr schal‹, fuhr die Comtesse fort. ›Au! gib acht, daß du mich nicht wieder kratzt wie gestern. Hier, sieh mal her‹, sagte sie und zeigte ihr ein kleines Knie, das wie Atlas schimmerte, ›da hab ich noch den Stempel deiner Ungeschicklichkeit.‹ Sie fuhr mit ihren nackten Füßen in die mit Schwanenpelz gefütterten Samtpantoffel und zog ihr Kleid aus, während Justine einen Kamm nahm, um ihr die Haare zu ordnen. – ›Sie müssen heiraten, Madame, und Kinder bekommen.‹
›Kinder! Das fehlte mir gerade noch!‹ rief sie. ›Einen Mann! Wo ist der Mann, dem ich mich … War ich gut frisiert heute abend?‹ – ›Nicht sehr gut.‹ – ›Du bist dumm.‹ – ›Nichts steht Ihnen schlechter, als wenn Sie Ihr Haar zu sehr kräuseln‹, erwiderte Justine. ›Große, lange Locken kleiden Sie viel besser.‹ – ›Wirklich?‹ – ›Gewiß, Madame, feingekräuseltes Haar steht nur Blondinen.‹ ›Mich verheiraten? Nein, nein! Die Ehe ist ein Schacher, für den ich nicht geschaffen bin.‹ Was für eine schreckliche Szene für einen Liebenden! Diese einsame Frau, ohne Eltern, ohne Freunde, eine Atheistin der Liebe, die an keine Empfindung glaubte und, so schwach auch in ihr das jedem menschlichen Wesen eigene Bedürfnis, sein Herz zu ergießen, sein mochte, um es zu befriedigen, war sie gezwungen, mit ihrer Zofe zu plaudern, ein paar trockene Redensarten oder Nichtigkeiten zu sagen! Sie tat mir leid. Justine schnürte sie auf. Ich betrachtete sie neugierig, als der letzte Schleier weggenommen wurde. Sie hatte einen jungfräulichen Busen, der mich blendete; beim Schein der Kerze schimmerte ihr weißer und rosiger Körper durch das Hemd durch wie eine Silberstatue unter einer Gazehülle. Nein, keinerlei Unvollkommenheit mußte sie die verstohlenen Blicke der Liebe fürchten lassen. Ach, ein schöner Körper siegt immer über die heldenhaftesten Entschlüsse. Die Herrin saß stumm und nachdenklich vor dem Feuer, während die Zofe die Kerze der Alabasterlampe, die vor dem Bett hing, anzündete. Justine holte eine Wärmflasche, machte das Bett zurecht und half ihrer Herrin, sich schlafen zu legen; dann hatte sie noch allerlei kleine Dienste zu verrichten, die von der tiefen Verehrung zeugten, die Fœdora für sich selber hegte, und ging schließlich. Die Comtesse warf СКАЧАТЬ