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sich auf den ›jungen Mann‹ verstand und mich bis zu meiner Heirat behelligen sollte. Von diesem Tage an brach ich mit dem mönchischen, arbeitsamen Leben, das ich drei Jahre lang geführt hatte. Ich ging fleißig zu Fœdora, wo ich die Maulhelden und die Salonlöwen auszustechen suchte, die sich bei ihr einfanden. Da ich mich nun für immer dem Elend entronnen glaubte, erlangte ich meine geistige Freiheit wieder, stellte meine Rivalen in den Schatten und galt als verführerischer, blendender, unwiderstehlicher junger Mann. Besonders gewitzte allerdings behaupteten von mir: ›Ein so geistreicher junger Mann kann Leidenschaft nur im Kopf haben!‹ Und wohlmeinend rühmten sie meinen Geist auf Kosten meiner Gefühle. ›Wie glücklich er ist, nicht zu lieben!‹ riefen sie aus. ›Wäre er, wenn er liebte, so heiter, so mitreißend?‹ Fœdora gegenüber freilich war ich ein verliebter Trottel! Allein mit ihr, wußte ich nichts zu sagen, oder wenn ich sprach, schmähte ich die Liebe; innerlich trübselig, gebärdete ich mich lustig wie ein Höfling, der einen grausamen Verdruß zu verhehlen sucht. Kurz, ich bemühte mich, ihrem Leben, ihrem Glück, ihrer Eitelkeit unentbehrlich zu werden; tagtäglich bei ihr, ward ich ihr Sklave, ein Spielzeug, ihr ständig zu Willen. Nachdem ich meinen Tag derart vergeudet hatte, kam ich nach Hause, um die Nacht durchzuarbeiten und gegen Morgen kaum mehr als zwei oder drei Stunden zu schlafen. Doch da ich mich nicht, wie Rastignac, auf das ›englische System‹ verstand, war ich bald ohne einen Sou. Da stand ich nun, mein Lieber, ein Geck ohne Vermögen, ein Stutzer ohne Geld, ein Verliebter ohne Namen und sank wieder in das kümmerliche Leben zurück, in die kalte, tiefe Not, die ich unter dem trügerischen Schein von Luxus sorgfältig verbarg. Es waren meine alten Leiden, die ich aufs neue erduldete, weniger brennend freilich; wahrscheinlich hatte ich mich an ihre schrecklichen Krisen bereits gewöhnt. Oft waren Kuchen und Tee, die in den Salons so sparsam dargereicht werden, meine einzige Nahrung. Mitunter mußten die üppigen Diners der Comtesse für mehrere Tage vorhalten. Ich setzte meine ganze Zeit, meine Kräfte und meine Beobachtungsgabe darein, den undurchdringlichen Charakter Fœdoras zu ergründen. Bis dahin hatten Hoffnung oder Verzweiflung meine Meinung beeinflußt, ich erblickte in ihr mal die liebevollste, mal die gefühlloseste Vertreterin ihres Geschlechts. Aber dieser Wechsel von Freude und Niedergeschlagenheit wurde unerträglich: ich wollte diesen fürchterlichen Kampf beenden, indem ich meine Liebe tötete. Unheilkündende Lichter blitzten oft in meiner Seele auf und wiesen mir die Abgründe, die zwischen uns klafften. Die Comtesse rechtfertigte alle meine Befürchtungen, noch nie hatte ich Tränen in ihren Augen gesehen; im Theater ließ eine rührende Szene sie kalt oder reizte ihren Spott. All ihre Klugheit diente nur ihrer eigenen Person; fremdes Glück oder Unglück nahm sie nicht wahr. Endlich sah ich ein, daß sie mich hinters Licht geführt hatte. Glücklich, ihr ein Opfer bringen zu können, hatte ich mich für sie beinahe erniedrigt; als ich meinen Verwandten, den Duc de Navarreins, aufsuchte, einen egoistischen Menschen, der sich meiner Notlage schämte und mir gegenüber zu sehr im Unrecht war, um mich nicht zu hassen. Er empfing mich mit jener kalten Höflichkeit, welche jedes Wort und jede Gebärde wie einen Schimpf erscheinen läßt; sein unsicherer Blick erregte mein Bedauern. Ich schämte mich für ihn seiner Kleinlichkeit in all dem Glanz, seiner Armseligkeit in all dem Überfluß. Er sprach mir von ansehnlichen Verlusten, die ihm die dreiprozentige Staatsrente verursachte; dann nannte ich ihm den Grund meines Besuchs. Die Veränderung in seinem Benehmen, das von Frostigkeit allmählich zu großer Liebenswürdigkeit überging, widerte mich an. Kurz und gut, mein Freund, er besuchte die Comtesse und stellte mich dort einfach kalt. Fœdora entfaltete für ihn einen ungeahnten Zauber; sie umstrickte ihn völlig, verhandelte mit ihm die mysteriöse Angelegenheit, ohne daß ich ein Wort davon erfuhr; ich war ihr nur Mittel zum Zweck gewesen! … Sie schien mich nicht mehr zu bemerken, wenn mein Cousin bei ihr war; sie empfing mich dann vielleicht mit geringerer Freude als an dem Tag, da ich ihr vorgestellt worden war. Eines Abends demütigte sie mich vor dem Duc de Navarreins durch eine jener Gesten, einen jener Blicke, die man nicht in Worte fassen kann. Ich ging mit Tränen in den Augen fort; schmiedete tausend Rachepläne und erwog, ihr Gewalt anzutun.
Oft begleitete ich sie in die Bouffons: dort, neben ihr, ganz meiner Liebe hingegeben, sah ich sie an und gab mich zugleich dem Zauber der Musik hin, ging auf in dem doppelten Genuß, zu lieben und die Regungen meines Herzens in den Melodien des Musikers wiederzufinden. Meine Leidenschaft war in der Luft, auf der Bühne, sie siegte überall, nur nicht bei meiner Geliebten. Ich ergriff dann wohl Fœdoras Hand, musterte forschend ihre Züge, ihre Augen, ersehnte ein Verschmelzen unserer Gefühle, eine jener unwillkürlichen Harmonien, die, von den Klängen erweckt, die Seelen vereint schwingen läßt; aber ihre Hand war stumm, und ihre Augen sagten nichts. Wenn das Feuer meines Herzens, das aus meinen Zügen strömte, ihr zu heiß ins Antlitz schlug, warf sie mir ein gesuchtes Lächeln zu, jenes unverbindliche Lächeln, das in den Salons auf den Lippen aller Porträts starrt. Sie lauschte der Musik nicht. Die göttlichen Weisen Rossinis, Cimarosas,36 Zingarellis37 riefen kein Gefühl in ihr hervor, klangen nicht als Ausdruck eigenen Empfindens in ihr wider; ihre Seele war öde und leer. Fœdora stellte sich wie ein Schauspiel im Schauspiel dar. Ihre Lorgnette wanderte unaufhörlich von Loge zu Loge; voll innerer Unruhe, obgleich scheinbar ruhig, war sie ein Opfer der Mode: ihre Loge, ihr Hut, ihr Wagen, ihre Person waren ihr alles. Man begegnet zuweilen Menschen von riesenhaftem Körperbau, die in einer ehernen Brust ein weiches liebevolles Herz bergen; aber sie barg ein ehernes Herz unter ihrer zarten, anmutigen Hülle. Meine verhängnisvolle Menschenkenntnis riß viele Schleier von meinen Augen. Wenn der gute Ton darin besteht, sich selbst um des anderen willen zu vergessen, in Stimme und Gebärde eine ständige Sanftmut walten zu lassen, den anderen zu gefallen, indem man ihr Selbstbewußtsein befriedigt, so war es Fœdora trotz ihrer Klugheit nicht gelungen, jede Spur ihrer plebejischen Herkunft auszulöschen: ihre Selbstvergessenheit war Falschheit; ihre Manieren waren nicht angeboren, sondern mühselig erworben; kurz, ihre Höflichkeit roch nach Liebedienerei. Für ihre Günstlinge waren ihre honigsüßen Reden freilich der Ausdruck von Güte, ihre affektierte Überspanntheit edler Enthusiasmus. Ich allein hatte ihre Grimassen studiert, ich hatte die dünne Rinde, die der Welt genügte, von ihrem Inneren abgezogen und ließ mich von ihrem heuchlerischen Schöntun nicht mehr täuschen: ich hatte ihre Katzenseele durchschaut. Wenn irgendein alberner Tropf ihr Komplimente machte, sie pries, schämte ich mich für sie. Und ich liebte sie trotz allem! Ich hoffte, das Eis ihres Herzens mit dem Hauch der Dichterliebe zu schmelzen.
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