Название: Der gestohlene Bazillus
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783961184019
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Und dann geschah etwas – etwas so Alltägliches und doch für mich so Entsetzliches, daß mich noch heute beim bloßen Gedanken an jenen Moment schaudert. Ich sprach laut. Ich sagte: »Wie des Teufels bin ich denn hierhergeraten?«
... Und die Stimme war nicht meine Stimme.
Es war nicht meine Stimme! Die Artikulation war verwischt – die ganze Resonanz meiner Schädelknochen war anders ... Um mich meiner selbst zu vergewissern, strich ich mit der einen Hand über die andere ... Ich fühlte lose Hautfalten, die knöcherne Schlaffheit des Alters ... »Ganz gewiß –« sagte ich in der fürchterlichen Stimme, die sich da irgendwie meiner Kehle bemächtigt hatte, »ganz gewiß – – es ist nur ein Traum!« Plötzlich, als täte ich es unwillkürlich, fuhr ich mir mit den Fingern in den Mund. Meine Zähne waren weg. Meine Fingerspitzen glitten über eine welke Oberfläche ebenen, verschrumpelten Zahnfleisches. Mir ward übel vor Ekel und Entsetzen ... Ich empfand den leidenschaftlichen Wunsch, mich selber, mein eigenes Ich zu sehen, die unheimliche Veränderung, die mit mir vorgegangen war, auf einmal und in ihrem vollen Grauen mir klarzumachen. Ich wankte nach dem Kamin und tastete auf dem Sims nach Streichhölzern. Während ich dahinstolperte, überfiel mich ein bellender Husten, und ich packte das dicke Flanellnachthemd, das um mich schlotterte. Streichhölzer waren auch da keine. Und ich merkte plötzlich, daß ich kalte Hände und Füße hatte. Pustend und hustend und vermutlich auch leise vor mich hingreinend tastete ich mich zu meinem Bett zurück.
»Es ist ja doch ein Traum!« wimmerte ich vor mich hin, während ich wieder ins Bett kletterte. »Ganz gewiß – nur ein Traum!« So recht nach Greisenart wiederholte ich das immer wieder. Ich zog mir die Bettücher über die Schultern – über die Ohren – Ich schob die Hand unters Kissen – fest entschlossen: ich wollte schlafen. Natürlich war es ein Traum. Mit dem Morgen würde der Traum vorüber sein, und ich würde aufwachen wie immer – stark und gesund – – erwachen – zu meiner Jugend und meinen Studien. Ich schloß die Augen, atmete regelmäßig, und – da ich merkte, es ging nicht – fing ich an, das Einmaleins herzusagen.
Aber das Gewünschte wollte sich nicht einstellen. Ich konnte nicht einschlafen. Und eine Überzeugung von der unerbittlichen Wirklichkeit der Veränderung, die mit mir vorgegangen war, wuchs immer mehr in mir. Bald lag ich mit weit offenen Augen da – das Einmaleins war vergessen – und meine knöchernen Finger fuhren an meinem verschrumpelten Zahnfleisch herum. Es war so – ich war plötzlich – unvermittelt – ein alter Mann geworden. Ich war auf irgendeine unbegreifliche, unerklärliche Art gleichsam durch mein Leben durchgerutscht und zum Greis geworden – ich war irgendwie betrogen um alles Beste im Leben – um Liebe, um Kampf, um Kraft und Hoffnung. Ich verkroch mich in die Kissen und versuchte, mir selber vorzureden, daß derartige Halluzinationen ja vorkämen ... Fast unmerklich, stetig ward die Dämmerung heller ... Schließlich, als ich am Weiterschlafen verzweifelte – setzte ich mich im Bett auf und sah mich um. Ein kaltes Zwielicht erhellte das ganze Zimmer. Es war geräumig und gut ausgestattet – besser als je ein Zimmer, in dem ich bisher geschlafen hatte. Auf einem kleinen Gestell in einer Nische erblickte ich bald auch eine Kerze und Streichhölzer. Ich warf die Laken zurück und stand – schaudernd vor der rauhen Morgenluft, obschon es Sommer war – auf und zündete die Kerze an. Darauf wankte ich – mit einem Zittern, so daß das Lichthütchen gegen den Leuchter klapperte – nach dem Spiegel und erblickte – Elveshams Gesicht! Es war nicht weniger schrecklich, weil ich das schon gefürchtet hatte. Er war mir immer schwächlich und jämmerlich elend vorgekommen; aber wie ich ihn jetzt – – so – – bloß mit einem groben Flanellhemd bekleidet, das über der Brust offen stand und den sehnigen, dürren Hals enthüllte – – so – an Stelle meines eigenen Körpers – – sah – – Ich kann diese jämmerliche Verfallenheit gar nicht beschreiben! Die hohlen Wangen, die vereinzelten Strähne schmutzig-grauen Haars, die triefenden, trüben Augen, die zitternden, verschrumpften Lippen, über denen immer ein Streifchen Rosa auftauchte, und hinter denen man immer das scheußliche schwärzliche Zahnfleisch sah! Wer ganz ist – ein Mensch, dessen Körper und Seele eins sind – so wie es die Natur seiner Jahre mit sich bringt – der kann sich nicht vorstellen, was dies teuflische Gefangensein für mich bedeutete! Jung sein und voll von Wünschen und voll von Energie der Jugend – – Und dabei gefangen und bald darauf zermalmt in dieser wankenden Ruine von einem Menschen ...!
Aber ich verliere den Faden meiner Erzählung ...
Eine Zeitlang muß ich geradezu betäubt gewesen sein über die Veränderung, die über mich hereingebrochen war. Der Tag schien hell, als ich mich endlich so weit zusammenraffte, um denken zu können. Ich war – auf irgendeine unerklärliche Art – verwandelt. Obschon – wie das – wenn nicht Hexerei im Spiel war – hatte zugehen können das wußte ich nicht. Und während ich darüber nachdachte, ward mir das teuflische Genie Elveshams klar. Es kam mir ganz selbstverständlich vor: so wie ich in seinem Körper steckte, so war er jetzt Herr des meinen, das heißt, meiner Kraft, meiner Zukunft. Aber wie das beweisen? Dann – als ich weiter darüber nachdachte, erschien mir selber das alles so unglaublich, und meine Gedanken wirbelten so durcheinander, daß ich mich selber kneifen, meine zahnlosen Gaumen befühlen, mich im Spiegel betrachten, die Dinge um mich berühren mußte, eh' ich wieder den Tatsachen nüchtern gegenüberstand. War alles Leben Halluzination? War ich wirklich Elvesham? Und Elvesham ich? Hatte ich einfach einmal nachts von Eden geträumt? Existierte überhaupt ein Eden? Aber – wenn ich Elvesham war, so müßte ich mich doch am nächsten Morgen darauf besinnen, wo ich war, – auf den Namen der Stadt, in der ich lebte – auf das, was geschehen war, eh' ich anfing zu träumen ... Ich kämpfte mit meinen Gedanken. Ich rief mir die seltsame Zweiheit meiner nächtlichen Erinnerungen zurück. Aber mein Geist war jetzt ganz klar. Auch nicht die Spur einer Erinnerung außer der aus meinen Edentagen wollte noch in mir aufsteigen.
»Es ist einfach zum Verrücktwerden!« rief ich in meiner dünnen Greisenstimme. Ich stolperte auf vom Bett, schleppte meine schwächlichen, bleiernen Glieder zum Waschtisch und steckte mein graues Haupt in eine Waschschüssel voll kalten Wassers. Dann – während ich mich abtrocknete, versuchte ich es aufs neue ... Es half nichts. Ich fühlte – – es war ganz fraglos: Ich war Eden, nicht Elvesham! Aber Eden in Elveshams Körper!
Hätte ich in irgendeinem andern Jahrhundert gelebt – ich hätte eben mein Schicksal auf mich genommen und mich als Verhexten betrachtet. Aber in unsern skeptischen Tagen gelten Wunder nicht mehr. Es war einfach ein psychologischer Trick. Und was ein Mittel und ein festes Anstarren angerichtet hatten, das konnte irgendein anderes Mittel und ein anderes festes Anstarren oder irgendeine derartige Behandlung auch wieder zurechtbringen. Es war ja nicht das erstemal, daß ein Mensch die Erinnerung verlor. Aber Erinnerungen vertauschen – verwechseln, wie man Regenschirme verwechselt – –! Ich mußte lachen. Ach! es war kein gesundes Lachen! Es war ein greisenhaft-winselndes Gekicher. Ich hatte auf einmal die Vorstellung, wie der alte Elvesham mich auslachte, und ein Taumel kleinlichen Zorns, wie ich ihn sonst gar nicht kannte, überfiel mich plötzlich. Ich fing hastig an, mir die Kleidungsstücke anzuziehen, die überall auf dem Boden herumlagen, und erst als ich angezogen war, merkte ich, daß ich im Gesellschaftsanzug war. Ich öffnete den Schrank und fand darin einige Straßenanzüge, ein paar karierte Hosen und einen altmodischen Schlafrock. Die letzteren Stücke zog ich an, stülpte ein ehrwürdiges Hauskäppchen auf mein Haupt und wankte – ein bißchen hustend von der Anstrengung – auf den Korridor hinaus.
Es war ungefähr dreiviertel auf sechs; die Läden waren noch alle geschlossen; das Haus war ganz still. Es war ein geräumiger Flur, eine breite Treppe mit üppigem Läufer führte in die dunkle Tiefe der unteren Halle; und durch eine halbgeöffnete Tür gerade vor mir erblickte ich ein Schreibpult, einen drehbaren Bücherständer, den Rücken eines Schreibsessels und Reihen auf Reihen СКАЧАТЬ