Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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»Er ist nicht nur unsichtbar«, sagte er, »sondern verrückt. Mordmanie! …«
Als die Morgendämmerung ihre bleichen Schatten mit dem Lampenlicht und dem Zigarrendampf vermischte, ging Kemp noch immer im Esszimmer auf und ab und suchte das Unglaubliche zu fassen.
Er war zu erregt, um zu schlafen. Die Dienstboten, welche schläfrig herunterkamen und ihn unten überraschten, waren der Ansicht, dass er sich überarbeitet habe. Er gab ihnen den außergewöhnlichen, aber nicht misszuverstehenden Befehl, ein Frühstück für zwei Personen in sein Studierzimmer zu bringen und das Erdgeschoss dann nicht mehr zu verlassen. Dann fuhr er fort, das Speisezimmer zu durchmessen, bis das Morgenblatt kam. Das hatte viel zu sagen und wenig zu berichten; nur eine Bestätigung der am Abend vorher gebrachten Neuigkeiten und einen sehr schlecht geschriebenen Artikel über ein anderes merkwürdiges Ereignis in Port Burdock. Dies gab Kemp einen Begriff von den Vorgängen in ›den lustigen Cricketern‹ und den Namen Marvels. »Vierundzwanzig Stunden lang hat er mich bei sich behalten«, bezeugte Marvel. Gewisse kleine Ergänzungen waren der Ipinger Geschichte hinzugefügt, besonders das Durchschneiden der Telegrafendrähte. Aber nichts von alledem warf ein Licht auf die Beziehungen zwischen dem Unsichtbaren und dem Landstreicher – denn Mr. Marvel hatte weder über die drei Bücher, noch über das Geld, welches er bei sich trug, ein Wort verlauten lassen. Der ungläubige Ton war verschwunden, und eine Schar von Reportern und Nachrichtenjägern hatte sich in Bewegung gesetzt, um die Sache klarzulegen.
Kemp las jede Zeile des Berichts und schickte dann das Hausmädchen mit dem Auftrag fort, ihm alle Morgenzeitungen zu bringen, deren sie habhaft werden konnte. Auch diese verschlang er.
»Er ist unsichtbar!«, sagte er. »Und in allem, was man darüber liest, etwas Wildes, das an Wahnsinn grenzt. Was er zu tun imstande wäre! Was er zu tun imstande wäre! Und droben ist er frei wie die Luft. Was soll ich nur tun? Wäre es zum Beispiel ein Wortbruch, wenn ich – – – Nein.«
Er ging zu einem kleinen, unordentlichen Pult in der Ecke und begann eine Karte zu schreiben. Halbfertig, zerriss er sie wieder und schrieb eine andere. Dann überlas er die Zeilen und überlegte noch einmal. Endlich nahm er einen Briefumschlag und adressierte ihn an »Herrn Oberst Adye, Port Burdock.«
Während Kemp schrieb, war der Unsichtbare erwacht. Er war in übler Laune und Kemp, der gespannt auf jeden Ton horchte, hörte ihn durch das Schlafzimmer eilen. Dann wurde ein Stuhl umgeworfen und das Waschbecken zerschmettert. Kemp eilte nach oben und pochte ungestüm.
1 Cum grano salis (»mit einem Korn Salz«). Die getroffene Aussage wird eingeschränkt. <<<
19. Kapitel – Optische Grundprinzipien
Was gibt es?«, fragte Kemp, als ihn der Unsichtbare einließ.
»Nichts«, war die Antwort.
»Aber zum Teufel! Der Lärm?«
»Ein Anfall von übler Laune«, entgegnete der Unsichtbare. »Ich vergaß meinen Arm; und der schmerzt mich.«
»Sie scheinen zu solchen Anfällen zu neigen?«
»Allerdings.«
Kemp ging durch das Zimmer und las die Glasscherben auf. »Man weiß alles über Sie«, sagte er dann, die Splitter in der Hand. »Alles, was in Iping und unten am Fuße des Hügels geschehen ist. Die Welt ist sich ihres unsichtbaren Bürgers bewusst geworden. Aber dass Sie hier sind, weiß niemand.«
Der Unsichtbare fluchte.
»Das Geheimnis ist verraten. Ich vermute, dass es ein Geheimnis war. Ich kenne Ihre Pläne nicht, aber ich bin natürlich begierig, Ihnen zu helfen.«
Der Unsichtbare setzte sich auf das Bett.
»Unser Frühstück steht oben«, sagte Kemp, so unbefangen als möglich, und sah mit Entzücken, dass sein Gast sich willig erhob. Kemp ging auf der engen Treppe zum Studierzimmer voraus.
»Bevor wir gemeinschaftlich arbeiten können«, sagte Kemp, »muss ich über Ihre Unsichtbarkeit mehr wissen.« Nachdem er rasch einen einzigen, nervösen Blick durch das Fenster geworfen, ließ er sich mit einer unbefangenen Miene nieder, als ob er seine Aufmerksamkeit ausschließlich der Aussprache mit dem Unsichtbaren zuzuwenden wünschte.
Wieder tauchten ihm Zweifel an der Möglichkeit der ganzen Sache auf, und wieder verschwanden sie, als er zu Griffin hinüberblickte, der, ein kopf- und handloser Schlafrock, am Frühstückstische saß und sich mit einer wie durch ein Wunder gehaltenen Serviette über unsichtbare Lippen fuhr.
»Es ist sehr einfach – und durchaus nicht unglaublich«, sagte Griffin, die Serviette weglegend.
»Für Sie zweifellos, aber – –« Kemp lachte.
»Nun, sehen Sie, auch mir schien es zuerst wunderbar. Und jetzt, großer Gott! … Aber wir werden noch große Dinge vollbringen! Auf den Gedanken kam ich zuerst in Chesilstowe.«
»Chesilstowe?«
»Dorthin ging ich, als ich London verließ. Sie wissen, dass ich der Medizin den Rücken kehrte und mich den Naturwissenschaften zuwendete? Nicht? Nun, es war so. Die Lehre vom Licht faszinierte mich.«
»Ah!«
»Optische Dichte! Der Gegenstand ist ein Netz von Rätseln – ein Netz, durch welches die Lösungen trügerisch lockend durchschimmern. Und da ich erst zweiundzwanzig Jahre alt und voll Begeisterung war, gelobte ich mir: diesen Forschungen will ich mein Leben weihen. Das ist der Mühe wert. Sie wissen, wie töricht man mit zweiundzwanzig Jahren ist?«
»Heute nicht minder wie damals«, sagte Kemp.
»Als ob Wissen dem Menschen wahre Befriedigung gewähren könnte!
Aber ich machte mich an die Arbeit – wie ein Nigger. Und ich hatte kaum ein halbes Jahr gearbeitet und über die Sache nachgedacht, als plötzlich СКАЧАТЬ