Leben ohne Maske. Knut Wagner
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Название: Leben ohne Maske

Автор: Knut Wagner

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

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isbn: 9783957163080

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СКАЧАТЬ Sie hatten Brühe mit Ei gelöffelt und viel zu kaltes, schales Bier getrunken, und sie hatten durchs schmutzige Fenster der verräucherten Mitropa gesehen, wie sowjetische Soldaten, die Heimaturlaub bekommen hatten, auf dem Bahnsteig standen und mit ihrem schweren Gepäck in den Zug nach Brest stiegen.

      „Sobald du fertig bist mit dem Stück, musst du mir unbedingt ein Exemplar schicken“, sagte Trebing.

      „Versprochen“, sagte Wolfgang, als er mit Trebing die Bodega verließ.

      Wenn Wolfgang über den Anger ging, traf er immer Freunde, mit denen er übers Theater und das Gedichteschreiben sprechen konnte. Meistens liefen ihm Meyer, ein Volontär bei der „Thüringischen Landeszeitung“, oder Jungschauspieler Pollatschek, der gerade probenfrei hatte, über den Weg. Meyer war zwei Jahre jünger als Wolfgang. Er war rothaarig und hatte mächtig viel Pomade in seine Haare geklitscht. Wie er sie am Morgen gekämmt und gescheitelt hatte, lagen sie noch am Nachmittag.

      Meyer war immer in Eile und hatte eine komische Art, sich die Werke der Weltliteratur anzueignen. „Im Moment lese ich nur Stücke, weil mir die Zeit zum Romanelesen fehlt“, sagte er. „Strindberg steht auf meinem Programm. Den solltest du lesen“, riet er Wolfgang.

      „Wie ich dich kenne, wirst du dich für ‚Fräulein Julie‘ begeistern“, sagte Meyer, der auf dem Sprung zum nächsten Pressetermin war.

      Wesentlich mehr Zeit für ein Gespräch nahm sich Pollatschek. Unter der großen Angeruhr stehend, erzählte er Wolfgang von Claus Hammels „Morgen kommt der Schornsteinfeger“, einem Gegenwartsstück, das am Erfurter Schauspielhaus erfolgreich uraufgeführt worden war. Bei der Premiere habe es drei Mal Zwischenapplaus gegeben, einen davon habe er als Lyriker bekommen, sagte er. Dass man jetzt erwäge, die Rolle des Lyrikers aus Zeitgründen zu streichen, konnte er nicht verstehen und fühlte sich in seiner Ehre gekränkt.

      Die Literaturwissenschaft, die von Hammel kaum Notiz nehme, sollte sich mal näher mit diesem Autor befassen, meinte Pollatschek und brachte Wolfgang auf die Idee, die Staatsexamensarbeit über Claus Hammels „Morgen kommt der Schornsteinfeger“ zu schreiben.

      Aber vorerst schrieb Wolfgang an seinem Stück „Der Gast oder Der Versuch zu leben“, das Mitte September schon in seiner Gesamtheit vorlag, und es schien, als könne es, wie geplant, im April 1968 von der Studentenbühne aufgeführt werden.

      Aber diesen Plan durchkreuzte eine Fisteloperation, der sich Wolfgang kurzzeitig unterziehen musste. Zuerst hatte er einen Furunkel am Hintern gehabt, dann war der Furunkel aufgegangen, aber eine stecknadelkopfgroße Öffnung war geblieben, aus der es ständig nässte. Obwohl es Wolfgang ziemlich peinlich war, ging er deshalb zum Arzt. „Eine Steißbeinfistel“, sagte der Arzt. „Keine große Sache. Das ist schnell gemacht“, und für Wolfgang war es beruhigend zu hören, dass mit einem längeren Studienausfall nicht zu rechnen sei.

      Anfang Oktober sollte die OP sein, und so fuhr Wolfgang Ende September nach Jena, übergab Birgit Hielscher die Geschäfte der Studentenbühne und vervielfältigte mit ihr zusammen das Stück. Da nicht sicher war, ob Wolfgang zur Spielplanbesprechung Mitte Oktober schon wieder fit sein würde, instruierte er die Hielschern.

      Er sagte ihr, wie sie beim Vorstellen des Stücks vorgehen solle und welche Besonderheiten sie unbedingt erwähnen müsse. Die erste Besonderheit sei, dass ein Student ein Stück für Studenten geschrieben habe, das in der Gegenwart spiele, sagte Wolfgang. Die zweite Besonderheit sei, dass er den Hauptdarstellern die Rollen buchstäblich auf den Leib geschrieben habe. Und drittens liege der besondere Reiz der Inszenierung darin, dass die Endfassung des Stücks während der Proben erarbeitet werde.

      „Und was muss unbedingt gesagt werden, wenn es um den Inhalt des Stücks geht?“, wollte die Hielschern wissen. „Dass die Frage nach dem Sinn des Lebens aufgeworfen wird, die jede Generation neu für sich beantworten muss“, meinte Wolfgang. Schon der Titel „Der Gast oder Der Versuch zu leben“ weise unmissverständlich auf diese Problematik hin.

      Vier Wochen nach seiner Operation lag Wolfgang noch immer im Krankenhaus und hatte keine Kunde, wie die Spielplan-Diskussion Mitte Oktober ausgegangen war, und seine telefonischen Versuche, Birgit Hielscher zu erreichen, waren gescheitert. Vielleicht wurde der Termin verschoben, dachte Wolfgang, den das Schweigen der Hielschern arg beunruhigte. Erst Ende Oktober ließ sich Birgit Hielscher blicken. Sie kam laut lachend ins Krankenzimmer geschneit, und an der übertriebenen Freundlichkeit, die sie zur Schau stellte, spürte Wolfgang sofort, dass etwas nicht stimmte.

      „Ich habe eine traurige Nachricht für dich“, sagte sie. „Dein Stück ist abgelehnt worden.“

      Dass es zu dieser Entscheidung gekommen sei, habe zum größten Teil an Hetzel gelegen, dem es mit seiner demagogisch plumpen Art gelungen sei, die Mehrheit der Leute hinter sich zu bringen, erzählte Birgit. „Zuerst machte sich Hetzel lustig über die grammatischen Fehler im Text, die eines Germanisten unwürdig seien. Dann bezeichnete er es als Größenwahn, wenn jemand wie du Autor, Hauptfigur und Regisseur in einer Person sein wolle“, berichtete sie. „Und meinen Einwand, dass wir uns schon am Nationaltheater Weimar nach einem jungen Schauspieler umgesehen hätten, der Regie führen könnte, ignorierte er mit einer nicht zu überbietenden Überheblichkeit.“

      Hetzel habe den Oberassistenten heraushängen lassen, sagte Birgit Hielscher. Dann habe er mit seinem Verriss losgelegt, ohne dass jemand versucht hätte, ihn zu stoppen.

      Hetzel, für den die Lehrstücke Brechts das hohe C der Theaterkunst waren, nahm Wolfgangs Stück wie einen faulen Fisch auseinander. Abgesehen davon, dass die Großbaustellen-Romantik eines Abiturienten kaum jemanden interessiere, war Hetzel der Meinung, dass dem Stück etwas sehr Wesentliches fehle, nämlich die dramatische Substanz. Das Stück habe keine Fabel und drehe sich nur um den Helden, der nichts weiter sei als ein Medium der Selbstverständigung. André, die Hauptfigur, wolle zwar anders sein als die anderen, aber dieses Anderssein würde nicht einleuchtend erklärt. Wie ein Messias käme André daher, wie ein passiver Wanderer aus Strindbergs „Damaskus“ gehe er durch die Welt und versteige sich in existenzialistische Formulierungen. Dies sei politisch untragbar, giftete Hetzel. Auch Mike Mutzke habe nicht mit herber Kritik gespart. Dass ein 18-jähriger Abiturient sich in eine sieben Jahre ältere Kellnerin verliebt, möge noch angehen. Aber dass ein 18-Jähriger und eine nuttige Kellnerin die Welt retten wollten, sei einfach lachhaft, meinte er. Im Übrigen sei die Weltsicht der Kellnerin Irene pessimistisch und menschenfeindlich, was durch nichts zu rechtfertigen sei.

      Und Wachsmuth, der große Glattscheißer vor dem Herrn, fühlte sich bemüßigt zu erklären, dass er es ablehne, die Rolle des Karrieristen Frank zu spielen. „So sind unsere Menschen nicht“, habe er gesagt.

      „Mit Hetzels Verriss hätte ich noch gerechnet“, sagte Wolfgang. „Aber nicht mit den Reaktionen von Mutzke und Wachsmuth.“

      Aufs Schlimmste gefasst, fragte er die Hielschern, mit der er auf dem Krankenhaus-Balkon stand: „Und was haben Doris, Biene und Edda gesagt?“

      „Edda hat geschwiegen, den ganzen Abend“, sagte Birgit. Aber Doris und Biene bliesen in Wachsmuths Horn. Biene meinte, sie habe keine Lust, eine Unterhaltungsschriftstellerin zu spielen, der es nur um Geld und Wohlstand gehe. Auch Doris erklärte, dass sie es ablehne, eine junge Journalistin zu spielen, die dem Autor nur als Beweis für die Scheinmoral der Gesellschaft diene, ansonsten aber völlig blutlos sei, und ihr kurzes Statement gipfelte in dem Satz: „Auch ich halte den jetzigen Stückentwurf für nicht spielbar.“

      Nunweiler, der sich nur am Versmaß klassischer Dramen berauschen konnte, ging noch einen Schritt weiter. Mit einer unverhohlenen Dreistigkeit habe er am Schluss der Veranstaltung erklärt, dass es vielleicht besser wäre, Wolfgang würde ein neues Stück schreiben und seinen jetzigen „Versuch СКАЧАТЬ