Leben ohne Maske. Knut Wagner
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Название: Leben ohne Maske

Автор: Knut Wagner

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

Серия:

isbn: 9783957163080

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СКАЧАТЬ getragen hat. Sein richtiger Name war Wladimir Iljitsch Uljanow.“

      Ein Tresor voller historischer Raritäten, dachte Wolfgang und gab Lisa die Zeitung und das schwarze Notizbuch zurück.

      Durch das einzige Fenster des Kontors konnte Wolfgang sehen, wie Heidi auf der Wiese hinterm Haus mit Theo Fußball spielte, und Lisa sagte: „Wenn du genau wissen willst, wen du da zur Freundin hast, solltest du mal einen Blick auf diesen Stammbaum werfen.“

      Wolfgang bestaunte die weitverzweigte Ahnenreihe, die den Platz einer halben Wand einnahm, und Lisa, die in der Verwandtschaft als die große Bewahrerin angesehen wurde, deutete auf den Namen ihres Ur-Ur-Großvaters Heinrich Anschütz, der am 7. Februar 1784 in Zella-Mehlis geboren und Kohlenbrenner gewesen war.

      Sich intensiv mit dem Stammbaum der Anschützens zu beschäftigen hätte bedeutet, der Geschichte von Johann Heinrich Anschütz, seinem Sohn Christian und dessen Sohn Emil und dessen Sohn Oskar und dessen Kindern und Kindeskindern nachzugehen und sich eingehend mit dem Schicksal von Kohlenbrennern und Dielenschneidern, von Schneidmüllern und Zimmermeistern zu befassen. Aber dazu war keine Zeit an diesem Nachmittag. Denn in der grau gestrichenen Gartenlaube, die Oskar Anschütz vor Jahrzehnten selbst gezimmert und aufgestellt hatte, saßen bereits Heidi, Minna, Oskar, Onkel Rolf, Tante Herta, Onkel Fritz und der kleine Theo am Geburtstagstisch.

      Als Tante Lisa und Wolfgang sich zu ihnen setzten, pustete Heidi die 22 Kerzen aus, die flackernd auf dem reich gedeckten Tisch standen, und schnitt zur Feier des Tages die Schwarzwälder Kirschtorte an. Bis in den späten Abend hinein wurde gefeiert und getrunken. Man probierte die Erdbeerbowle, die Minna gemacht hatte. Man trank Bier und prostete sich mit Schnaps zu. Man stieß mit Wein an und ließ die Sektkorken knallen.

      Als Tante Lisa ihren Sohn, der total übermüdet war, ins Bett brachte, verließ auch Oskar Anschütz die Geburtstagstafel. Auch er ging ins Bett, obwohl es noch hell war. „Er geht zwar mit den Hühnern ins Bett. Aber morgens steht er nicht mit ihnen auf“, kommentierte Onkel Rolf Oskars vorzeitigen Aufbruch.

      „Vor neun lässt er sich kaum blicken“, sagte Fritz. Und Rolf, der voller Häme gegen den Alten schien, wollte von Wolfgang unbedingt wissen, was Oskar Anschütz ihm beim großen Rundgang durch die Schneidmühle so erzählt hatte.

      „Er hat mir erzählt, dass er noch heute auf der Spezialmaschine, die er Anfang der 30er-Jahre angeschafft hat, für die Leute Fußbodenbretter hobelt.“

      „Und hat er dir auch gesagt, was er mit dem Geld macht?“

      „Nein.“

      „Das trägt er in den Konsum. Dafür kauft er sich Schokolade, die er heimlich isst, und Schnaps“, sagte Tante Herta erbost. Im Gegensatz zu Lisa war sie flachbrüstig, schielte leicht und hatte ein mausgraues Kostüm an, unter dem sie eine herrenhemdartige, hoch geschlossene Bluse trug.

      „Vorgestern“, sagte Rolf, „hat sich Oskar den Kopf mit Kampferspiritus eingerieben, weil sein Eiswasser alle war. Und als er merkte, dass seine Kopfhaut zu brennen anfing, hat er geschrien, und ich habe ihm eine ganze Dose Panthenolspray auf den Kopf gesprüht.“

      „Wie eine Frau lief Oskar den halben Tag mit seiner Kopfpackung herum“, sagte Onkel Fritz, und alle lachten.

      „Er ist eben ein schrulliger, alter Mann“, sagte Lisa, die ihren Vater nicht weiter dem Gespött preisgeben wollte. Wolfgang sagte, dass er den Schneidmüller bewundere. Er besitze Charisma und sei für sein Alter noch unheimlich vital.

      „Vital ist er“, sagte Onkel Rolf, „weil er sich geschont hat, seit ich ihn kenne.“

      „Wenn wir auf der Wiese standen und Heu machten, lag er auf seinem Sofa, weil er angeblich die Hitze nicht vertrug. Aber wir mussten sie ertragen“, erzählte Onkel Fritz. „Und abends dann, wenn das Heu vom Wagen in die Scheune gegabelt werden musste, spielte er den starken Mann.“ „Komm, Mann“, sagte Tante Herta. „Es ist spät.“ Und Onkel Rolf gehorchte. Bevor er sich jedoch erhob, griff er nach einer dicken, schwarzen Zigarre und steckte sie in die aufgenähte Brusttasche seines kurzärmligen, karierten Campinghemds. „Wegzehrung“, sagte er lächelnd.

      „Hast du gesehen, was für ein Nassauer er ist?“, sagte Fritz zu Wolfgang. Die Konkurrenz zwischen den Schwiegersöhnen war spürbar. Jeder der beiden fühlte sich zum Chef berufen. Aber der Alte gab die Zügel nicht aus der Hand.

      Nachdem Onkel Rolf und Tante Herta gegangen waren, eröffnete Heidi ihrer Großmutter, ihrer Patentante und ihrem Patenonkel, dass sie sich im nächsten Jahr verloben und in zwei Jahren heiraten wolle.

      Daraufhin sagte Lisa: „Mädchen, Mädchen, mach bloß die Augen auf, Heiraten ist kein Pferdekauf.“

      „Wenigstens das Mittelstück passt“, meinte Fritz, schenkte Wolfgang Schnaps nach und prostete ihm zu.

      Heidis Großmutter tat, als habe sie die frivole Bemerkung ihres Schwiegersohns nicht gehört, und sagte: „Als Oskar und ich uns das Jawort gaben, war ich 18 Jahre alt und im dritten Monat schwanger. Lisbeth kam am 10. September 1922 zur Welt.“

       9. Kapitel

      Als Heidi und Wolfgang am nächsten Vormittag wieder in Arnsbach eintrafen, wollte August Stillmark von Wolfgang unbedingt wissen, wie ihm der Alte gefallen habe. Heidi kam Wolfgangs Antwort zuvor: „Er hat ihn stark beeindruckt.“ Tatsächlich war Wolfgang fasziniert von Oskar Anschütz, weil er groß und kräftig war und einen Stoppelbart wie Hemingway hatte.

      August Stillmark hingegen hasste seinen Schwiegervater und sagte: „Wenn der alte Schneidmüller mal stirbt, werde ich nicht zu seiner Beerdigung mitgehen, und mein Name wird auch nicht unter den trauernden Hinterbliebenen zu finden sein.“

      Wolfgang wurde das Gefühl nicht los, dass August Stillmark alles unternahm, um seinen Schwiegervater abzuqualifizieren. Es schien, als wolle er dem Niedergang der Schneidmühle den rasanten Aufstieg einer PGH entgegensetzen, die er mit aufgebaut hatte, und Wolfgang hatte das Gefühl, als wolle August Stillmark ihm vor Augen führen, dass er mehr als sein Schwiegervater vorzuweisen habe. Denn von dem Sägewerk, in dem einst 21 Leute beschäftigt waren, war nichts als eine kleine Metallbude übrig geblieben, in der zwei Männer und eine Frau Kofferscharniere stanzten.

      „Als ich beim alten Menz vor 13 Jahren als Werkzeugmacher anfing, waren wir drei Leute“, sagte August Stillmark zu Wolfgang. „Aber das war nur in den ersten drei Jahren der Fall. Dann stockten wir jedes Jahr die Personaldecke mehr und mehr auf, und da es sich herumgesprochen hatte, dass es bei uns gutes Geld zu verdienen gab, hatten wir ziemlichen Zulauf und konnten uns die besten Leute raussuchen. Jetzt sind wir 21 Mann. Mit uns geht es bergauf, und durch einen Anbau wollen wir die Werkstatt im nächsten Jahr modernisieren und erweitern.“

      Bei Gelegenheit wolle er Wolfgang den Betrieb zeigen, in dem er als Werkzeugmacher und Technologe arbeite, sagte August Stillmark. An diesem Samstagvormittag wurde er nicht müde, Wolfgang gegenüber zu betonen, wie gefragt die Messerköpfe der Firma Menz seien, die er mit entwickelt habe.

      Stunden später saß Louis Stillmark gedankenversunken auf der verwitterten, grünen Gartenbank, die an der Giebelseite des alten Holzschuppens stand, und Wolfgang setzte sich zu ihm.

      Es war heiß an diesem frühen Nachmittag, und Heidi sagte vom Küchenfenster aus: „Heute Abend muss ich unbedingt zum Gießen auf den Friedhof gehen.“

      Louis Stillmark, der trotz der Hitze ein langärmliges, weißes Hemd, eine anthrazitfarbene Strickjacke und gelbe, СКАЧАТЬ