Leben ohne Maske. Knut Wagner
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Название: Leben ohne Maske

Автор: Knut Wagner

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

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isbn: 9783957163080

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СКАЧАТЬ Alter von 60 Jahren habe er seine zweite Frau Karoline verloren. Sie habe es mit der Bauchspeicheldrüse gehabt und sei kurz darauf gestorben, sagte Louis Stillmark. Besonders tragisch aber empfand Wolfgang, was Louis Stillmark ihm über die Todesumstände seiner ersten Frau erzählte, und es störte ihn nicht, dass Heidis Großvater weit ausholte.

      „Es war im ersten Weltkrieg“, sagte Louis Stillmark. „Ich war Kanonier. In Metz hatte ich als Ungedienter im März 1915 einrücken müssen, ab Februar 1916 hatte man uns ins Schlachtgetümmel an der Ostfront geworfen. Als unser Regiment bei der Offensive in Französisch Flandern Ende Mai 1918 eine strategisch wichtige Hügelkette erstürmte, bekam ich eine Woche später das Eiserne Kreuz zweiter Klasse und durfte zwei Wochen später auf Heimaturlaub fahren. Aber als ich nach Hause kam, erfuhr ich schon am Bahnfof, dass meine Frau am Tag zuvor beerdigt worden war.“

      Louis Stillmark machte eine Pause. „Ich war einen Tag zu spät gekommen“, sagte er. Auguste, seine erste Frau, war an Influenza gestorben. Seine fünfjährige Tochter Minna war von einem Tag auf den anderen Halbwaise geworden.

      „Glücklicherweise nahm ihre Patentante, deren Ehe kinderlos war, sie so lange zu sich, bis ich im Januar 1919 aus dem Militärdienst in Hersfeld entlassen wurde.“

      Obwohl diese Geschichte fast 50 Jahre zurücklag, trieb es Louis Stillmark beim Erzählen noch immer die Tränen in seine hellblauen, vom grauen Star getrübten Augen.

      Wenig später betrat August Stillmark den Hof und gesellte sich zu seinem Vater und Wolfgang. Er setzte sich in den Schatten der Halle und begann, die Sense zu dengeln, denn er hatte Tante Anna versprochen, ihr beim Mähen der Wiese zu helfen. Heidi sagte Tante Anna zu der alten Frau, obwohl sie mit Stillmarks nicht verwandt oder verschwägert war. Sie war eine gute Nachbarin, die schwer an Asthma litt.

      Als August Stillmark mit dem Dengeln der Sense fertig war, setzte er sich zu Heidi, Wolfgang und Louis Stillmark, die schon mit dem Kaffeetrinken begonnen hatten. Der weiße Gartentisch, an dem sie saßen, stand unter einem alten Apfelbaum. Die ersten frühreifen Äpfel lagen wie Billardkugeln im sommerheißen Gras. Die Grillen zirpten laut, und unter dem dichten, großen Blätterdach des knorrigen Apfelbaums sitzend, konnte man hören, wie der Dachstuhl und die Ziegel vor Hitze knackten und knisterten.

      Er könne kaum glauben, dass das Haus vor 40 Jahren gebaut worden sei, sagte Louis Stillmark. „Im Oktober 1926 hatten wir uns entschlossen, ein eigenes Haus zu bauen. Zu Weihnachten lag die Bauzeichnung vor, und im Februar, zu meinem 40. Geburtstag, hielt ich den Bauschein in den Händen, und dem Baubeginn im Frühjahr 1927 stand nichts mehr im Weg“, erzählte er. „Das Grundstück, das wir benötigten, hatte Karoline mit in die Ehe gebracht, und der Hausbau sollte insgesamt 9.100 Mark kosten.“

      Bis zum Richtfest und dem Decken des Daches sei alles wie am Schnürchen gelaufen, berichtete Louis Stillmark. „Aber als das Haus im November 1927 bezugsfertig war, geriet ich in arge Bedrängnis. Und ich konnte die Handwerker-Rechnungen nicht bezahlen, weil der Landrat in Kassel uns erst ein Jahr später den zugesicherten Kredit über 2.500 Mark gewährte.“

      So habe der Vater seiner ersten Frau, der die Tüncherarbeiten ausgeführt habe, fast zwei Jahre auf sein Geld warten müssen, sagte Louis Stillmark. „Wenn er nicht so viel Verständnis für meine missliche Lage aufgebracht hätte, wäre unser Traum vom eigenen Haus noch in letzter Sekunde geplatzt. Ihm war es zu danken, dass wir das Haus zu viert Ostern 1928 beziehen konnten.“

      Als Louis Stillmark mit seiner Hausgeschichte endlich zu Ende war, sagte August Stillmark unüberhörbar laut: „Wer Heidi einmal heiratet, erbt das Haus, ob er will oder nicht.“

      Als die Hitze etwas nachgelassen hatte, half August Stillmark Tante Anna beim Mähen. Heidi und Wolfgang machten sich auf den Weg zum Friedhof. Der Gang auf den Friedhof war für Heidi etwas Selbstverständliches und an heißen Tagen obligatorisch. Die Blumen mussten gegossen werden, und ein Grab, das ungepflegt war, war eine Schande.

      Im Schatten einer großen Fichte stand ein weißer, großer Grabstein, auf dem mit schwarzer Schrift geschrieben stand: Karoline Stillmark, geb. Büchner, *18. Februar 1888, +3. Oktober 1947 in Arnsbach.

      „Ich war zwei Jahre alt, als meine Großmutter starb. Und als sie tot war, habe ich nach ihr gefragt. Ich wollte wissen, wo sie ist“, sagte Heidi. „Als Kind habe ich oft mit meinem Großvater vor diesem Grab gestanden.“

      Wolfgang sah Heidi zu, wie sie sich über das Grab bückte, welke Blüten von den lilafarbenen Stiefmütterchen zupfte und anschließend zwei Mal hintereinander mit einer großen Zinkgießkanne goss.

      Viele Leute waren an diesem Abend auf dem Friedhof. Gießkannen schwenkend bewegten sie sich zwischen den Grabreihen. Sie verharrten andächtig vor den efeubewachsenen oder blumengeschmückten Gräbern und gedachten ihrer Verstorbenen.

      Für Heidi war es ein Leichtes, vor Gräbern in die Familiengeschichte einzutauchen. Für Wolfgang hingegen verlor sich die Spur seiner Vorfahren im Dunkel. Im schlesischen Hausdorf lag sein Großvater begraben, der bei einem Bergwerksunglück ums Leben gekommen war, und Onkel Heinrich, der Bruder seiner Mutter, war in Tschudskoj-Bor südwestlich von Petersburg gefallen.

      Krieg und Vertreibung hatten die Familienbande durchschnitten. Die einzige Brücke, die es zwischen damals und jetzt gab, war seine Großmutter, die ihm märchenhaft verbrämt, in Kindertagen Geschichten aus der schlesischen Heimat erzählt hatte.

      Als Heidi und Wolfgang vom Friedhof kamen, saß Louis Stillmark noch immer auf der Bank an der Giebelseite des alten Holzschuppens. Er zeigte sich zufrieden, dass Heidi nach Karolines Grab gesehen hatte. „Sie war eine herzensgute Frau“, sagte er. „Aber sie ist leider nur 59 Jahre alt geworden.“

      „Ich werde auch mal nicht älter“, sagte August Stillmark, der vom Mähen auf Tante Annas Wiese kam.

      Der frühe Tod seiner Mutter beschäftigte ihn sein Leben lang. Er war 26 Jahre alt, als sie gestorben war.

      August Stillmark, die Sense in der Hand, fragte Wolfgang, ob er schon mal gemäht habe. „Gesichelt habe ich schon, aber noch nie gemäht.“

      Das brachte August Stillmark auf die Idee, Wolfgang zu zeigen, wie gemäht wird.

      Er suchte im Schuppen nach einer zweiten Sense, schärfte sie mit einem Wetzstein, der, wie er Wolfgang erklärte, nicht zu hart sein durfte, und drückte Wolfgang den Sensenstiel in die Hand.

      „Jetzt kann’s losgehen“, sagte er, und Wolfgang folgte ihm auf das große Stück Wiese hinterm Haus.

      Ein Mann müsse in der Reihe mähen können, sagte August Stillmark, und seine Kurzunterweisung geriet zu einem Fachvortrag. Aufrecht müsse man stehen und dürfe sich keinesfalls nach vorn beugen, wenn man zum Mähen aushole. Das Sensenblatt sollte so auf dem Gras aufliegen, dass die Sensenspitze sich nicht in der Erde festhaken könne. Auch dürfe der Halbkreis, den man mit der Sense beschreibe, nicht zu groß sein, und August Stillmark machte Wolfgang vor, wie mit einem gleichmäßigen Kraftaufwand und gleichmäßig großen Schwüngen das Gras gleichmäßig kurz abgemäht wurde.

      Trotz der eingehenden Belehrung und des Vormachens kam bei Wolfgangs Mähversuchen nur wüstes Hacken heraus, und August Stillmark sah ein, dass Wolfgang ein Großstädter war, der wohl nie das Mähen lernen würde. Wolfgang solle die Sense zurück in den Schuppen hängen, sagte er. Während Wolfgang vom hinteren Grundstück aus auf das Haus zuschritt, die Sense wie Gevatter Tod geschultert, ließ August Stillmark sein scharfes Sensenblatt leicht durch das feuchte Gras gleiten. Mit dem Mähen hörte er erst auf, als die Dunkelheit hereinbrach und der bleiche Mond rund und hell über den nachtschwarzen СКАЧАТЬ