Название: Begegnungen mit Bismarck
Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806242683
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Seine ersten Versuche, sich mit dem Abgeordnetenhause zu verständigen, fanden natürlich kein Entgegenkommen. In einer Kommissionssitzung sagte er mit Hinweisung auf die Heeresreform: „Die Einheit Deutschlands wird nicht durch Kammerreden bewirkt werden, sondern durch Eisen und Blut.“ Als diese Worte bekannt wurden, ging ein Schrei des Unwillens durch das Land. In Breslau erzählte mir ein hoher Regierungsbeamter, Bismarck habe an diesem Tage zu stark gefrühstückt; „sonst hätte er wohl so etwas nicht sogen können.“
Das Herrenhaus verwarf am 10. Oktober den vom andern Hause verstümmelten Etat von 1862. Dadurch wurde eine budgetlose Verwaltung unvermeidlich. Die Session des Landtags endete am 12. Oktober.
Am 19. reiste ich von Breslau zur dritten Weltausstellung nach London und, um Bismarck als Minister zu begrüßen, meldete ich mich bei ihm als Kurier zur Mitnahme von Depeschen. Er sah blaß, aber wohl aus, sprach ausführlich über einige gerade vorliegende Fragen des auswärtigen Dienstes und lud mich ein, auf der Rückreise einige Tage in Berlin zu bleiben.
Als ich am 1. November zurückkehrte, befand er sich in Paris zur Verabschiedung beim Kaiser Napoleon. An diesem Tage hörte ich von einem mir befreundeten Landsmann, dem Literaturhistoriker Julian Schmidt, daß Bismarck in den ersten Tagen seines Ministeriums zwei altliberale Abgeordnete zu sich eingeladen hatte, um ihnen Ministerposten anzubieten. Diese Thatsache ist durch Sybels Geschichte der Begründung des Deutschen Reiches9, wenn nicht früher, bekannt geworden. Dort wird aber nicht erwähnt, daß er – nach Schmidts Zeugnis – auch den Redakteur der National-Zeitung, Herrn Dr. Zabel, zu einer Besprechung einlud und demselben ausführlich darlegte, er strebe in der deutschen Politik nach demselben Ziele wie die liberale Partei; zu dessen Erreichung sei jedoch Aufrechterhaltung der Heeresreform unerläßliche Vorbedingung; die Partei handle daher völlig verkehrt, wenn sie ihn nicht unterstütze.
Bei dem damaligen Stande der öffentlichen Meinung konnte aber jeder der Eingeladenen nur erklären, daß ohne die Zusage der zweijährigen Dienstzeit irgendeine Unterstützung der Regierungspolitik vonseiten der liberalen Parteien unmöglich sei.
Am 1. Dezember hatte ich in Berlin Privatgeschäfte und war zu Tische bei Bismarck um 5 Uhr, was damals noch die gewöhnliche Zeit seiner Hauptmahlzeit war. Es kam mir nicht in den Sinn, nach den eben erwähnten Vorgängen zu fragen. Ich wußte, daß die Form der Frage ihm in der Unterhaltung nie willkommen war, und darf hier erwähnen, daß er vielen politischen Agenten die Instruktion gegeben hat, im Verkehr mit Vertretern einer fremden Macht direkte Fragen möglichst zu vermeiden. Wolle man eine gewisse Nachricht konstatieren, so möge man in geschickter Weise das Gespräch auf den Gegenstand bringen. Sei der andere geneigt, das Gewünschte mitzuteilen, so werde er es dann freiwillig thun; habe er jedoch Ursache, darüber zu schweigen, so werde man auch durch eine Frage die Sache nicht herausbringen, sondern dem Gefragten nur eine Mißempfindung bereiten, welche auf schwebende Verhandlungen ungünstig zurückwirken könne.
Ich erhielt also damals keine Bestätigung der Mitteilungen von Julian Schmidt. Anfang Juni 1866 aber erzählte Bismarck, daß er „wieder einmal“ Herrn Zabel zu einer Besprechung eingeladen hätte und daß die politischen Meinungen dieses trefflichen Mannes im Grunde nicht sehr weit von seinen eigenen entfernt wären.
Bei dem erwähnten Diner (am 1. Dezember 1862) hörte er mit Interesse, daß ich in London bei einem deutschen Maler zufällig Mazzini getroffen hatte, welcher versicherte, das nächste Ziel der italienischen Aktionspartei würde nicht Rom, sondern Venedig sein.
Nach dem Essen am Kamine rauchend, sagte Bismarck: „Ich habe Sie im Staatsministerium zum Oberregierungsrat vorgeschlagen. Die andern meinten aber, das ginge nicht, da Sie erst kürzlich vom Assessor zum Rat befördert seien. Ich habe gedacht, ein Adjutantenposten bei mir würde Ihnen nicht zusagen, da Sie an mehr Unabhängigkeit gewöhnt sind. Ich bat deshalb einen Vetter, zu mir zu kommen, den Rittmeister Grafen Karl Bismarck-Bohlen, der hier bei den Dragonern gestanden, aber den Abschied genommen hat. Natürlich fehlt ihm noch Geschäftskenntnis, wohl auch eine feste Gesundheit.“
Darauf ich: „In meinem ganzen Bekanntenkreise weiß ich nur einen Menschen, der vielleicht einigermaßen zu Ihrem Adjutanten passen würde, das bin ich selbst.“
„Sie sind zu schade dazu,“ sagte er; „ich kann Sie doch nicht aus Ihren gesicherten Verhältnissen herausreißen, um hier Laufbursche zu werden. Eine Ratsstelle ist nicht vakant.“
„Daran liegt mir gar nichts,“ erwiderte ich. „Sie mögen es mit andern versuchen, schließlich werden Sie hoffentlich auf mich zurückkommen.“
* * *
Die erste gründliche Auseinandersetzung des Ministerpräsidenten mit dem Abgeordnetenhause fand im Januar 1863 statt bei den Beratungen über die an den König zu richtende Adresse, welche den Vorwurf der Verfassungsverletzung und überdies eine Reihe von Beschwerden gegen das Ministerium erheben sollte. Der Abgeordnete Peter Reichensperger (Geldern) führte aus den Landtagsverhandlungen von 1849, auf welche man, um die Verfassung richtig zu interpretieren, zurückgehen müsse, den Nachweis, daß die meisten Redner beider Häuser unter Zustimmung der Minister dem Abgeordnetenhause ein volles Ausgabebewilligungsrecht hätten beilegen wollen. Andere Redner überhäuften das Ministerium mit leidenschaftlichen Angriffen.
Bismarck trat dem Vorwurfe der Verfassungsverletzung bekanntlich mit dem Wortlaute des Artikel 99 der Verfassungsurkunde entgegen, welcher lautet: „Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr im Voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgesetzt.“
Nun gehöre, sagte er, zum Zustandekommen dieses wie jedes anderen Gesetzes Uebereinstimmung der drei Faktoren der Gesetzgebung. Solange diese fehle, habe eine Ausgabeverweigerung des Abgeordnetenhauses nur den Wert einer Meinungsäußerung, keineswegs aber rechtsverbindliche Kraft. Wenn eine entgegengesetzte Praxis sich in England durch altes Herkommen gebildet habe, wenn solche auch in andern Ländern gelte, wo parlamentarische Verfassungen nach englischem Muster eingeführt wurden, und wenn sich hierdurch eine entsprechende staatsrechtliche Doktrin gebildet habe, so sei das ohne praktische Bedeutung für Preußen, weil unsere Verfassung die Mitwirkung des Herrenhauses und des Königs zum Budgetgesetze wie zu jedem anderen vorschreibe. Da der Wortlaut der Verfassungsurkunde einen völlig klaren Sinn gäbe, so sei kein Anlaß zu irgendwelcher Interpretation.
Allerdings könne hienach jeder der beiden andern Faktoren das Ausgabebewilligungsrecht des Abgeordnetenhauses vernichten; ebenso klar aber sei, daß nach dem englischen Rechte das Abgeordnetenhaus die Staatsmaschine willkürlich zum Stillstand bringen könne. Es müsse eben als natürlich vorausgesetzt werden, daß jede der gesetzgebenden Gewalten ihr Recht mit Mäßigung und in Hinblick auf das Gemeinwohl ausüben würde, was jedoch hier im vorigen Jahre nicht geschehen sei.
Bismarck schloß mit den berühmten Worten: „Das preußische Königtum hat seine Mission noch nicht erfüllt, es ist noch nicht reif dazu, einen rein ornamentalen Schmuck Ihres Verfassungsgebäudes zu bilden, noch nicht reif, als ein toter Maschinenteil dem Mechanismus des parlamentarischen Regimentes eingefügt zu werden.“
Es war vorauszusehen, daß beide Teile, das Ministerium wie das Abgeordnetenhaus, für Gewissenspflicht halten würden, auf ihrem Rechtsstandpunkte auszuharren. Eine Lösung des Konflikts schien auf theoretischem Gebiete unmöglich.
Außerhalb der Offizierskreise standen in Breslau fast alle meine Bekannten, die sich überhaupt äußerten, auf der Seite des Abgeordnetenhauses; aber mein in Ostpreußen lebender Bruder stimmte voll ein in meine Bewunderung СКАЧАТЬ