Название: Begegnungen mit Bismarck
Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806242683
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… „Diesen Schwirr von früh bis spät jeden und jeden Tag vertrage ich kaum.
Ich werde allgemach unausstehlich dabei und die Sorge um Bismarck seufzt ununterbrochen in den kläglichsten Molllauten durch mein Herz …
„Man sieht ihn nie und nie – morgens beim Frühstück fünf Minuten während Zeitungsdurchfliegens –, also ganz stumme Scene. Drauf verschwindet er in sein Kabinett, nachher zum König, Ministerrath, Kammerscheusal – bis gegen fünf Uhr, wo er gewöhnlich bei irgendeinem Diplomaten speist, bis 8 Uhr, wo er nur en passant Guten Abend sagt, sich wieder in seine gräßlichen Schreibereien vertieft, bis er um halb zehn zu irgendeiner Soiree gerufen wird, nach welcher er wieder arbeitet bis gegen ein Uhr und dann natürlich schlecht schläft. Und so geht’s Tag für Tag – soll man dabei nicht elend werden vor Angst und Sorge um seine armen Nerven …
„Wie sich das Demokraten-Volk gegen meinen besten Freund benimmt, lesen Sie hinlänglich in allen Zeitungen. Er sagt, es sei ihm „nitschewo“10, aber ganz kalt läßt es ihn doch nicht.“ …
Dieser Brief wurde geschrieben am Abend des zweiten Tages der langatmigen Verhandlungen des Abgeordnetenhauses über den damals im Königreich Polen ausgebrochenen Aufstand und den Versuch der Regierung, denselben durch Verständigung mit Rußland von unseren Grenzen fernzuhalten.
Allerdings überschütteten selbst Führer der altliberalen Partei, die Sybel, Twestten und Simson, in jenen Tagen den Ministerpräsidenten mit ausgesuchten Liebenswürdigkeiten.
Der eine sagte: „Diese Regierung kann weder im Innern noch nach außen handeln, weder ruhen noch wirken, ohne die Gesetze dieses Landes zu verletzen … unter solchen notorisch unfähigen und unglücklichen Befehlshabern sind überall Niederlagen zu erwarten.“
Der andere: „Die Ehre der augenblicklichen Regierung ist nicht mehr die Ehre des Staates und des Landes.“
Der Dritte: Zu gutem Regieren gehöre Genie oder wenigstens Talent; dieser Regierung könne man jedoch nur die jedem Seiltänzer zugewendete Bewunderung zollen, daß sie nicht fällt.
Mir erschien es bewunderungswürdig, daß Bismarck solchen Maßlosigkeiten gegenüber eine äußerlich ruhige Haltung beobachtete.
In diesen Tagen sprach er die später oft angeführten Worte: „Die Neigung, sich für fremde Nationalitäten und Nationalbestrebungen zu begeistern auch dann, wenn dieselben nur auf Kosten des eigenen Vaterlandes verwirklicht werden können, ist eine politische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung sich auf Deutschland leider beschränkt.“
Am 26. März schrieb Frau von Bismarck:
… „Sehr reizend wäre es, wenn ich Sie nächsten Mittwoch, den 1. April, um 10 Uhr früh zu seinem Geburtstag aufbauen könnte. Was meinen Sie? … Von dem geselligen Wirrwarr sage ich nichts. Sie kennen das, wie es hier geht und wie man zuletzt ganz schwach davon wird, nicht leiblich, sondern geistig. Das Schlimmste ist, wenn zwischendurch pommersche Verwandte und gute Bekannte hereinfallen, die einen sehen wollen und gekränkt sind, wenn man sich ihnen nicht immer zur Disposition stellt. – Bismarck bekommt aus allen Provinzen viele freundliche Adressen und Depeschen, Säbel, Kuchen, Lorbeerkränze und Gedichte und freut sich, daß man ihn liebt. Ich freue mich auch und fände es wunderbar, wenn es nicht wäre … Sein Befinden ist leidlich, aber blaß und unermeßlich beschäftigt ist er von 10 Uhr morgens immer bis 1 Uhr nachts) trotz Bitten und Lampenauslöschen“ …
Am 1. April kam ich früh in Berlin an und blieb von 10 Uhr morgens bis 10 Uhr abends bei Bismarcks. Er litt an starken Kopfschmerzen und lag den ganzen Vormittag auf dem Sofa, ohne ein Wort zu sagen. Erst gegen Abend wurde es besser. Besuch wurde nicht angenommen; nur einige Verwandte, namentlich seine schöne und geistvolle Schwester, Frau v. Arnim-Kröchlendorff, mit Gemahl und Tochter leisteten ihm Gesellschaft. Er war in alter Weise freundlich zu mir, sagte aber kein Wort über die Möglichkeit meiner Berufung.
Bald darauf hatte ich Anlaß, sein Vertrauen in einer wichtigen Angelegenheit anzusprechen.
In Breslau wurde der konservative Oberbürgermeister Elwanger trotz anerkannt großer Verdienste um die städtische Verwaltung nicht wieder gewählt, sondern die Wahl der Stadtverordneten fiel auf den Regierungsrat Hobrecht, welchen Graf Schwerin 1860 als Hilfsarbeiter in das Ministerium des Innern berufen hatte und welcher sich auch 1863 noch in dieser Stellung befand. Ende April beschloß die Breslauer Regierung mit nur einer Stimme Majorität, die Bestätigung des Gewählten zu befürworten. Ich befürchtete Beanstandung dieses Antrages im Staatsministerium und schrieb daher an Frau von Bismarck, mit der Bitte um Mitteilung an ihren Gemahl, einige Bemerkungen zu Gunsten Hobrechts, den ich als einen vertrauten Jugendfreund genau kannte.
Sie erwiderte: „Hobrecht ist vorgelesen, aber man liebt ihn gar nicht, wie es scheint, also weiß ich nicht, was geschieht.“
Da mir Gefahr im Verzuge möglich schien, telegraphierte ich sofort zurück die Worte: „Bürge für den Mann mit Ehre und Vermögen“; worauf ich natürlich keine Antwort erwartete.
Am 26. Mai war ich in Berlin bei Bismarcks zu Tische und saß neben dem Minister. In einer Pause des allgemeinen Gesprächs fragte er mich: „Sie halten den Mann also für tugendhaft?“ Ich erwiderte: „Mehr als ausreichend für den Bürgermeisterposten. Es ist ein Glücksfall, daß die überwiegend demokratischen Stadtverordneten diesen zuverlässigen Altliberalen gewählt haben, der manche Eigenschaften besitzt, um bald Einfluß auf die Leute zu gewinnen. Würde er nicht bestätigt, so wäre die Wahl eines roten Demokraten zu erwarten. Dann müßte ein Regierungskommissar mit Leitung der Stadtverwaltung beauftragt werden, der noch weniger Einfluß haben würde als der frühere Bürgermeister.“
„So“, sagte der Minister leise für sich und begann dann wieder ein allgemeines Gespräch.
Gegen Abend fuhr er nach dem Potsdamer Bahnhof und lud mich ein, mitzufahren. Er sprach von der durch den General von Alvensleben im Februar abgeschlossenen preußisch-russischen Konvention. „Dieselbe hat bewirkt,“ sagte er, „daß die Polenfreunde in Petersburg nicht zur Geltung kamen und daß der Kaiser Alexander uns im Gegensatz zu Oesterreich und den Westmächten als Freunde erkannte. Die Konvention wird vom Publikum falsch beurteilt, weil man die Erdschichten nicht kennt, in welchen die Wurzeln dieses Gewächses lagen.“ Plötzlich fragte er, ob ich kommen wolle, wenn er mich riefe, auch ohne sichere Aussicht auf eine Ratsstelle. „Gewiß“, sagte ich. „Daß keine Ratsstelle frei ist, beruhigt mich einigermaßen. Eine längere Probezeit scheint mir gerade in diesem Falle unerläßlich.“ Er meinte dann, die amtliche Einberufung würde erst im Herbst erfolgen, nach Rückkehr des Königs von den Sommerreisen.
Anfang Juli schrieb mir Frau von Bismarck in seinem Auftrage, daß er nur auf Grund meiner Bürgschaft die Bestätigung Hobrechts im Staatsministerium durchgesetzt habe.
Bei diesem Beschluß hatte er vielleicht auch eine persönliche Mißempfindung zu unterdrücken. Einige Monate vorher war im Staatsministerium über den Entwurf der Kreisordnung, welchen Graf Schwerin hatte ausarbeiten lassen, beraten worden. Als dabei der Ministerpräsident sich über das ganze Projekt in wegwerfendem Tone äußerte, begann Hobrecht als Referent seine Erwiderung mit den Worten: „Ich weiß nicht, ob Sie den Entwurf gelesen haben.“ Nur Hobrecht selbst hat mir dies später erzählt.
Nach Jahren hat Bismarck mir zweimal für meine Empfehlung Hobrechts gedankt.
Als im Frühjahr 1866, beim Herannahen des Krieges, aus Ostpreußen, Pommern und vom Rhein viele kleinmütige Adressen um Erhaltung des Friedens an den König gerichtet wurden, kam von den Breslauer Stadtbehörden eine kriegerisch begeisterte Bitte um gründliche СКАЧАТЬ