Название: Begegnungen mit Bismarck
Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806242683
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V.
Berlin. September 1862 bis November 1863.
Reinfeld, 21. Juni 1862.
… „Aus Paris bekomme ich oft liebe und Gott sei Dank gute Gesundheits-Briefe, nur stets in Angst um Berliner Telegramme, die Wilhelmstraßen-Gefängniß bringen könnten. Bismarck hat 14 Tage in Berlin auf Entscheidung gewartet, ist dann ärgerlich geworden, worauf man ihn schleunigst nach Paris ernannte, aber gleich dabei sagte, unter Umständen wäre wohl eine baldige Zurückberufung möglich. …“
3. Juli.
… „Von Bismarck hatte ich eben einen lieben Brief – gottlob gesund, aber unsicher wie immer. Heute sollte er in Fontainebleau bei Louis speisen und parforcejagen.“ …
9. August.
… „Von Bismarck kommen die liebsten Briefe – ganz berauscht von den wundervollen Gegenden, die er am Atlantischen Ocean wie in den schönen Pyrenäen täglich durchwandert. St. Sebastian scheint ihm bis jetzt den überwältigendsten Eindruck gemacht zu haben, aber er war auch sehr entzückt von verschiedenen französischen Schlössern (Chambord und Chenonceaux), von Bordeaux und Biarrits; er ist gottlob recht wohl und noch nicht entschieden, wie lange und wo er eigentlich bleiben will; vierzehn Tage hat er von seinen 6 Wochen Urlaub schon verreist und das Heimweh plagt ihn trotz aller himmlischen Naturgenüsse so sehr, daß er die Badekur in Biarrits, die er sich vorgenommen, wohl ziemlich kurz einrichten wird.“ …
Reinfeld, den 7. September.
… „In diesem Monat soll sich viel entscheiden. Bismarcks letzter Brief (vom 30ten aus Biarrits) war fast wehmüthig über die baldige Trennung von dem reizenden Meer, den liebenswürdigen Russen und der schönen Bummelzeit, die er mit ihnen vier Wochen dort vollführt – er ist ganz hingerissen von Kathi Orlow (Frau des russischen Gesandten in Brüssel), die ihm täglich alle Beethovens, Schuberts, Mendelssohns u. s. w. vorspielt; und wenn ich Anlage zu Neid und Eifersucht hätte, könnte ich mich jetzt wahrscheinlich bis in tiefste Abgründe von diesen Leidenschaften tyrannisieren lassen. In meiner Seele ist aber gar kein Stoff dazu vorhanden, ich freue mich nur immerzu ganz ungeheuer, daß mein lieber Gemahl die reizende Frau dort gefunden, ohne deren Gesellschaft er nimmer so lange Ruhe auf einem Fleck gehabt hätte und dann nicht so gesund geworden wäre, wie er’s in jedem Briefe rühmt. Das biskaische Meerwasser und die südfranzösische Luft haben ihm wundervoll wohlgethan – Gott sei tausend Dank dafür.“ …
24. September.
… „Unser Schicksal wird sich in diesen Tagen entscheiden, ist vielleicht schon geschehen, da Bismarck nach seiner Rückkehr von Meer und Gebirgsfreuden mit zwei telegraphischen Depeschen eilends nach Berlin gerufen wurde, von wo er mir schon freundlichst und gesund, aber sehr mißgestimmt geschrieben, weil er wieder große Uneinigkeit in allen Regionen gefunden und tobend fürchtet, um nichts und wieder nichts festgehalten zu werden und am Ende ganz dort hängen zu bleiben, was ihm einen gleichen Schauder gibt wie mir. Gott mög’s fügen, wie es heilsam für uns ist – man hat nach all’ der langen Bummelei gar keinen Willen mehr, und ich flehe nur dringend, daß es gut werde für Bismarck und die Kinder – ich bin wirklich sehr Nebensache und stets zufrieden, wo die vier glücklich und gesund sind. Das weiß Gott!“ …
Am 23. September erfolgte die Berufung Bismarcks zur Leitung des Staatsministeriums.
* * *
Um die Aufgabe verständlich zu machen, vor welche er damals gestellt wurde, muß ich kurz erzählen, wie aus der Heeresreform der Verfassungskonflikt erwachsen war.
Nach den grundlegenden Gesetzen von 1814 und 1815 war in Preußen jeder gesunde Mann vom 20. bis zum 50. Lebensjahre wehrpflichtig, und zwar 3 Jahre im stehenden Heere, 2 Jahre in der Reserve; dann in der Landwehr und im Landsturm. Die Landwehrdienstpflicht endete im ersten Aufgebot mit dem 32., im zweiten mit dem 39. Jahre. Die Reservisten hatten jährlich einige Wochen in den Linienregimentern zu üben. Die Landwehrleute ersten Aufgebots wurden der Regel nach nur einmal in 4 Jahren auf 8 Tage einberufen, aber zu besonderen Infanterie- und Kavallerieregimentern formiert, welche mit je einem Linienregimente zusammen eine Brigade in der mobilen Feldarmee zu bilden hatten. Das zweite Aufgebot der Landwehr sollte nur zur Landesverteidigung und zum Festungsdienst, der Landsturm nur in äußersten Notfällen einberufen werden.
Die Stärke des stehenden Heeres und der Landwehr war „nach den jedesmaligen Staatsverhältnissen“ zu bestimmen. Im Kriege sollten bei eintretendem Bedürfnis auch Landwehrleute als Reservisten eingezogen werden.
Die im Jahre 1820 vollendete Organisation des stehenden Heeres gab die Möglichkeit, jährlich 40.000 Rekruten einzustellen. Diese Ziffer war für die damalige Bevölkerung Preußens von etwa 11 Millionen Seelen berechnet; später aber mußten viele wehrfähige junge Leute wegen Mangels an Raum in den Cadres dienstfrei bleiben. Die Zahl derselben war im Jahre 1859, bei einer Bevölkerung von etwa 18 Millionen, auf mehr als 23.000 Köpfe jährlich herangewachsen.
Statt der dreijährigen Dienstzeit wurde lediglich aus Ersparnisrücksichten im Jahre 1833 die zweijährige bei der Infanterie versuchsweise eingeführt; auf Grund der damit gemachten Erfahrungen aber ging man 1852 zur 2 ½-jährigen über und kam 1856 zur dreijährigen Dienstzeit zurück.
Als im Jahre 1859 während des italienischen Krieges 5 Armeekorps mobilgemacht wurden, befanden sich unter den einberufenen Landwehrleuten ersten Aufgebotes 55.277 Familienväter, während Hunderttausende gesunder junger Leute dienstfrei umhergingen.
Der Prinz von Preußen hatte seit Jahrzehnten für die Hauptaufgabe seines Lebens gehalten, die erkannten Mängel der militärischen Einrichtungen zu beseitigen und die Kriegstüchtigkeit des Heeres zu erhöhen. Als Prinzregent befahl er, im Februar 1860, dem Landtage einen Gesetzentwurf vorzulegen, in welchem zwei Grundgedanken hervortraten: vollständige Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht und Ersetzung der Landwehr ersten Aufgebots in der mobilen Feldarmee durch Reservisten.
Zur Aufnahme der bis dahin jährlich dienstfrei gebliebenen über 23.000 Mann als Rekruten war eine bedeutende Vermehrung der Regimenter erforderlich.
Durch Ausdehnung der Reservepflicht von 2 auf 5 Jahre aber gedachte man die Schlagfertigkeit des Heeres zu erhöhen, die Mobilmachungszeit abzukürzen und die älteren Leute zu schonen, welche im ersten Aufgebot der Landwehr zur Hälfte, im zweiten zu 5/6 verheiratet waren.
Es kam auch in Betracht, daß die seit dem Aufhören der „heiligen Allianz“ wesentlich veränderte Lage von Europa militärische Demonstrationen nötig machen konnte, zu welchen die Landwehr heranzuziehen dem Lande Lasten auferlegt haben würde, wie sie bei den Mobilmachungen von 1850 und 1859 wegen der den Kreisbehörden obliegenden Ernährung der Familien einberufener Landwehrmänner als unverhältnismäßig schwer empfunden worden waren.
Zur Ausführung der Heeresreform wurde eine Erhöhung des Militärbudgets um 9 ½ Millionen Thaler jährlich verlangt.
Die von Vincke präsidierte Kommission des damals gemäßigt-liberal und ministeriell gefärbten Abgeordnetenhauses folgte den Ratschlägen des Generalmajors a. D. Stavenhagen, welcher zwar die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht billigte, aber die Erhaltung der Landwehr in der mobilen Feldarmee und Einführung zweijähriger statt der dreijährigen Dienstzeit bei der Infanterie forderte. Man bezeichnete die „durch ruhmvolle Erinnerungen geheiligte“ Institution der Landwehr als den kräftigsten Bestandteil des Heeres und als Bindeglied zwischen dem Volke und dem durch den exklusiven Corpsgeist der größtenteils adligen Offiziere unpopulären stehenden Heere. Wegen der СКАЧАТЬ