Das Zeitalter der Extreme. Eric Hobsbawm
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Название: Das Zeitalter der Extreme

Автор: Eric Hobsbawm

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806239669

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СКАЧАТЬ Moment, die Bolschewiken auf diese Form des ökonomischen Individualismus einzuschwören.

      Auf der anderen Seite war der Provisorischen Regierung und ihren Sympathisanten nicht bewußt geworden, wie unfähig sie war, Rußland dahin zu bringen, ihre Gesetze und Dekrete zu befolgen. Wo Unternehmer und Betriebsleiter die Arbeitsdisziplin wiederherzustellen versuchten, da erreichten sie nur noch eine weitere Radikalisierung der Arbeiter. Als die Provisorische Regierung im Juni 1917 versuchte, die Armee in eine neue Militäroffensive zu treiben, da hatten die Bauernsoldaten endgültig genug. Sie kehrten zurück in ihre Dörfer, um gemeinsam mit ihren Familien an der Verteilung des Landes teilzuhaben. Die Revolution breitete sich denn auch entlang der Eisenbahnschienen aus, die sie in ihre Heimatorte zurückführten. Noch war die Zeit für den Sturz der Provisorischen Regierung nicht reif, doch ab Sommer nahm die Radikalisierung in der Armee und in den größeren Städten immer mehr zu, vor allem aber immer mehr zugunsten der Bolschewiken. Die Unterstützung der Bauern galt in überwältigendem Maße den Sozialrevolutionären, den Nachkommen der Narodniki5, deren linksradikaler Flügel sich den Bolschewiken immer mehr annäherte und nach der Oktoberrevolution für kurze Zeit sogar mit ihnen die Regierungsgewalt teilte.

      Nachdem die Bolschewiken – damals im wesentlichen eine Arbeiterpartei – die Mehrheit in den großen russischen Städten und vor allem in der Hauptstadt Petrograd und in Moskau errungen hatten und nachdem sie auch in der Armee an Boden gewinnen konnten, war das Überleben der Provisorischen Regierung nur noch eine Frage der Zeit. Im August hatte sie an die revolutionären Kräfte in der Hauptstadt appellieren müssen, den Versuch eines konterrevolutionären Staatsstreichs durch einen monarchistischen General niederzuschlagen. Die radikale Grundströmung in ihrer Gefolgschaft drängte die Bolschewiken unaufhaltsam zur Machtübernahme. Als der Augenblick dann da war, mußte die Macht nicht einmal mehr erfochten, sondern brauchte einfach nur noch übernommen zu werden. Es heißt, daß mehr Menschen während der Dreharbeiten zu Eisensteins großem Film Oktober (1927) verletzt wurden als während des tatsächlichen Sturms auf den Winterpalast am 7. November 1917. Die Provisorische Regierung hatte sich schlichtweg in Luft aufgelöst, nachdem niemand mehr zu ihrer Verteidigung übriggeblieben war.

      Von dem Augenblick, an dem der Sturz der Provisorischen Regierung sicher war, bis heute wurde die Oktoberrevolution mit Polemiken überschüttet, die größtenteils völlig in die Irre führen. Der eigentliche Punkt ist nicht die Frage (wie antikommunistische Historiker gerne behaupten), ob es ein Putsch oder ein Staatsstreich des fundamental antidemokratischen Lenin war; es ging vielmehr darum, wer oder was auf den Sturz der Provisorischen Regierung folgen sollte oder konnte. Seit dem frühen September hatte Lenin die zögernden Elemente in seiner Partei davon zu überzeugen versucht, daß ihnen die Möglichkeit der Machtübernahme schnell wieder entgleiten würde, wenn sie sie nicht mit geplanten Aktionen in der wahrscheinlich nur kurzen Zeit an sich reißen würden, in der sie auch in der Lage wären, die gleichermaßen drängende Frage zu beantworten: »Können die Bolschewiken die Staatsmacht halten?« Was hätte überhaupt irgendwer tun können, der den Versuch unternahm, die vulkanische Eruption im revolutionären Rußland zu beherrschen? Keine Partei, außer Lenins Bolschewiken, war darauf vorbereitet, dieser Verantwortung allein ins Auge zu blicken – und Lenins Pamphlet legt nahe, daß nicht einmal unter den Bolschewiken alle im gleichen Maße dazu bereit waren, wie er es war. Die günstige politische Lage in Petrograd, Moskau und in den nördlichen Armeen sprach zwar auf kurze Sicht gesehen dafür, die Macht jetzt zu übernehmen und nicht erst die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Die militärische Konterrevolution hatte gerade erst begonnen. Eine verzweifelte Regierung hätte Petrograd an die deutsche Armee übergeben können (die bereits an den nördlichen Grenzen des heutigen Estland stand, also nur wenige Kilometer von der Hauptstadt entfernt), anstatt den Räten ihren Platz zu überlassen. Lenin hatte noch nie gezögert, den finstersten Tatsachen ins Auge zu blicken. Wenn die Bolschewiken den Moment nicht ergreifen würden, »könnte die Woge echter Anarchie stärker werden als wir«. Mit dieser letzten Analyse konnte Lenins Argument seine Partei nicht anders als überzeugen. Wenn eine Revolutionspartei die Macht nicht ergriffe, wenn der Augenblick und die Massen es fordern, was würde sie dann noch von einer nichtrevolutionären Partei unterscheiden?

      Es war diese langfristige Perspektive, die problematisch war, selbst wenn man davon ausging, daß die Macht, die in Petrograd und Moskau errungen worden war, tatsächlich auf den Rest Rußlands ausgedehnt und gegen Anarchie und Konterrevolution beibehalten werden könnte. Lenins Programm, in dem er die neue sowjetische Regierung (d.h. in erster Linie: die bolschewistische Partei) zur »sozialistischen Transformation der Russischen Republik« verpflichtete, war im wesentlichen das Wagnisunternehmen, die Russische Revolution in eine weltweite oder zumindest europäische Revolution zu verwandeln. Oft genug hatte er gefragt, wie man sich den »Sieg des Sozialismus auf andere Weise vorstellen« könnte »als durch die völlige Zerstörung des russischen und europäischen Bürgertums«. In der Zwischenzeit war Ausharren die wichtigste und im Grunde einzige Aufgabe der Bolschewiken. Das neue Regime tat denn auch wenig für den Sozialismus, außer zu erklären, daß es sein Ziel sei, die Banken zu übernehmen und die »Kontrolle der Arbeiter« über die existierenden Betriebe auszurufen. Das hieß, sie verpaßten allem, was die Arbeiter sowieso schon seit Beginn der Revolution getan hatten, einen offiziellen Stempel und drängten sie nun, die Produktion am Laufen zu halten. Mehr hatte das Regime ihnen nicht zu sagen.6

      Das neue Regime hat ausgeharrt. Es überlebte einen Diktatfrieden, der von Deutschland, nur wenige Monate bevor es selbst geschlagen wurde, in Brest-Litowsk verhängt wurde und durch den Polen, die baltischen Provinzen, die Ukraine und große Gebiete im russischen Süden und Westen, wie auch – de facto – Transkaukasien abgespalten wurden (die Ukraine und Transkaukasien wurden wiedergewonnen). Die Alliierten sahen keinen Grund, weshalb sie dem Zentrum der Weltverschwörung gegenüber generös sein sollten. Verschiedenste konterrevolutionäre (»Weiße«) Armeen und Regime erhoben sich gegen die Sowjets, finanziert von den Alliierten, die auch amerikanische, britische, französische, japanische, polnische, serbische, griechische und rumänische Truppen auf russischen Boden entsandt hatten. In den schlimmsten Momenten des brutalen und chaotischen Bürgerkriegs von 1918–20 war Sowjetrußland auf einen landumschlossenen Rumpf in Nord- und Mittelrußland reduziert worden, irgendwo zwischen dem Ural und den heutigen baltischen Staaten, abgesehen von der kleinen, ungeschützten Landzunge von Leningrad, die in den Finnischen Meerbusen ragt. Die einzigen Trümpfe des neuen Regimes, nachdem es aus dem Nichts die schließlich siegreiche Rote Armee improvisiert hatte, waren die Inkompetenz der »Weißen« Truppen und deren Streitigkeiten untereinander; die Tatsache, daß diese sich die russische Bauernschaft zum Feind gemacht hatten; und der wohlbegründete Verdacht der Westmächte, daß sie ihren meuternden Soldaten und Matrosen nicht den zuverlässigen Befehl erteilen konnten, gegen die Bolschewiken zu kämpfen. Ende 1920 stand der Sieg der Bolschewiken fest.

      Entgegen allen Erwartungen hatte Sowjetrußland also überlebt. Die Bolschewiken konnten ihre Macht nicht nur wahren und länger als die Pariser Kommune von 1871 halten (wie Lenin nach zwei Monaten und fünfzehn Tagen mit Stolz und Erleichterung feststellte), sondern auch über Jahre nie dagewesener Krisen und Katastrophen hinweg, trotz deutscher Eroberung und diktierten Friedens, trotz des Verlustes ganzer Regionen, trotz Konterrevolution, Bürgerkrieg, Interventionen ausländischer Armeen, trotz Hunger und Wirtschaftskollaps. In einer solchen Lage konnte Sowjetrußland einfach keine Strategien oder Perspektiven entwickeln, die über die Tag für Tag geforderte Entscheidung zwischen unmittelbarem Überleben und dem Risiko eines unmittelbaren Desasters hinausgingen. Wer konnte es sich schon leisten, all die Entscheidungen, die jetzt getroffen werden mußten, im Hinblick auf die möglichen langfristigen Auswirkungen auf die Revolution zu bedenken? Hätten sie es getan, wäre die Revolution am Ende gewesen, und es hätte keine langfristigen Auswirkungen mehr gegeben. Schritt für Schritt wurden also die notwendigen Entscheidungen getroffen. Als die neue sowjetische Republik aus ihrer Agonie erwachte, stellte sich heraus, daß sie eine Richtung eingeschlagen hatte, die weit von der entfernt lag, die Lenin bei seiner Ankunft im Finnlandbahnhof im Sinn gehabt hatte.

      Doch auch die Revolution überlebte, und dies hauptsächlich aus drei Gründen. Erstens besaß sie ein einzigartig СКАЧАТЬ