Das Zeitalter der Extreme. Eric Hobsbawm
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Название: Das Zeitalter der Extreme

Автор: Eric Hobsbawm

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806239669

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СКАЧАТЬ gewesen sein mag, nun war dieses Organisationsmodell, das Lenin seit 1902 unermüdlich propagiert und verteidigt hatte, bestimmend und präsent. Effektiv alle Revolutionsregime des Kurzen 20. Jahrhunderts sollten sich mehr oder weniger nach ihr ausrichten. Zweitens war dies offensichtlich die einzige Regierung, die in der Lage und willens gewesen war, Rußland als Staat zusammenzuhalten. Daher wurde sie selbst von sonst gegnerischen russischen Patrioten unterstützt – etwa den Offizieren, ohne die die neue Rote Armee nicht hätte aufgebaut werden können. Für diese Patrioten, wie auch für den rückblickenden Historiker, hatte es 1917–18 keine Wahl zwischen einem liberaldemokratischen oder einem illiberalen Rußland gegeben, sondern nur zwischen Rußland und dessen Auflösung – also dem Schicksal der anderen veralteten und besiegten Imperien Österreich-Ungarn und Türkei. Anders als sie konnte die bolschewistische Revolution fast die gesamte multinationale territoriale Einheit des alten zaristischen Staates für vierundsiebzig folgende Jahre bewahren. Der dritte Grund war, daß die Revolution den Bauern gestattet hatte, Land zu übernehmen. Als diese Entscheidung anstand, war die Mehrheit der russischen Bauern – das Herz des Staates wie seiner neuen Armee – davon überzeugt gewesen, daß ihre Chancen, das Land zu behalten, mit den Roten besser stehen würden als mit einem zurückkehrenden Landadel. Diese Entscheidung gereichte den Bolschewiken im Bürgerkrieg 1918–20 zum eigentlichen Vorteil. Wie sich herausstellen sollte, waren die russischen Bauern zu optimistisch gewesen.

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      Die Weltrevolution, mit der Lenin seine Entscheidung rechtfertigte, Rußland auf den Sozialismus zu verpflichten, fand nicht statt. Damit war Sowjetrußland für eine Generation in die Verarmung, Rückständigkeit und Isolation getrieben. Die Optionen für seine Zukunft schienen festgeschrieben oder zumindest eingeschränkt (siehe Dreizehntes und Sechzehntes Kapitel). Und doch schwappte in den ersten beiden Jahren nach dem Oktober die Revolution über die ganze Welt und schien zu beweisen, daß die Hoffnungen der sich rüstenden Bolschewiken nicht unrealistisch waren. »Völker hört die Signale«, so beginnt der Refrain der Internationale in Deutsch. Und diese Signale kamen laut und klar aus Petrograd und aus Moskau, nachdem die Hauptstadt 1918 an einen sichereren Ort verlegt worden war.7 Sie wurden überall dort gehört, wo Arbeiterorganisationen und sozialistische Bewegungen, gleich welcher Ideologie, operierten. Die Tabakarbeiter Kubas, von denen nur wenige überhaupt wußten, wo Rußland lag, gründeten »Räte«; in Spanien werden die Jahre 1917–19 noch heute das »Bolschewistische Duo« genannt, obwohl die regionale Linke dort leidenschaftlich anarchistisch war, politisch also dem entgegengesetzten Lager von Lenin angehörte; revolutionäre Studentenbewegungen entstanden 1919 in Peking (Beijing) und 1918 in Córdoba (Argentinien), von wo aus sie sich bald über Lateinamerika ausbreiten und regionale Revolutionsführer und Parteien hervorbringen sollten. Der militante indische Nationalist M. N. Roy war, nachdem in Mexiko die landesweite Revolution 1917 in ihre radikalste Phase eingetreten war, sofort von Rußland begeistert. Natürlich entdeckte man schnell ihre Affinität zum revolutionären Rußland: Marx und Lenin, gemeinsam mit Montezuma, Emiliano Zapata und Indios aus der arbeitenden Klasse, wurden zu ihren Ikonen, die man noch heute in den großen Wandgemälden der Landeskünstler bewundern kann. Innerhalb von nur wenigen Monaten war Roy in Moskau, wo er eine wichtige Rolle bei der Formulierung der Kolonialbefreiungspolitik der neuen Kommunistischen Internationale spielen sollte. Die Oktoberrevolution prägte, zum Teil gefordert von holländischen Sozialisten wie etwa Henk Sneevliet, auch die größte Massenorganisation Indonesiens, die Nationale Befreiungsbewegung »Sarekat Islam«. »Diese Aktion des russischen Volkes«, schrieb eine türkische Provinzzeitung, »wird eines schönen Tages zur Sonne werden und die ganze Menschheit erleuchten.« Im fernen Innern von Australien feierten hartgesottene (und hauptsächlich irisch-katholische) Schafscherer, die ansonsten kein erkennbares Interesse an politischer Theorie zeigten, den Arbeiterstaat der Sowjets. In den USA konvertierten die Finnen, lange Zeit die gläubigsten Sozialisten unter den Immigrantengemeinschaften, massenweise zum Kommunismus und füllten die öden Bergbausiedlungen von Minnesota mit Veranstaltungen, »wo bei der Erwähnung von Lenins Namen das Herz raste … und wir in mystischem Schweigen, in beinahe religiöser Ekstase, alles bewunderten, was aus Rußland kam« (Koivisto, 1983). Kurz gesagt, die Oktoberrevolution wurde überall als welterschütterndes Ereignis empfunden.

      Selbst von jenen, die die Revolution als Kriegsgefangene aus der Nähe miterlebt hatten und daher weniger zur religiösen Ekstase neigten, kehrten viele als überzeugte Bolschewiken und künftige kommunistische Führer in ihre Länder zurück. Der kroatische Mechaniker Josip Broz (Tito) zum Beispiel oder Journalisten, die zur Berichterstattung dabeigewesen waren, wie Arthur Ransome vom Manchester Guardian, der allerdings nicht zu einer besonders bemerkenswerten politischen Figur, sondern vor allem dadurch bekannt werden sollte, daß er seine Passion fürs Segeln in heiteren Kinderbüchern verarbeitete. Eine noch unbedeutendere bolschewistische Rolle spielte der tschechische Schriftsteller Jaroslav Hašek – später schrieb er das meisterhafte Buch Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk –, der sich zum erstenmal in seinem Leben als militanter Vertreter einer Sache erleben sollte und, wie kolportiert wird, das erstaunlicherweise sogar nüchtern. Er hatte als Kommissar der Roten Armee am Bürgerkrieg teilgenommen und war danach mit der Begründung, daß das postrevolutionäre Sowjetrußland nicht seine Sache sei, wieder in seine vertrautere Rolle als Prager Anarchobohemien und Trunkenbold zurückgekehrt. Aber die Revolution war sehr wohl seine Sache gewesen.

      Die Ereignisse in Rußland animierten jedoch nicht nur Revolutionäre, sondern vor allem auch Revolutionen. Im Januar 1918, nur wenige Wochen nach der Stürmung des Winterpalasts und noch während die Bolschewiken verzweifelt versuchten, unter allen Umständen einen Frieden mit den vorrückenden deutschen Streitkräften auszuhandeln, schwappte eine Woge von politischen Massenstreiks und Antikriegsdemonstrationen durch Mitteleuropa. Sie begann in Wien, breitete sich über Budapest, Böhmen und Mähren nach Deutschland aus und gipfelte in der Meuterei der österreichisch-ungarischen Matrosen in der Adria. Als auch die letzten Zweifel an der Niederlage der Mittelmächte schwanden, mußten sich deren Armeen endgültig geschlagen geben. Im September machten sich die bulgarischen Bauernsoldaten auf den Heimweg, riefen die Republik aus und marschierten gen Sofia, obwohl sie noch immer mit deutscher Hilfe entwaffnet wurden. Im Oktober, nach den letzten verlorenen Schlachten an der italienischen Front, fiel auch die Habsburgermonarchie auseinander. Neue Nationalstaaten wurden in der (berechtigten) Hoffnung der siegreichen Alliierten gegründet, daß sie den Gefahren der bolschewistischen Revolution vorzuziehen seien. Und die erste westliche Reaktion auf den bolschewistischen Friedensappell an die Völker – vor allem nachdem die Bolschewiken die Geheimverträge veröffentlicht hatten, mit denen die Alliierten Europa unter sich aufteilen wollten – war Präsident Wilsons Vierzehn-Punkte-Plan, der die nationalistische Karte gegen Lenins internationalen Appell ausspielte. Eine Zone kleiner Nationalstaaten sollte dem roten Virus eine Art Quarantänegürtel in den Weg legen. Anfang November trugen meuternde Matrosen und Soldaten die deutsche Revolution vom Marinestützpunkt Kiel über das ganze Land. Eine Republik wurde ausgerufen, und der Kaiser zog sich in die Niederlande zurück, um von einem sozialdemokratischen ehemaligen Sattler als Staatsoberhaupt abgelöst zu werden.

      Die Revolution, die schließlich alle Regime von Wladiwostok bis zum Rhein hinwegfegte, war ein Aufstand gegen den Krieg. Doch die Tatsache, daß Frieden geschaffen wurde, konnte ihre Explosionskraft abschwächen. Auch ihre sozialen Anteile waren nur vage erkennbar, außer bei den Bauernsoldaten aus den Imperien der Habsburger, Romanows, Osmanen und den weniger bedeutenden Staaten Südosteuropas und deren Familien, wo sie vor allem von solchen Themen geprägt waren wie Landbesitz, Mißtrauen gegenüber Städten, Fremden (vor allem Juden) und Regierungen. Und genau diese Themen sollten dann in großen Teilen Mittel- und Osteuropas aus Bauern zwar Revolutionäre, aber nicht zugleich auch Bolschewiken machen – abgesehen von Deutschland (vor allem von einigen Regionen Bayerns), Österreich und Teilen von Polen. Selbst in konservativen, ja konterrevolutionären Ländern, wie Rumänien und Finnland, mußten die Bauern mit Landreformen großen Ausmaßes beruhigt werden. Andererseits waren sie überall dort, wo sie die Mehrheit der Bevölkerung bildeten, praktisch schon eine Garantie СКАЧАТЬ