Das Zeitalter der Extreme. Eric Hobsbawm
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Название: Das Zeitalter der Extreme

Автор: Eric Hobsbawm

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806239669

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СКАЧАТЬ Die weltweite menschliche Katastrophe, die der Zweite Weltkrieg ausgelöst hatte, war die größte, die es je in der Geschichte der Menschheit gegeben hat. Und die nicht geringste Tragik bei dieser Katastrophe liegt darin, daß die Menschheit gelernt hat, in einer Welt zu leben, in der Mord, Folter und Massenvertreibung zu einer so alltäglichen Erfahrung wurden, daß wir sie gar nicht mehr beachten.

      Der Rückblick auf die einunddreißig Jahre zwischen der Ermordung des österreichischen Erzherzogs in Sarajevo und der bedingungslosen Kapitulation Japans zeigt, daß dies eine Ära der Verwüstung war, die nur dem Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert der deutschen Geschichte vergleichbar ist. Und Sarajevo – das erste Sarajevo – markierte den Beginn eines Zeitalters der Katastrophen und Krisen in der Welt, die das Thema des nächsten Kapitels sind. Und dennoch: Im Gedächtnis der Generationen nach 1945 prägte sich dieser einunddreißig-jährige Krieg nicht auf die gleiche Weise als historische Erinnerung ein wie sein lokal begrenzter Vorgänger aus dem 17. Jahrhundert.

      Das kommt daher, weil der einunddreißigjährige Krieg nur in der Perspektive des Historikers eine zusammenhängende Kriegsära bildet. Für all jene, die diese Zeit erlebt haben, waren es zwei völlig verschiedene, wenn auch miteinander verbundene Kriege, unterbrochen von einer »Zwischenkriegszeit«, in der es keine offenen Feindseligkeiten gab – ein Zeitraum von 13 Jahren in Japan (dessen zweiter Krieg 1931 in der Mandschurei begann), aber von 23 Jahren in den USA (die erst im Dezember 1941 in den Zweiten Weltkrieg eintraten). Es kommt aber auch daher, weil jeder dieser Weltkriege seinen eigenen historischen Charakter und sein eigenes Profil hatte. Beide waren Episoden beispiellosen Gemetzels und hinterließen technologische Alptraumbilder, die die nächsten Generationen bei Tag und bei Nacht verfolgen sollten: Giftgas und Flächenbombardierung nach 1918, die Pilzwolke der atomaren Zerstörung nach 1945. Beide endeten im Zusammenbruch und – wie wir im nächsten Kapitel sehen werden – mit einer sozialen Revolution in großen Teilen Europas und Asiens. Beide hinterließen erschöpfte und geschwächte Kriegsparteien, ausgenommen die USA, die aus beiden unversehrt, noch wohlhabender und als ökonomischer Herr der Welt auftauchten. Und doch, wie auffallend die Unterschiede! Der Erste Weltkrieg löste gar nichts. Die Hoffnungen, die er ausgelöst hatte – auf eine friedliche und demokratische Welt aus Nationalstaaten unter der Oberhoheit des Völkerbunds; auf eine Wiederkehr der Weltwirtschaft von 1913 und (von denjenigen, die die Russische Revolution begeistert begrüßten) auf einen Weltkapitalismus, der innerhalb von Jahren oder auch nur Monaten durch den Aufstand der Unterdrückten niedergeschlagen werden könnte –, wurden bald schon enttäuscht. Die Vergangenheit war unerreichbar geworden, die Zukunft war auf unbestimmte Zeit aufgeschoben, und die Gegenwart war bitter, abgesehen von einer kurzen Zeit Mitte der zwanziger Jahre. Der Zweite Weltkrieg hat hingegen tatsächlich für zumindest einige Jahrzehnte Lösungen geschaffen. Die dramatischen sozialen und ökonomischen Probleme des Kapitalismus schienen sich während des Katastrophenzeitalters aufgelöst zu haben; die westliche Weltwirtschaft trat in ihr Goldenes Zeitalter ein; die westliche politische Demokratie, von einer außergewöhnlichen Verbesserung des materiellen Wohlstands gestützt, war stabil; und Kriege wurden in die Dritte Welt verbannt. Andererseits aber hatte auch die Revolution ihren Weg gemacht. Die alten Kolonialmächte verschwanden oder wurden kurzerhand gezwungen abzutreten; und ein Konsortium kommunistischer Staaten, das um die Sowjetunion herum organisiert war, wandelte sich zur Supermacht und schien bereit, mit dem Westen in Wettbewerb um Wirtschaftswachstum zu treten. Sogar die internationale Bühne schien stabil. Aber all dies hat sich als Illusion erwiesen – allerdings erst, als sich die sechziger Jahre zu verabschieden begannen. Im Gegensatz zur Zeit nach dem Großen Krieg waren diesmal die ehemaligen Feinde – Deutschland und Japan – wieder in die (westliche) Weltwirtschaft eingegliedert worden und konnten sich die beiden neuen Feinde – die USA und die Sowjetunion – niemals wirklich handelseinig werden.

      Sogar die Revolutionen, die am Ende beider Kriege auftraten, unterschieden sich voneinander. Die Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg wurzelten, wie wir noch sehen werden, in der Auflehnung gegen das, was die meisten Menschen durchlebt und zunehmend als sinnlose Schlachterei begriffen hatten. Es waren Revolutionen gegen den Krieg. Die Revolutionen nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden aus der Teilnahme ganzer Völker an einem Kampf der ganzen Welt gegen ihre Feinde – Deutschland, Japan – oder, allgemeiner gesagt: gegen den Imperialismus. Es war ein Kampf, den alle, die an ihm teilnahmen, als gerecht empfanden, wie schrecklich er auch gewesen sein mochte. Und doch können diese beiden Arten von Nachkriegsrevolutionen, wie auch die beiden Weltkriege, aus historischer Perspektive als ein einziger Prozeß betrachtet werden. Diesem werden wir uns nun zuwenden.

      Die Weltrevolution

      Gleichzeitig fügte [Bucharin] hinzu: »Ich glaube, wir haben einen Punkt der Revolution erreicht, der fünfzig Jahre andauern könnte, bevor die Revolution endlich in ganz Europa und schließlich in der ganzen Welt siegreich ist.«

      Arthur Ransome, Six Weeks in Russia in 1919 (Ransome, 1919, S. 54)

      Entsetzlich, die Gedichte Shelleys zu lesen (nicht zu reden von ägyptischen Bauernliedern von vor 3000 Jahren), in denen die Unterdrückung und Ausbeutung beklagt wird! Wird man so uns lesen, immer noch unterdrückt und ausgebeutet, und sagen: schon damals …?

      Bertolt Brecht beim Lesen von Shelleys Die Maske der Anarchie (1938, 1964)

      Erstmals seit der Französischen Revolution hat sich in Europa eine russische Revolution erhoben, und dies hat der Welt wieder einmal gezeigt, daß selbst die stärksten Invasoren in die Flucht geschlagen werden können, wenn das Schicksal des Vaterlandes wirklich den Armen, den Anspruchslosen, den Proletariern, den arbeitenden Menschen anvertraut wird.

      Aus der Wandzeitung der 19. Brigata Eusebio Giambone der italienischen Partisanen, 1944 (Pavone, 1991, S. 406)

      Revolution war das Kriegskind des 20. Jahrhunderts: Besonders die Russische Revolution von 1917, die die Sowjetunion gebar, verwandelte sich bis zur zweiten Phase des einunddreißigjährigen Krieges in eine Supermacht beziehungsweise, allgemeiner ausgedrückt, in eine Revolution, die eine globale Konstante der Jahrhundertgeschichte wurde. Krieg allein führt kriegführende Staaten noch nicht notwendigerweise in eine Krise oder in den Zusammenbruch und Revolution. Vor 1914 hatte sogar das Gegenteil gegolten, zumindest für etablierte Regime mit traditioneller Legitimation. Napoleon I. hatte sich bitter darüber beklagt, daß der Kaiser von Österreich hundert verlorene Schlachten glücklich überleben konnte, ebenso wie der König von Preußen ein militärisches Desaster und den Verlust der Hälfte seiner Länder, während er, ein Kind der Französischen Revolution, schon nach einer einzigen Niederlage in Gefahr gerate. Doch der Kraftaufwand, den der totale Krieg des 20. Jahrhunderts von den in ihn verwickelten Staaten und Völkern forderte, war derart überwältigend und beispiellos, daß diese bis an die Grenzen ihrer Kräfte belastet wurden und sehr wahrscheinlich bis an den Rand des Zusammenbruchs gelangt waren. Nur die USA tauchten aus den Weltkriegen in beinahe dem gleichen Zustand wieder auf, in dem sie in sie eingetreten waren – nur etwas gestärkt. Für alle anderen Staaten bedeutete das Ende der Kriege: Umsturz.

      Die alte Welt war ganz offensichtlich zum Untergang verdammt. Die alte Gesellschaft, die alte Wirtschaft, das alte politische System hatten, wie es in einem alten chinesischen Sprichwort heißt, »das Mandat des Himmels verloren«. Die Menschheit wartete auf eine Alternative. Und eine dieser Alternativen war 1914 durchaus bekannt. Sozialistische Parteien, die auf die Unterstützung der sich ausbreitenden Arbeiterklasse in ihren Ländern bauten und vom Glauben an die historische Unvermeidlichkeit ihres Sieges durchdrungen waren, boten in den meisten Ländern Europas diese Alternative an. Und es sah so aus, als bräuchten die Völker nur ein Signal, um sich zu erheben und den Kapitalismus durch Sozialismus zu ersetzen und damit die sinnlosen Leiden des Krieges schließlich in etwas Sinnvolleres zu verwandeln: die blutigen Geburtswehen und Konvulsionen einer neuen Welt. Die Russische oder genauer: die bolschewistische Revolution vom Oktober 1917 war bereit, der Welt dieses Signal zu geben. Deshalb war sie für СКАЧАТЬ