Название: Das Zeitalter der Extreme
Автор: Eric Hobsbawm
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806239669
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Es ist daher ein seltsames Paradox, daß unter den staatlichen Kriegsplanwirtschaften beider Kriege – und in totalen Kriegen heißt das: die gesamte Wirtschaft – im Ersten Weltkrieg die Wirtschaftssysteme der westlichen demokratischen Staaten Großbritannien und Frankreich und im Zweiten Weltkrieg die Wirtschaftssysteme Großbritanniens und der USA der deutschen Wirtschaft dennoch weit überlegen waren, trotz deren Traditionen und Theorien von einer rationalen bürokratischen Verwaltung. (Zur sowjetischen Planwirtschaft siehe Dreizehntes Kapitel.) Die Gründe dafür können wir nur vermuten, aber an den Fakten besteht kein Zweifel. Der deutschen Kriegswirtschaft gelang es viel schlechter, ihre gesamten Ressourcen systematisch und wirkungsvoll für den Krieg zu mobilisieren – aber sie mußte es natürlich auch erst, als die Strategie des Blitzkriegs fehlschlug. Hinzu kam, daß sie sich mit Sicherheit auch weniger um die deutsche Zivilbevölkerung kümmerte. Die Einwohner von Großbritannien und Frankreich, die den Ersten Weltkrieg unbeschadet überstanden hatten, waren danach zwar ärmer, aber in der Regel gesünder als zuvor, und die Reallöhne der Arbeiter waren sogar gestiegen. Deutsche waren hungriger, und die Reallöhne der deutschen Arbeiter waren gesunken. Entsprechende Vergleiche aus dem Zweiten Weltkrieg lassen sich sehr viel schwieriger ziehen, nicht zuletzt weil Frankreich schon bald ausgeschaltet war, die USA sowieso reicher waren und unter geringerem Druck standen und die Sowjetunion ärmer und unter weitaus größerem Druck. Obwohl der deutschen Kriegswirtschaft effektiv das gesamte Europa zur Ausbeutung zur Verfügung gestanden hatte, wies Deutschland am Ende des Krieges eine wesentlich größere physische Zerstörung auf als alle anderen westlichen Kriegsparteien. Ein insgesamt ärmer gewordenes Großbritannien, dessen ziviler Konsumverbrauch 1943 um mehr als 20 Prozent gesunken war, beendete den Krieg dank einer Kriegsplanwirtschaft, die systematisch auf Gleichheit, gleiche Verteilung des Verzichts und soziale Gerechtigkeit ausgerichtet war, mit einer besser ernährten und gesünderen Bevölkerung als zuvor. Doch verglichen mit Großbritannien war das deutsche System natürlich von vornherein prinzipiell ungerecht. Deutschland beutete die Ressourcen und die Arbeitskraft des besetzten Europa aus und behandelte jede nichtdeutsche Bevölkerung als minderwertig und im Extremfall – wie die Polen, vor allem aber die Russen und Juden – effektiv als verachtenswertes Sklavenmaterial, das es schließlich nicht einmal wert war, am Leben erhalten zu werden. Fremdarbeit machte 1944 ein Fünftel der Arbeitskraft in Deutschland aus (in den Rüstungsbetrieben war sie auf 30 Prozent gestiegen). Hinsichtlich der eigenen arbeitenden Bevölkerung Deutschlands wäre allenfalls zu sagen, daß ihre Reallöhne auf dem Stand von 1938 geblieben waren. In Großbritannien nahmen Kindersterblichkeit und Krankheiten während des Krieges progressiv ab. Im besetzten und fremdbeherrschten Frankreich hingegen, einem an Lebensmitteln sprichwörtlich reichen Land, das außerdem seit 1940 nicht mehr im Krieg war, sanken Durchschnittsgewicht und Gesundheitszustand der Bevölkerung aller Altersschichten.
Der totale Krieg revolutionierte zweifellos das Management. Wieweit aber revolutionierte er auch Technologie und Produktion? Oder anders ausgedrückt: Hat er die wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben oder verzögert? Eindeutig hat er die Technologie vorangetrieben, denn der Konflikt zwischen den Kriegsparteien wurde nicht nur von deren Armeen ausgefochten, sondern auch durch einen Wettbewerb der Technologien für die Ausrüstung dieser Armeen mit wirkungsvollen Waffen und anderem kriegswichtigen Material. Ohne den Zweiten Weltkrieg (und ohne die Angst, daß auch Nazideutschland die Erkenntnisse der Nuklearphysik für sich nutzen würde) wäre die Atombombe sicher nicht gebaut worden; und auch die enormen Ausgaben, die zur Produktion von jeder Art Nuklearenergie nötig sind, wären ohne den Krieg deshalb im 20. Jahrhundert nicht denkbar geworden. Andere technologische Fortschritte, die in erster Linie zu Kriegszwecken entwickelt wurden, haben sich als im Frieden sehr viel besser anwendbar erwiesen – man denke nur an die Luftfahrt und die Computertechnik. Doch dies ändert nichts an der Tatsache, daß Krieg oder Kriegsvorbereitungen einen wesentlichen Anteil an der Beschleunigung von technischen Prozessen hatten, weil sie die Entwicklungskosten von technologischen Innovationen »trugen«, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von niemandem übernommen worden wären, der zu Friedenszeiten eine Kosten-Nutzen-Analyse aufgestellt hätte. Zumindest wären sie langsamer und zögerlicher entwickelt worden (siehe Neuntes Kapitel).
Dieser Hang des Krieges zur Technologie war allerdings nicht neu. Und auch die moderne industrielle Wirtschaft beruhte auf ständiger technologischer Innovation, die mit Sicherheit und wahrscheinlich wachsender Geschwindigkeit auch ohne Kriege stattgefunden hätte (wenn diese unrealistische Annahme um des Argumentes willen gestattet ist). Kriege, vor allem der Zweite Weltkrieg, förderten zwar in hohem Maße die Verbreitung von technischem Sachverstand und hatten gewiß auch große Auswirkungen auf die industrielle Organisation und die Methoden der Massenproduktion, doch im großen und ganzen führten sie höchstens zur Beschleunigung von Veränderungen, nicht aber zu einer wirklichen Transformation.
Hat Krieg das Wirtschaftswachstum vorangetrieben? In einer Hinsicht gewiß nicht: Der Verlust an Produktionsmitteln war hoch, ganz abgesehen vom Dahinschwinden der arbeitenden Bevölkerung. In der Sowjetunion wurden 25 Prozent der Vorkriegskapitalausstattung während des Zweiten Weltkriegs zerstört, in Deutschland 13 Prozent, in Italien 8 Prozent, in Frankreich 7 Prozent, jedoch nur 3 Prozent in Großbritannien. (Was allerdings gegen die Neuinvestitionen aus der Kriegszeit aufgerechnet werden muß.) Im Extremfall der Sowjetunion waren die Nettoauswirkungen des Krieges vollständig negativ. Die Landwirtschaft war ebenso ruiniert wie die Industrialisierung der Fünfjahrespläne vor dem Krieg. Übrig blieben eine riesige und relativ unanpassungsfähige Rüstungsindustrie, eine hungernde Bevölkerung und massive physische Zerstörung.
Der US-Wirtschaft hingegen haben die Kriege eindeutig genutzt. Ihre Wachstumsrate war in beiden Kriegen, aber vor allem im Zweiten Weltkrieg, ungewöhnlich hoch. Sie stieg bis auf ungefähr 10 Prozent jährlich an, und zwar schneller als je zuvor und danach. In beiden Kriegen profitierten die USA von ihrer großen Entfernung zu den Schlachtfeldern und wurden zum Hauptarsenal ihrer Alliierten. Schließlich nutzten sie auch die Fähigkeit ihrer Wirtschaft, die Produktionsexpansion effizienter organisieren zu können als andere, gründlich aus. Der wahrscheinlich dauerhafteste Effekt beider Weltkriege auf die US-Wirtschaft war, daß sie während des gesamten Kurzen 20. Jahrhunderts eine globale Vormachtstellung erlangte, die erst kurz vor Ende des Jahrhunderts allmählich zu schwinden begann (siehe Neuntes Kapitel). 1914 war sie zwar schon die größte, aber noch nicht die dominierende Industriegesellschaft gewesen. Mit den Kriegen, die die USA stärkten und ihre Konkurrenten relativ oder absolut schwächten, wurde ihre Position vollständig transformiert.
Während die USA (in beiden Kriegen) und Rußland (vor allem im Zweiten Weltkrieg) die beiden Extreme der wirtschaftlichen Kriegsfolgen repräsentierten, lag der Rest der Welt irgendwo dazwischen, aber insgesamt gesehen näher am russischen als am amerikanischen Ende der Kurve.
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Es bleibt noch einzuschätzen, welche Auswirkungen die Kriege auf die Menschen hatten und welche Kosten diese tragen mußten. Die schiere Masse der Opfer an Menschenleben, auf die wir bereits zu sprechen kamen, ist nur Teil dieser Kosten. СКАЧАТЬ