Das Zeitalter der Extreme. Eric Hobsbawm
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Zeitalter der Extreme - Eric Hobsbawm страница 23

Название: Das Zeitalter der Extreme

Автор: Eric Hobsbawm

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783806239669

isbn:

СКАЧАТЬ nichts schien wahrscheinlicher, als daß ihnen das gelingen könnte. Denn der Große Krieg endete beinahe überall, vor allem aber in den Staaten der unterlegenen Kriegsparteien, mit politischem Zusammenbruch und revolutionären Krisen. 1918 verloren die Herrscher aller besiegten Mächte ihren Thron (Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei und Bulgarien); der Zar von Rußland hatte ihn bereits 1917 verloren, nachdem er von den Deutschen besiegt worden war. Außerdem gab es sogar bei den europäischen Siegern des Krieges soziale Unruhen, welche in Italien beinahe zur Revolution zu führen schienen.

      Unter den außergewöhnlichen Belastungen des Massenkrieges hatten sich die Gesellschaften des kriegführenden Europa krümmen müssen. Die anfängliche Woge des Patriotismus war nach Kriegsausbruch ausgelaufen. Und bis 1916 hatte sich Kriegsmüdigkeit in eine unheilvolle stumme Feindseligkeit gegenüber der endlosen, ziellosen Schlachterei gewandelt, die offensichtlich niemand beenden wollte. Während sich die Kriegsgegner 1914 hilflos und isoliert gefühlt hatten, wußten sie 1916, daß sie im Interesse der Mehrheit sprachen. Wie dramatisch sich die Situation verändert hatte, sollte sich am 28. Oktober 1916 zeigen, als Friedrich Adler, der Sohn des Vorsitzenden und Gründers der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, aus öffentlichem Protest gegen den Krieg den österreichischen Ministerpräsidenten Graf Stürgkh kaltblütig in einem Wiener Café erschoß (es herrschte noch das Zeitalter der Unschuld für Sicherheitsbeamte).

      Antikriegsgefühle kamen natürlich dem politischen Profil der Sozialisten zugute, die in zunehmendem Maß zu jener Antikriegshaltung zurückkehrten, die die Bewegung vor 1914 eingenommen hatte. Und einige Parteien waren sowieso nie davon abgewichen (zum Beispiel in Rußland, Serbien und die Unabhängige Arbeiterpartei in Großbritannien). Aber selbst dort, wo sozialistische Parteien mehrheitlich den Krieg noch unterstützten, fanden sich seine schärfsten Gegner in ihren eigenen Reihen.2 Gleichzeitig rückten die Arbeiterorganisationen in den großen Rüstungsindustrien aller wichtigen kriegführenden Länder ins Zentrum der militanten industriellen Antikriegsbewegungen. Gewerkschaftsaktivisten der unteren Ränge (»shop stewards« in Großbritannien, »Betriebsobleute« in Deutschland), erfahrene Männer in starken Verhandlungspositionen, wurden zur Verkörperung der Radikalisierung. Aber auch die Arbeiter und Mechaniker aus den neuen hochtechnologisierten Betrieben der Marine, gleichsam schwimmenden Fabriken, radikalisierten sich. In Rußland und Deutschland wurden die wichtigsten Marinestützpunkte (Kronstadt, Kiel) zu Zentren der Revolution. Und es war eine Meuterei der französischen Marine, im russischen Bürgerkrieg von 1918–20 im Schwarzen Meer, die eine Militärintervention gegen die Bolschewiken stoppte. Die Rebellion gegen den Krieg erhielt so ihr Zentrum und ihre Wirkungskraft. Kein Wunder also, daß die österreichisch-ungarischen Zensoren, die die Korrespondenz ihrer Truppen überwachten, eine Veränderung des Tons konstatierten. Wo es zuerst hieß: »Wenn uns der Herrgott nur Frieden bringen könnte«, hieß es nun: »Wir haben genug« oder: »Es heißt, die Sozialisten werden uns den Frieden bringen.«

      Es kann daher auch nicht weiter überraschen, daß (laut habsburgischen Zensoren) die Russische Revolution das erste politische Ereignis seit Kriegsausbruch war, das seinen Widerhall sogar in den Briefen der Frauen von Bauern und Arbeitern fand. Und ebensowenig verwunderlich war, daß sich die Sehnsucht nach Frieden mit dem Bedürfnis nach einer sozialen Revolution vermischte, vor allem nachdem die Oktoberrevolution Lenins Bolschewiken an die Macht gebracht hatte. Ein Drittel der Verfasser der zensierten Briefe aus der Zeit zwischen November 1917 und März 1918 erwartete, den Frieden durch Rußland zu bekommen, ein Drittel durch Revolution und weitere 20 Prozent durch eine Kombination aus beidem. Und daß eine russische Revolution große internationale Auswirkungen haben würde, war schon zuvor deutlich geworden; sogar die erste Revolution 1905–06 hatte die noch vorhandenen alten Imperien erschüttert, von Österreich-Ungarn über die Türkei bis nach Persien und China (siehe Das imperiale Zeitalter, Kapitel 12). Bis 1917 war dann das gesamte Europa zu Sprengstoff geworden, der nur darauf wartete, gezündet zu werden.

      2

      Rußland, reif für eine Revolution, kriegsmüde und am Rande der Niederlage, war das erste Reich Mittel- und Osteuropas, das unter dem Druck und den Anstrengungen des Ersten Weltkriegs zusammenbrach. Eine Explosion war schon längst erwartet worden, wenn auch niemand Zeit und Auslöser der Detonation vorhersagen konnte. Nur wenige Wochen vor der Februarrevolution hatte sich Lenin in seinem Schweizer Exil gefragt, ob er sie wohl noch erleben würde. Die Zarenherrschaft brach zusammen, als Arbeiterinnen bei einer Demonstration (am 8. März, dem regelmäßigen »Frauentag« der sozialistischen Bewegung) und die als notorisch militant bekannten Putilow-Metallarbeiter nach ihrer Aussperrung zum Generalstreik aufriefen und zum Marsch über den gefrorenen Fluß in die Hauptstadt aufbrachen, begleitet hauptsächlich von Forderungen nach Brot. Die Schwäche des Regimes wurde vollends deutlich, als sich die zaristischen Truppen, darunter sogar die bislang immer loyalen Kosaken, nach kurzem Zögern schließlich weigerten, gegen die Massen vorzugehen und sich mit ihnen zu verbünden begannen. Als sie nach vier chaotischen Tagen schließlich zur offenen Meuterei ansetzten, dankte der Zar ab, um von einer liberalen »provisorischen Regierung« ersetzt zu werden, der einiges an Sympathie und Unterstützung durch die Verbündeten Rußlands im Westen galt, weil diese befürchtet hatten, daß das verzweifelte zaristische Regime seinen Krieg beenden und einen Separatfrieden mit Deutschland schließen könnte. Vier völlig führungslose und von spontanen Aktionen geprägte Tage auf den Straßen setzten dem Imperium ein Ende.3 Und mehr noch: Rußland war derart bereit gewesen für eine soziale Revolution, daß sogar die Massen in Petrograd den Sturz des Zaren augenblicklich mit der Proklamation von universeller Freiheit, Gleichheit und direkter Demokratie gleichsetzten. Lenins außergewöhnliche Leistung bestand darin, daß er diesen unkontrollierbaren anarchischen Volksaufstand in eine bolschewistische Macht transformieren konnte.

      Anstelle eines liberalen und konstitutionell westlich orientierten Rußlands, das bereit und willens gewesen wäre, Deutschland zu bekämpfen, war also ein revolutionäres Vakuum entstanden: eine machtlose »provisorische Regierung« auf der einen Seite und auf der anderen eine Unzahl von »Räten« (Sowjets) der Bevölkerung, die überall wie Pilze aus dem Boden schossen.4 Sie hatten die effektive Macht in Händen, zumindest die regional begrenzte Vetomacht, aber keine Ahnung, was sie damit anfangen sollten, könnten oder müßten. Die verschiedenen Revolutionsparteien und Organisationen – bolschewistische und menschewikische Sozialdemokraten, Sozialrevolutionäre und unzählige kleinere Fraktionen der Linken, die aus der Illegalität aufgetaucht waren – versuchten sich in diesen Versammlungen zu etablieren, sie zu koordinieren und von ihren politischen Vorstellungen zu überzeugen, obgleich ursprünglich nur Lenin sie als Alternative zur Regierung gesehen hatte (»Alle Macht den Räten«). Ganz deutlich aber wurde, daß nur wenige Russen nach dem Sturz des Zaren überhaupt wußten, was die Namen der Revolutionsparteien bedeuten sollten oder, wenn sie es wußten, welche Unterschiede in ihren rivalisierenden Appellen lagen. Was sie aber genau wußten, war, daß sie keine Autorität mehr akzeptieren würden – nicht einmal die Autorität der Revolutionäre, die behaupteten, alles besser zu wissen.

      Die Armen in den Städten forderten hauptsächlich Brot und die Arbeiter unter ihnen bessere Löhne und kürzere Arbeitszeiten. Die Forderungen jener 80 Prozent Russen, die von der Landwirtschaft lebten, gingen wie eh und je um ein Stück Land. Alle Gruppen aber wollten gemeinsam, daß der Krieg beendet werden sollte, obgleich die Massen der Bauernsoldaten, die die Armee bildeten, zuerst nicht gegen den Kampf an sich gewesen waren, sondern nur gegen die harte Disziplin und die schlechte Behandlung durch ihre Vorgesetzten. Wer ihre Forderungen übernahm – »Brot, Friede, Land« –, fand sofort Unterstützung; und das waren vor allem Lenins Bolschewiken, deren kleine Truppe von nur wenigen Tausenden im März 1917 bis zum Frühsommer desselben Jahres auf eine Mitgliederzahl von einer Viertelmillion angeschwollen war. Im Gegensatz zur Mythologie des Kalten Krieges, die in Lenin im Grunde nur einen Organisator von Staatsstreichen sah, war seine – und der Bolschewiken – einzig wirkliche Leistung, daß er zu erkennen in der Lage war, was die Massen wollten, und dementsprechend eben auch wußte, daß er führen mußte, indem er ihnen folgte. Als er beispielsweise СКАЧАТЬ