Das Zeitalter der Extreme. Eric Hobsbawm
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Название: Das Zeitalter der Extreme

Автор: Eric Hobsbawm

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806239669

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СКАЧАТЬ 20. Jahrhunderts, wie es in diesem Buch definiert wird, genau mit der Lebensdauer des Staates zusammenfällt, den die Oktoberrevolution geboren hat.

      Die Oktoberrevolution hatte jedoch ein sehr viel stärkeres und globaleres Echo als ihre Vorgängerin. Zwar ist mittlerweile deutlich geworden, daß die Ideen der Französischen Revolution die des Bolschewismus überlebt haben, aber die faktischen Auswirkungen von 1917 waren bei weitem größer und anhaltender als die von 1789. Die Oktoberrevolution brachte die gewaltigste Revolutionsbewegung der modernen Geschichte hervor. Ihre Ausdehnung über die Welt ist seit dem Siegeszug des Islam in seinem ersten Jahrhundert ohne Parallele geblieben. Bereits dreißig bis vierzig Jahre nach Lenins Ankunft am Finnlandbahnhof von Petrograd befand sich ein Drittel der Menschheit unter der Herrschaft von Regimen, die unmittelbar aus den »Zehn Tagen, die die Welt erschütterten« (Reed, 1919) und Lenins organisatorischem Modell, der Kommunistischen Partei, hervorgegangen waren. Die meisten dieser Regime traten der Sowjetunion in einer zweiten Revolutionswelle bei, die in der zweiten Phase des langen Weltkriegs von 1914–1945 anschwoll. Das gegenwärtige Kapitel beschäftigt sich mit dieser Zweiphasenrevolution, obgleich der Fokus stärker auf die erste und prägende Revolution von 1917 und die spezifische Architektur des Hauses gerichtet ist, das sie ihren Nachfolgern errichtet hat.

      Sie jedenfalls hat die Folgezeit im wesentlichen dominiert.

      1

      Die längste Zeit des Kurzen 20. Jahrhunderts hat der sowjetische Kommunismus für sich in Anspruch genommen, eine Alternative zum Kapitalismus und das ihm überlegene System zu sein, welches überdies von der Geschichte dazu ausersehen sei, über ihn zu triumphieren. Und während der längsten Zeit dieser Periode konnten sich selbst diejenigen, die seinen Anspruch auf Überlegenheit zurückwiesen, absolut nicht sicher sein, daß er nicht doch noch den Sieg davontragen würde. Die internationale Politik des ganzen Kurzen 20. Jahrhunderts seit der Oktoberrevolution – mit der entscheidenden Ausnahme der Jahre zwischen 1933 und 1945 (siehe Fünftes Kapitel) – könnte am einleuchtendsten als ein Jahrhundertkampf der Mächte der alten Ordnung gegen die soziale Revolution beschrieben werden. Denn man war allgemein davon überzeugt, daß diese Revolution von der Sowjetunion und dem internationalen Kommunismus verkörpert werde, diese beiden wiederum untrennbar mit der Revolution an sich verbunden seien, während die Revolution als solche auf Gedeih und Verderb ihrerseits von diesen beiden abhängig sei.

      Doch im Verlauf des Kurzen 20. Jahrhunderts wurde das Bild einer Weltpolitik als eines Duells zwischen den Mächten zweier rivalisierender Gesellschaftssysteme (hinter denen nach 1945 jeweils eine Supermacht mit weltzerstörerischen Waffen stand) immer unrealistischer. In den achtziger Jahren hatte diese Vorstellung für die internationale Politik keine größere Relevanz mehr als die Kreuzzüge. Doch es ist verständlich, wie es zu ihr kommen konnte. Denn die Oktoberrevolution, umfassender und kompromißloser als die Französische Revolution in ihrer jakobinischen Zeit, hatte sich selbst mehr als ökumenischen denn als nationalen Prozeß betrachtet. Sie war nicht dazu angetreten, Rußland Freiheit und Sozialismus zu bringen, sondern der Welt zur proletarischen Revolution zu verhelfen. In den Köpfen von Lenin und seinen Genossen war der bolschewistische Sieg in Rußland nur eine gewonnene Schlacht im weltweiten Feldzug des siegreichen Bolschewismus, und auch nur als solche zu rechtfertigen.

      Daß das zaristische Rußland reif war für eine Revolution und wahrhaftig eine Revolution verdiente und daß eine solche Revolution mit Sicherheit den Zarismus stürzen würde, war seit 1870 von jedem aufmerksamen Beobachter in der Welt behauptet und erwartet worden. Seit 1905–06, nachdem der Zarismus tatsächlich von der Revolution in die Knie gezwungen worden war, hegte dann niemand mehr ernsthafte Zweifel daran. Rückblickend behaupten zwar manche Historiker, daß sich das zaristische Rußland zu einer blühenden, liberalen kapitalistischen Industriegesellschaft hätte entwickeln können und in der Tat auch schon auf dem Weg dorthin gewesen sei, wären da nicht der Erste Weltkrieg und die bolschewistische Revolution gekommen. Aber vor 1914 hätte man solche Prophezeiungen mit der Lupe suchen müssen. Kaum hatte sich das zaristische Regime 1905 einigermaßen von der Revolution erholt, da fand es sich – unentschlossen und inkompetent wie eh und je – schon wieder mit einer rapide anschwellenden Welle der gesellschaftlichen Unzufriedenheit konfrontiert. Und hätte es nicht die Loyalität von Armee, Polizei und Beamtenschaft gegeben, so wäre das Land in den letzten Monaten vor Ausbruch des Krieges wohl wiederum einer Eruption nahe gewesen. Doch wie in so vielen anderen kriegführenden Staaten haben auch hier nach Ausbruch des Krieges Massenbegeisterung und Patriotismus die innenpolitische Lage entschärft – im Falle Rußlands jedoch nicht für lange. 1915 schienen die Probleme der zaristischen Regierung erneut unüberwindlich. Nichts hätte weniger überraschend und unerwartet kommen können als die Revolution im März 1917.1 Sie stürzte die russische Monarchie und wurde von den politischen Meinungsmachern des Westens weltweit begrüßt – von den stockkonservativen, traditionalistischen Reaktionären einmal abgesehen.

      Und doch glaubten alle, mit Ausnahme der Romantiker, die eine direkte Linie von den Kollektivpraktiken der russischen Dorfgemeinschaft zur sozialistischen Zukunft zogen, daß eine russische Revolution nicht sozialistisch sein würde und könnte. Die Bedingungen für eine derartige Transformation waren schlichtweg nicht gegeben in einem Agrarland, das als Inbegriff für Annut, Ignoranz und Rückständigkeit galt und in dem das Industrieproletariat – das Marx den Totengräber des Kapitalismus genannt hatte – nur eine winzige, wenn auch strategisch plazierte Minderheit war. Selbst die marxistischen Revolutionäre Rußlands teilten diese Ansicht. Der Sturz des Zarismus und des Großgrundbesitzersystems konnte und sollte also nichts weiter als eine »bürgerliche Revolution« hervorbringen. Der Klassenkampf zwischen Bürgertum und Proletariat (der, laut Marx, nur zu einem einzigen Ergebnis führen konnte) sollte dann unter diesen neuen politischen Bedingungen fortgeführt werden. Aber natürlich war Rußland nicht isoliert, und eine Revolution in diesem riesigen Land, das sich von den Grenzen Japans bis zu den Grenzen Deutschlands erstreckte und dessen Regierung zu den wenigen »Großmächten« gehörte, die die Weltlage bestimmten, mußte natürlich erhebliche internationale Folgen haben. Karl Marx selbst hatte am Ende seines Lebens noch gehofft, daß eine russische Revolution wie ein Sprengzünder wirken würde, der die proletarische Revolution in der industrialisierten westlichen Welt (also dort, wo die Bedingungen für sie gegeben waren) auslösen könnte. Wir werden noch sehen, daß es am Ende des Ersten Weltkriegs tatsächlich so aussah, als sollte genau das nun geschehen.

      Dabei gab es nur eine Schwierigkeit: Wenn Rußland nicht für die proletarische Revolution der Marxisten bereit war, dann war es auch nicht für die liberale »bürgerliche Revolution« bereit. Selbst diejenigen, die wirklich nur diese Art von Revolution erreichen wollten, mußten erst noch einen Weg finden, bei dem man sich nicht allein auf die kleine und kraftlose liberale russische Mittelklasse stützen mußte – die ja nur eine winzige Minderheit in der Bevölkerung war, ohne jegliches moralisches Ansehen und öffentliche Unterstützung und ohne die institutionalisierten Traditionen einer repräsentativen Regierung, in die sie hätte eingefügt werden können. Die »Kadetten«, die Partei des bürgerlichen Liberalismus, zählten weniger als 2,5 Prozent der Abgeordneten in der frei gewählten (bald aber aufgelösten) verfassunggebenden Versammlung von 1917–18. Ein bürgerlich-liberales Rußland hätte entweder erreicht werden können, wenn unter der Führung von Revolutionsparteien (die etwas anderes wollten) ein Aufstand der Bauern und Arbeiter (die keine Ahnung hatten, was das war, und sich auch nicht darum scherten) stattgefunden hätte. Oder aber, und das war wahrscheinlicher: die revolutionären Kräfte würden über die bürgerlich-liberale Revolution zu einer »permanenten Revolution« fortschreiten, eine von Marx aufgegriffene Bezeichnung, die während der Revolution von 1905 vom jungen Trotzki wiederbelebt worden war. 1917 war Lenin, dessen Hoffnungen 1905 nicht viel weiter als bis zu einem bürgerlich-demokratischen Rußland gereicht hatten, zur Ansicht gekommen, daß das liberale Pferd im russischen Revolutionsrennen überhaupt kaum mitzählte. Das war eine realistische Einschätzung. Doch klar war ihm und allen anderen russischen und nichtrussischen Marxisten auch 1917 schon, daß die Bedingungen für eine sozialistische Revolution СКАЧАТЬ