Название: Das Zeitalter der Extreme
Автор: Eric Hobsbawm
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806239669
isbn:
2
Über die Ursachen, die zum Zweiten Weltkrieg führten, gibt es sehr viel weniger historische Literatur als über die für den Ersten, und das aus ersichtlichem Grund. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen hat nämlich kein seriöser Historiker je bezweifelt, daß Deutschland, Japan und (etwas zögernder) Italien die Aggressoren waren. Die Staaten, die gegen diese drei in den Krieg hineingezogen wurden, hatten ihn, ob sie nun kapitalistisch oder sozialistisch waren, nicht gewollt und in den meisten Fällen auch versucht, ihn zu verhindern. Die Frage, wer oder was den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hat, kann ganz einfach mit zwei Wörtern beantwortet werden: Adolf Hitler.
Aber Antworten auf historische Fragen sind natürlich niemals derart einfach. Wie wir wissen, hatte der Erste Weltkrieg eine völlig instabile Lage in der Welt und vor allem in Europa und im Nahen Osten geschaffen. Deshalb konnte der Friede nicht von Dauer sein. Und Unzufriedenheit mit dem Status quo herrschte nicht nur in den besiegten Staaten, obwohl gerade sie – vor allem Deutschland – eine Menge von Gründen zu haben meinten und auch tatsächlich hatten, Groll zu hegen. Die Parteien in Deutschland, von den Kommunisten auf der extremen Linken bis hin zu den Nationalsozialisten auf der extremen Rechten, wetteiferten dabei, den Friedensvertrag von Versailles zu verteufeln, weil sie ihn ungerecht und unannehmbar fanden. Paradoxerweise hätte eine wirklich deutsche Revolution auch ein international weit weniger explosives Deutschland hervorbringen können, wie am Beispiel jener beiden besiegten Staaten zu sehen ist, die sich tatsächlich revolutionierten, nämlich Rußland und die Türkei: Diese waren viel zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten und der Verteidigung ihrer Grenzen beschäftigt, um auch noch die internationale Lage destabilisieren zu können. Im Gegenteil, in den dreißiger Jahren wirkten sie sogar stabilisierend; und die Türkei blieb im Zweiten Weltkrieg neutral. Aber auch in Japan und Italien herrschte Unzufriedenheit, obwohl beide Staaten zur Siegerseite gehörten. Die Japaner bewiesen allerdings etwas mehr Realismus als die Italiener, deren imperialer Appetit die unabhängige Macht des Staates, ihn zu stillen, bei weitem überschritt. Italien war jedenfalls aus dem Krieg mit beträchtlichen territorialen Zugewinnen in den Alpen, an der Adria und sogar in der Ägäis hervorgegangen, wenn auch nicht mit der ganzen Ausbeute, die dem Staat von den Alliierten als Gegenleistung für seinen Kriegsbeitritt 1915 versprochen worden war. Der Sieg des Faschismus, einer konterrevolutionären und daher ultranationalistischen und imperialistischen Bewegung, förderte diese Unzufriedenheit in Italien jedoch noch zusätzlich. Japan half die beträchtliche Stärke seines Militärs und seiner Marine, um zur stärksten Macht im Fernen Osten zu werden, vor allem nachdem Rußland von der Bildfläche verschwunden war. Bis zu einem gewissen Grad wurde diese Rolle auch noch international durch das Washingtoner Marineabkommen von 1922 anerkannt. Mit diesem Abkommen wurde schließlich der Überlegenheit der britischen Navy ein Ende gesetzt, indem die Stärke der amerikanischen, britischen und japanischen Marine im Verhältnis 5:5:3 festgelegt wurde. Doch Japan, dessen Industrialisierung im Eiltempo voranschritt – obwohl die absolute Größe seiner Wirtschaft noch immer recht bescheiden war (2,5 Prozent Anteil an der weltweiten Industrieproduktion in den späten zwanziger Jahren) –, fand zweifellos, daß ihm ein größeres Stück vom fernöstlichen Kuchen gebührte, als die weißen Imperialmächte ihm zugestehen wollten. Außerdem war es sich seiner Verwundbarkeit völlig bewußt, denn dem Land fehlten tatsächlich alle Bodenschätze, die eine moderne Industriewirtschaft braucht; und seine Importe waren der Gnade von ausländischen Kriegsflotten, seine Exporte der Gnade des amerikanischen Marktes ausgesetzt. Militärischer Druck, um ein nahe gelegenes Landimperium in China zu schaffen, hätte, so wurde in Japan behauptet, die Versorgungswege verkürzen und das Land entsprechend weniger verwundbar machen können.
Doch wie instabil der Frieden nach 1918 und wie groß die Wahrscheinlichkeit seines Zusammenbruchs auch gewesen sein mag, es gilt als völlig unbestritten, daß der Zweite Weltkrieg durch die Aggression dieser drei unzufriedenen Mächte ausgelöst wurde, die zudem seit Mitte der dreißiger Jahre durch mancherlei Verträge miteinander verbunden waren. Meilensteine auf dem Weg zum Krieg waren die japanische Invasion in der Mandschurei 1931, die italienische Invasion in Äthiopien 1935, die deutsche und italienische Intervention im Spanischen Bürgerkrieg 1936–39, die deutsche Invasion in Österreich Anfang 1938, die deutsche Beschneidung der Tschechoslowakei etwas später im selben Jahr, die deutsche Okkupation der verbliebenen Tschechoslowakei im März 1939 (gefolgt von der italienischen Okkupation Albaniens) und die deutschen Gebietsansprüche gegenüber Polen, die schließlich zum Ausbruch des Krieges führten. Wir können solche Meilensteine aber auch in negativer Spiegelung aufzählen: das Versäumnis des Völkerbunds, gegen Japan einzuschreiten und 1935 wirkungsvolle Maßnahmen gegen Italien zu ergreifen; das Versäumnis Großbritanniens und Frankreichs, auf die unilaterale Kündigung des Versailler Vertrages durch Deutschland und vor allem 1936 auf dessen militärische Wiederbesetzung des Rheinlands zu reagieren; ihre Weigerung, im Spanischen Bürgerkrieg zu intervenieren (»Nichteinmischung«); ihr Versäumnis, auf die Besetzung Österreichs zu reagieren; ihr Kleinbeigeben bei der deutschen Erpressung gegenüber der Tschechoslowakei (das »Münchener Abkommen« von 1938); und 1939 die Weigerung der Sowjetunion, die Opposition gegen Hitler fortzusetzen (Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939).
Und dennoch, selbst wenn die eine Seite eindeutig keinen Krieg gewollt haben und alles nur Erdenkliche getan haben mag, um ihn zu verhindern, und die andere Seite den Krieg glorifizierte und ihn, wie Hitler, gewiß auch aktiv herbeisehnte, so hat doch keiner der Aggressoren jenen Krieg gewollt, den er bekommen hat. Und auch keiner von ihnen hatte Krieg gegen all die Feinde führen wollen, denen er sich nun ausgesetzt sah. Japan hätte es trotz des Einflusses des Militärs auf seine Politik sicher vorgezogen, seine Ziele – vor allem die Schaffung eines ostasiatischen Imperiums – ohne einen allgemeinen Krieg zu erreichen, in den Japan nur deshalb verwickelt wurde, weil die USA beigetreten waren. Welche Art Krieg die Deutschen wollten, wann und gegen wen, ist noch immer eine Streitfrage, da Hitler kein Mann war, der seine Entscheidungen dokumentierte. Aber zwei Dinge sind klar: Ein Krieg gegen Polen (hinter dem Großbritannien und Frankreich standen) im Jahre 1939 stand nicht auf seinem Spielplan, und der Krieg, in dem er sich dann schließlich befand – sowohl gegen die USA als auch die Sowjetunion –, war der Alptraum eines jeden deutschen Generals und Diplomaten.
Deutschland mußte (wie später auch Japan) aus denselben Gründen wie 1914 einen schnellen Angriffskrieg führen. Denn die Ressourcen der potentiellen Feinde beider Staaten waren, so erst einmal vereinigt und koordiniert, überwältigend größer als die Mittel, die Deutschland oder Japan selbst zur Verfügung standen. Keiner von beiden bereitete sich auf einen lang andauernden Krieg vor, und weder die eine noch die andere Macht war von einer Rüstungsplanung mit langen Produktionsphasen abhängig. (Die Briten hingegen begannen sofort, ihrer Unterlegenheit zu Lande bewußt, ihr Geld in teuerste und technologisch hochentwickelte Rüstung zu investieren – Marine und Luftstreitkräfte –, und stellten ihre Planung auf einen langen Krieg ein, den sie dank ihres größeren Industriepotentials mit ihren Alliierten zu gewinnen hofften.) Die Japaner verstanden СКАЧАТЬ