Das Zeitalter der Extreme. Eric Hobsbawm
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Название: Das Zeitalter der Extreme

Автор: Eric Hobsbawm

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806239669

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СКАЧАТЬ Ausmaß annehmen als alles, was jemals zuvor geschehen war. Unter den vierundsiebzig internationalen Kriegen zwischen 1816 und 1965, die von amerikanischen Spezialisten (die solche Dinge gerne verrichten) nach der Anzahl von Menschen katalogisiert wurden, die in ihnen umgekommen sind, gehörten die ersten vier auf der Liste dem 20. Jahrhundert an: beide Weltkriege, der japanische Krieg gegen China 1937–39 und der Koreakrieg. Die Zahl der Menschen, die in jedem dieser Kriege auf den Schlachtfeldern getötet wurden, begann bei einer Million. Der größte aller dokumentierten Kriege des postnapoleonischen 19. Jahrhunderts, 1870–71 zwischen Preußen-Deutschland und Frankreich, hatte etwa 150000 Opfer gefordert, was allein schon der Zahl der Gefallenen in den Chaco-Kriegen 1932–35 zwischen Bolivien (mit einer Bevölkerungszahl von ca. 3 Millionen) und Paraguay (Bevölkerung ca. 1,4 Millionen) entsprach. Kurz gesagt, 1914 begann das Zeitalter des Massakers.1

      In diesem Buch ist kein Raum für die ausführliche Darstellung der Gründe und Auslöser für den Ersten Weltkrieg, um die sich der Autor an anderer Stelle bemüht hat (Hobsbawm, 1987). Er begann als ein seiner Natur nach europäischer Krieg, mit der Dreierallianz Frankreich, Großbritannien und Rußland auf der einen und den sogenannten »Mittelmächten« Deutschland und Österreich-Ungarn auf der anderen Seite, wobei Serbien durch den österreichischen Angriff (der ja den Krieg ausgelöst hatte) und Belgien durch den deutschen Angriff (der Teil des strategischen Kriegsplans der Deutschen war) unmittelbar hineingezogen wurden. Die Türkei und Bulgarien schlossen sich bald schon den Mittelmächten an, während sich auf seiten der Dreierallianz allmählich eine große Koalition aufbaute. Italien wurde bestochen, sich anzuschließen. Griechenland, Rumänien und (eher nominell) Portugal wurden einfach hineingezogen. Japan kam beinahe unmittelbar nach Kriegsausbruch dazu, um deutsche Positionen im Fernen Osten und im westlichen Pazifik zu vertreten, war jedoch an keinen Aktivitäten außerhalb seines Hoheitsgebietes interessiert. Die USA – und das war nun viel wichtiger – traten 1917 in den Krieg ein. Ihre Intervention sollte sich in der Tat als entscheidend erweisen.

      Die Deutschen sahen sich einem an zwei Fronten möglichen Krieg ausgesetzt (wie später auch im Zweiten Weltkrieg), vom Balkan einmal abgesehen, wo sie durch ihre Allianz mit Österreich-Ungarn hineingezogen wurden. (Da jedoch drei der vier Mittelmächte in dieser Region waren – die Türkei, Bulgarien, Österreich –, war das strategische Problem dort nicht so drängend.) Der deutsche Plan sah vor, zuerst schnellstens Frankreich im Westen zu schlagen und dann mit ebensolcher Geschwindigkeit Rußland im Osten, bevor das Zarenreich seine ungeheure Kampfkraft in vollem Ausmaß aktivieren konnte. Damals, genau wie später wieder, plante Deutschland einen Blitzkrieg, weil ihm nichts anderes übrigblieb. Beinahe sollte dieser Plan gelingen, aber nur beinahe. Die deutsche Armee rückte nach Frankreich vor, unter anderem durch das neutrale Belgien, und konnte erst fünf oder sechs Wochen nach der Kriegserklärung ein paar Dutzend Kilometer östlich vor Paris an der Marne gestoppt werden. (1940 sollte dieser Plan dann gelingen.) Dann zogen sich die Deutschen ein Stück zurück, und beide Seiten – die Franzosen wurden mittlerweile von den noch übrigen Belgiern und von einer britischen Landstreitmacht unterstützt, die sich schon bald enorm vergrößern sollte – improvisierten parallel verlaufende Verteidigungslinien aus Schützengräben und Bunkern, die sich bald ohne Unterbrechung von der Kanalküste Flanderns bis zur Schweizer Grenze zogen. Ein Großteil des östlichen Frankreich und Belgien standen damit unter deutscher Besatzung. Während der nächsten dreieinhalb Jahre änderte sich kaum etwas an diesem Frontverlauf.

      Das war die »Westfront«, die zum Schauplatz von Massakern werden sollte, wie es sie wahrscheinlich nie zuvor in der Kriegsgeschichte gegeben hat. Millionen von Männern lagen sich hinter Sandsäcken verbarrikadiert in Schützengräben gegenüber, in denen sie wie Ratten und zusammen mit Ratten und Läusen hausen mußten. Von Zeit zu Zeit versuchten ihre Generäle aus diesen Gräben auszubrechen. Tage, ja sogar Wochen unaufhörlichen Artilleriefeuers – das ein deutscher Schriftsteller später »Stahlgewitter« nannte (Ernst Jünger, 1921) – sollten den Feind »zermürben« und unter die Erde treiben. Im geeigneten Augenblick kletterten dann Wellen von Soldaten aus den Schützengräben, die üblicherweise unter Stacheldraht und Netzen verborgen waren, ins Niemandsland hinaus, in ein Chaos aus verschlammten Granattrichtern, zersplitterten Baumstümpfen, Morast und liegengelassenen Leichen, um schließlich in das gegnerische Maschinengewehrfeuer zu laufen und niedergemäht zu werden. Sie wußten, daß es so geschehen würde. Der deutsche Versuch, in Verdun durchzubrechen (Februar–Juli 1916), führte zu einer Schlacht mit zwei Millionen Soldaten und einer Million Gefallenen. Der Versuch schlug fehl. Die britische Offensive an der Somme, mit der die Deutschen gezwungen werden sollten, die Verdun-Offensive abzubrechen, kostete die Briten 420 000 Tote – 60 000 allein am ersten Tag des Angriffs. Es kann daher auch kaum verwundern, daß dieser Krieg den Briten und Franzosen, die die längste Zeit an der Westfront gekämpft hatten, als der »Große Krieg« in Erinnerung geblieben ist, mit noch schrecklicheren und traumatischeren Bildern vor Augen, als sie der Zweite Weltkrieg hinterlassen sollte. Die Franzosen verloren beinahe 20 Prozent ihrer Männer im wehrfähigen Alter, und wenn wir die Kriegsgefangenen, Verwundeten und für immer Verkrüppelten und Entstellten hinzuzählen – jene gueules cassés (»zerschlagenen Fressen«), die das Bild nach dem Krieg so eindrucksvoll prägten –, dann hatte nur etwa jeder dritte französische Soldat ohne bleibende Schäden den Krieg überlebt. Die Chancen für die etwa fünf Millionen britischen Soldaten, den Krieg unverletzt zu überstehen, standen fünfzig zu fünfzig.2 Die Briten verloren eine ganze Generation – eine halbe Million Männer unter dreißig (Winter, 1986, S. 83), die vor allem aus der Oberschicht stammten und zu Gentlemen erzogen worden waren, welche als Offiziere ein Beispiel zu geben hatten. Sie marschierten ihren Männern voran in die Schlacht und wurden daher auch als erste niedergemäht. Ein Viertel der unter fünfundzwanzigjährigen Studenten aus Oxford und Cambridge, die 1914 von der britischen Armee eingezogen worden waren, wurde getötet (Winter, S. 98). Die Deutschen, mit ihren viel weiter gefaßten Gruppen im kriegsfähigen Alter, verloren proportional gesehen weniger – 13 Prozent –, obwohl die Gesamtzahl ihrer Toten höher war als die der Franzosen. Selbst die vergleichsweise geringen Verluste der USA (116 000 gemessen an 1,6 Millionen Franzosen, beinahe 800 000 Briten und 1,8 Millionen Deutschen) zeigen, wie mörderisch diese Westfront war. Im Zweiten Weltkrieg waren die Verluste der USA zwar zweieinhalb- bis dreimal so hoch, aber damals kämpften ihre Truppen auch dreieinhalb Jahre auf der ganzen Welt, wohingegen sie 1917–18 kaum eineinhalb Jahre lang in nur einem einzigen, begrenzten Gebiet eingesetzt waren.3

      Die Kriegsgreuel an der Westfront sollten aber noch andere und schlimmere Folgen haben. Denn diese neue Erfahrung trug dazu bei, den Krieg und ebenso die Politik zu brutalisieren: Wenn Krieg geführt werden konnte, ohne die menschlichen und anderen Kosten aufzurechnen, weshalb dann nicht auch die Politik? Die meisten Männer, die im Ersten Weltkrieg – in der überwältigenden Mehrheit als Wehrdienstpflichtige – gedient hatten, kamen als überzeugte Kriegsgegner zurück. Jene ehemaligen Soldaten aber, die durch diesen Krieg hindurchgegangen waren, ohne sich gegen ihn aufzulehnen, zogen aus der gemeinsamen Erfahrung eines Lebens mit Tod und Tapferkeit eine Art unvermittelbarer, urtümlich-roher Überlegenheit, die sich vor allem gegen Frauen und all jene richtete, die nicht gekämpft hatten. Schon bald in der Nachkriegszeit sollten diese ehemaligen Frontsoldaten in die vordersten Reihen der Ultrarechten aufrücken. Adolf Hitler war nur einer dieser Männer, für die die Zeit als Soldat die prägende Erfahrung ihres Lebens werden sollte. Allerdings hatte auch die entgegengesetzte Reaktion negative Konsequenzen. Denn nach dem Krieg war zumindest den Politikern der demokratischen Staaten ziemlich klar geworden, daß ein Blutbad wie das von 1914–18 von den Wählern nicht mehr hingenommen werden würde. Die gesamte Strategie von Großbritannien und Frankreich nach 1918 basierte auf dieser Annahme, wie später auch die Strategie der USA nach der Vietnam-Erfahrung. Und auf kurze Sicht gesehen trug genau diese Haltung dazu bei, daß Deutschland 1940 im Zweiten Weltkrieg ein Frankreich besiegen konnte, das fest entschlossen war, sich hinter seinen (unzureichenden) Schutzwällen zu verschanzen, und, als diese erst einmal gestürmt waren, schlichtweg keinen Willen mehr hatte, den Kampf weiterzuführen. Dasselbe galt für Großbritannien, das sich verzweifelt bemühte, einer derart gewaltigen Landschlacht zu entgehen, wie sie 1914–18 so viele seiner Soldaten das Leben gekostet hatte. Aber auch langfristig gesehen konnten demokratische Regierungen nicht der Versuchung widerstehen, das Leben ihrer eigenen Bürger СКАЧАТЬ