Das Zeitalter der Extreme. Eric Hobsbawm
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Название: Das Zeitalter der Extreme

Автор: Eric Hobsbawm

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806239669

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СКАЧАТЬ Namen Sozialismus improvisiert wurde, hätte anderenfalls weder im eigenen Land noch andernorts als realistische globale Alternative zur kapitalistischen Wirtschaft gelten können, und seine eigentlichen Errungenschaften ließen sich erst erkennen, als im Kapitalismus schon das Goldene Zeitalter herrschte. Wie effektiv diese rivalisierenden Strategien waren oder wie bewußt sie eingesetzt wurden, um die Welt unserer Vorväter zu begraben, braucht hier nicht erwogen zu werden. Doch wir werden sehen, daß es bis in die frühen sechziger Jahre durchaus den Anschein hatte, als seien sie sich zumindest ebenbürtig gewesen. Heute jedoch, im Lichte des Zusammenbruchs des sowjetischen Sozialismus, wirkt diese Annahme lächerlich – auch wenn ein britischer Premierminister im Gespräch mit einem amerikanischen Präsidenten die Sowjetunion damals (1960) noch immer als einen Staat beschrieb, dessen »aufwärtsstrebende Wirtschaft … die kapitalistische Gesellschaft bald schon im Wettlauf nach materiellem Wohlstand überholt haben wird« (Horne, 1989, S. 303). Trotzdem müssen wir festhalten, daß das sozialistische Bulgarien und das nichtsozialistische Ecuador in den achtziger Jahren mehr Gemeinsamkeiten hatten als beide jeweils mit sich selbst zur Zeit von 1939.

      Auch wenn der Zusammenbruch des sowjetischen Sozialismus und seine enormen und noch immer nicht vollständig abschätzbaren – aber im wesentlichen negativen – Konsequenzen das dramatischste Ereignis während der Krisenjahrzehnte nach dem Goldenen Zeitalter waren, so waren sie doch nur Teil einer universalen oder globalen Krise. Ihre Auswirkungen auf die einzelnen Regionen der Welt waren unterschiedlich ausgeprägt und auch verschieden stark, aber ausgewirkt hat sie sich auf alle, unabhängig von politischen, sozialen oder ökonomischen Konfigurationen. Denn zum erstenmal in der Geschichte hatte das Goldene Zeitalter eine gemeinsame, zunehmend integrativ und universal operierende Weltwirtschaft geschaffen, die raumgreifend über Staatsgrenzen (»transnational«) und daher auch immer stärker über die Grenzen von Staatsideologien hinweg funktionierte. Damit waren natürlich auch die geltenden Vorstellungen der Institutionen aller Regime und Systeme unterminiert worden. Anfänglich hatte man die Schwierigkeiten der siebziger Jahre noch hoffnungsvoll für eine temporäre Unterbrechung des großen Vorwärtssprungs der Weltwirtschaft gehalten, und Länder jeglichen ökonomischen wie politischen Zuschnitts hatten dementsprechend auch nur nach temporären Lösungen gesucht. Doch es war immer ersichtlicher geworden, daß eine Ära der langfristigen Schwierigkeiten angebrochen war. Nun begannen die kapitalistischen Staaten nach Radikallösungen zu suchen und folgten dabei häufig den profanen Theologen des ungebremsten freien Marktes, welche die Art von Politik ablehnten, die der Weltwirtschaft im Goldenen Zeitalter so gut gedient hatte und nun zu versagen schien. Die Extremisten des Laisser-faire waren aber auch nicht erfolgreicher als andere. In den achtziger und frühen neunziger Jahren wurde die kapitalistische Welt von Problemen erschüttert, die es bislang nur in den Zwischenkriegsjahren gegeben und von denen man angenommen hatte, daß sie vom Goldenen Zeitalter endgültig überwunden worden wären: Massenarbeitslosigkeit, bedrohliche zyklische Konjunkturkrisen, spektakuläre Konfrontationen von Obdachlosigkeit und luxuriösem Überfluß, von begrenzten Staatseinnahmen und grenzenlosen Staatsausgaben. Die erlahmenden und verwundbaren Wirtschaften der sozialistischen Staaten wurden zu einem ebensolchen, wenn nicht sogar noch radikaleren Bruch mit ihrer Vergangenheit getrieben und begannen, wie wir heute wissen, auf ihren Zusammenbruch zuzusteuern. Diesen Zusammenbruch kann man den Beginn vom Ende des Kurzen 20. Jahrhunderts nennen, so wie der Erste Weltkrieg den Beginn seines Anfangs markiert hat. An dieser Stelle endet meine Geschichte.

      Sie endet – wie alle Bücher, die in den frühen neunziger Jahren abgeschlossen wurden – mit einem Blick ins Dunkle. Der Zusammenbruch des einen Teils der Welt enthüllte die Malaise des anderen. Als die achtziger Jahre in die neunziger übergingen, wurde deutlich, daß die Weltkrise nicht nur überall zur ökonomischen Krise, sondern auch zur allgemein politischen geraten war. Der Zusammenbruch der kommunistischen Regime zwischen Istrien und Wladiwostok hat nicht nur ein riesiges Gebiet mit politischer Unsicherheit, Instabilität, Chaos und Bürgerkrieg geschaffen, sondern auch jenes internationale System zerstört, das die internationalen Beziehungen über vierzig Jahre lang stabil gehalten hatte. Und er enthüllte schließlich auch die Ungesichertheit der innenpolitischen Systeme, die im wesentlichen auf dieser internationalen Stabilität beruht hatten. Denn die Spannungen, die auf den bedrängten Volkswirtschaften lasteten, haben auch die politischen Systeme der liberalen parlamentarischen oder präsidialen Demokratien, die in den fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg so gut funktioniert hatten, und nicht zuletzt auch die verschiedenen politischen Systeme in der Dritten Welt unterminiert. Die Basiseinheiten der Politik selbst, die territorialen, souveränen und unabhängigen »Nationalstaaten« – sogar die ältesten und stabilsten unter ihnen –, wurden von den Kräften einer supranationalen und transnationalen Wirtschaft und von infranationalen sezessionistischen Kräften und ethnischen Gruppierungen herausgefordert, von denen einige (auch das eine Ironie der Geschichte) den überholten und irrealen Status eines souveränen Miniatur-»Nationalstaates« einforderten. Die Zukunft der gesamten Politik lag im dunkeln, aber ihre Krise am Ende des Kurzen 20. Jahrhunderts war offensichtlich.

      Noch offensichtlicher als die Unsicherheiten der Weltwirtschaft und der Weltpolitik aber war die soziale und moralische Krise, die die Umwälzungen im menschlichen Leben nach den fünfziger Jahren reflektierte und in diesem Krisenjahrzehnt schließlich äußerst konfus zum Ausdruck kam: die Krise der verschiedenen Glaubensrichtungen und Postulate, auf die sich die moderne Gesellschaft gründete, seit die Modernen im frühen 18. Jahrhundert ihre berühmte Schlacht gegen die Alten gewonnen hatten, bei der es um jene rationalen und humanistischen Grundsätze ging, die der liberale Kapitalismus und der Kommunismus miteinander teilten und die schließlich auch deren kurze, aber entscheidende Allianz gegen den Faschismus – der diese Postulate bekämpfte – ermöglicht hatten. Michael Stürmer, ein konservativer deutscher Beobachter, stellte 1993 zu Recht fest, daß nunmehr nicht nur die Glaubenssätze des Ostens, sondern auch die des Westens zur Disposition standen: »In dieser Hinsicht besteht übrigens eine merkwürdige Parallelität zwischen Ost und West. Im Osten war die Vorstellung, der Mensch sei Herr seines Schicksals, Staatsdoktrin. Aber sogar bei uns galt – wenngleich sanfter und mehr inoffiziell – die Devise, daß der Mensch auf dem Wege sei, Herr seines Schicksals zu werden. Auf beiden Seiten sind wir mit dieser Omnipotenzanmaßung gescheitert, im Osten absolut, chez nous relativ« (Bergedorf 98. S. 95).

      Paradoxerweise endete ausgerechnet jenes Zeitalter, dessen Behauptung, der Menschheit Nutzen gebracht zu haben, ausschließlich auf den enormen Erfolgen des wissenschaftlich und technologisch begründeten materiellen Fortschritts basierte, indem maßgebliche Vertreter der öffentlichen Meinung und vorgeblich große Denker des Westens genau diesen Fortschritt in Frage stellten.

      Aber nicht nur die Grundsätze der modernen Zivilisation stürzten in die moralische Krise, sondern auch die historischen Strukturen der menschlichen Beziehungen, die die moderne Gesellschaft von der präindustriellen und präkapitalistischen Vergangenheit geerbt hatte und die ihr, wie wir heute wissen, zur Wirksamkeit verholfen haben. Nicht eine bestimmte Möglichkeit der Organisation von Gesellschaften war in die Krise geraten, sondern alle Möglichkeiten. Und die seltsamen Rufe nach einer diffusen »Zivilgesellschaft«, nach »Gemeinschaft« – und das in einer Zeit, in der solche Worte ihre traditionelle Bedeutung bereits verloren hatten und zu leeren Phrasen geworden waren –, nach Gruppenidentität, die sich nur durch eine einzige Möglichkeit definierte, nämlich durch den Ausschluß von Außenseitern: sie alle waren Stimmen von verlorenen und umhergeisternden Generationen.

      Der Dichter T. S. Eliot schrieb: »So wird die Welt enden – nicht mit einem Knall, sondern mit Gewinsel.« Das Kurze 20. Jahrhundert endete mit beidem.

      3

      Wie sah die Welt der neunziger Jahre aus, verglichen mit der Welt von 1914? Sie war von fünf oder sechs Milliarden Menschen bevölkert, etwa dreimal soviel, wie beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs gelebt hatten, und dies trotz der Tatsache, daß während des Kurzen 20. Jahrhunderts mehr Menschen umgekommen sind oder auf Weisung und mit Erlaubnis Menschen ermordet wurden als jemals zuvor in der Geschichte. Eine neuere Schätzung der »Megatode« dieses Jahrhunderts beläuft sich auf 187 Millionen (Brzezinski, СКАЧАТЬ