Das Zeitalter der Extreme. Eric Hobsbawm
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Название: Das Zeitalter der Extreme

Автор: Eric Hobsbawm

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806239669

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СКАЧАТЬ französische Bonmot tout comprendre c’est tout pardonner (alles zu verstehen heißt, alles zu vergeben) ist unwahr. Die Nazizeit in der deutschen Geschichte zu verstehen und sie in ihren historischen Kontext einzufügen heißt nicht, den Genozid zu vergeben. Kaum jemand jedenfalls, der in diesem außergewöhnlichen Jahrhundert gelebt hat, wird sich der Beurteilung enthalten können. Es ist das Verstehen, das uns allen schwerfällt.

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      Wie können wir dem »Kurzen 20. Jahrhundert« einen Sinn abgewinnen, also den Jahren vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, die, wie wir heute im Rückblick erkennen können, eine kohärente historische Periode bildeten, welche nun beendet ist? Wir wissen nicht, was als nächstes kommt und wie das dritte Jahrtausend aussehen wird, aber wir können sicher sein, daß es vom Kurzen 20. Jahrhundert geprägt sein wird. Zweifellos ist in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren eine Ära der Weltgeschichte zu Ende gegangen und hat eine neue begonnen. Dies ist die entscheidende Information für die Historiker dieses Jahrhunderts, denn auch wenn sie über die Zukunft im Lichte ihres Vergangenheitsverständnisses spekulieren können, so betreiben sie noch lange nicht das Geschäft eines Buchmachers. Die einzigen Pferderennen, von denen sie berichten und die sie beurteilen können, sind jene, die bereits gewonnen oder verloren wurden. Jedenfalls waren die Vorhersagen der Auguren aus den vergangenen dreißig oder vierzig Jahren – wie auch immer ihre individuelle Qualität als professionelle Propheten gewesen sein mag – derart spektakulär schlecht, daß wahrscheinlich nur noch Regierungen und Wirtschaftsforschungsinstitute Vertrauen in sie haben oder zu haben vorgeben.

      In diesem Buch erscheint die Struktur des Kurzen 20. Jahrhunderts wie eine Art Triptychon oder historischer Sandwich. Dem Katastrophenzeitalter von 1914 bis zu den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs folgten etwa fünfundzwanzig bis dreißig Jahre eines außergewöhnlichen Wirtschaftswachstums und einer sozialen Transformation, die die menschliche Gesellschaft wahrscheinlich grundlegender verändert haben als jede andere Periode vergleichbarer Kürze. Retrospektiv kann diese Periode als eine Art von Goldenem Zeitalter betrachtet werden, und sie wurde auch beinahe sofort, nachdem sie in den frühen siebziger Jahren zu Ende gegangen war, als solche empfunden. Im letzten Teil des Jahrhunderts begann dann eine neue Ära des Verfalls, der Unsicherheit und Krise – und für große Teile der Welt, wie für Afrika, die ehemalige Sowjetunion und den ehemals sozialistischen Teil Europas, in der Tat eine Ära der Katastrophe. Als die achtziger Jahre in die neunziger übergingen, hatte sich die Gemütsverfassung der meisten, die über Vergangenheit und Zukunft dieses Jahrhunderts nachdachten, in wachsende Fin-de-siècle-Trübsal verwandelt. In der Perspektive der neunziger Jahre erschien das Kurze 20. Jahrhundert auf dem Weg von einer Krise durch ein kurzes Goldenes Zeitalter in eine andere, mit Ausblick auf eine unbekannte und problematische, aber nicht notwendigerweise apokalyptische Zukunft – und ich möchte, wie vielleicht so manch anderer Historiker auch, die metaphysischen Propheten von einem »Ende der Geschichte« daran erinnern, daß es mit Sicherheit eine Zukunft geben wird. Denn die einzige wirklich sichere Allgemeinaussage über Geschichte ist die, daß sie, solange es die Menschheit gibt, weitergehen wird.

      Die Jahrzehnte vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs bis zu den Nachwirkungen des Zweiten waren ein Zeitalter der Katastrophe für diese Gesellschaft. Über vierzig Jahre stolperte sie von einer Kalamität in die andere. Es gab Zeiten, in denen nicht einmal intelligente Konservative noch auf ihr Überleben gewettet hätten. Sie wurde von zwei Weltkriegen erschüttert, denen zwei Wellen einer weltweiten Rebellion und Revolution folgten, welche schließlich ein System an die Macht brachten, das für sich in Anspruch nahm, die historisch prädestinierte Alternative zur bürgerlichen und kapitalistischen Gesellschaft zu sein, und das zuerst über ein Sechstel der Landmasse dieser Welt und nach dem Zweiten Weltkrieg dann über ein Drittel der Weltbevölkerung herrschte. Die riesigen Kolonialreiche, die vor und während des imperialen Zeitalters aufgebaut worden waren, brachen zusammen und zerfielen zu Staub. Die gesamte Geschichte des modernen Imperialismus, der beim Tod von Königin Viktoria von England noch so fest und selbstsicher im Sattel gesessen hatte, sollte nur eine einzige Lebensspanne währen – etwa so lange, wie das Leben von Winston Churchill (1874–1965) währte.

      Aber mehr noch: Eine Weltwirtschaftskrise von bis dahin ungekanntem Ausmaß zwang selbst die stärksten kapitalistischen Wirtschaftssysteme in die Knie und schien die Schaffung einer einzigen universalen Weltwirtschaft zunichte zu machen, die eine so bemerkenswerte Errungenschaft des liberalen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts gewesen war. Selbst die Vereinigten Staaten, von Krieg und Revolution verschont, schienen dem Kollaps nahe. Und während die Wirtschaft taumelte, verschwanden zwischen 1917 und 1942 (außer in ein paar Ecken von Europa und in einigen Gebieten von Nordamerika und Ozeanien) tatsächlich alle liberalen demokratischen Institutionen, wohingegen der Faschismus und seine autoritären Satelliten und Regime auf dem Vormarsch waren.

      Nur die temporäre und bizarre Allianz von liberalem Kapitalismus und Kommunismus, zur Selbstverteidigung gegen den faschistischen Herausforderer, rettete die Demokratie; denn Hitlers Deutschland wurde und konnte im wesentlichen nur durch die Rote Armee besiegt werden. In vielerlei Hinsicht war diese Periode der kapitalistisch-kommunistischen Allianz gegen den Faschismus – vor allem in den dreißiger und vierziger Jahren – der Dreh- und Angelpunkt und das entscheidende Moment in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Aber in vielerlei Hinsicht war dieses Moment auch ein historisches Paradox in den Beziehungen zwischen Kapitalismus und Kommunismus, die fast während des gesamten Jahrhunderts (außer in der kurzen Zeitspanne des Antifaschismus) in einem unversöhnlichen Antagonismus eingebettet waren. Der Sieg der Sowjetunion über Hitler war die Leistung jenes Regimes, das mit der Oktoberrevolution etabliert worden war (was auch eine vergleichende Studie über die russisch-zaristische Wirtschaftsleistung im Ersten Weltkrieg und die sowjetische Wirtschaft im Zweiten Weltkrieg zeigt; Gatrell/Harrison, 1993). Ohne die Oktoberrevolution bestünde die Welt (außerhalb der USA) heute wahrscheinlich eher aus einer Reihe von autoritären und faschistischen Varianten als aus einem Ensemble unterschiedlicher liberaler, parlamentarischer Demokratien. Eine der Ironien dieses denkwürdigen Jahrhunderts ist, daß das dauerhafteste Resultat der Oktoberrevolution – deren Ziel es ja war, den Kapitalismus weltweit umzustürzen – ausgerechnet die Rettung ihres Antagonisten im Krieg wie im Frieden war: Sie spornte ihn an (indem sie angst machte), sich nach dem Zweiten Weltkrieg selbst zu reformieren; und sie machte wirtschaftliche Planung in einer Weise gemeinverständlich, daß schließlich sogar einige ihrer Aspekte zum Prozedere dieser Reform gehören sollten.

      Doch sogar nachdem der liberale Kapitalismus gerade noch die dreifache Herausforderung von Zusammenbruch, Faschismus und Krieg überstanden hatte, schien er noch immer einem weltweiten Vormarsch der Revolution ausgesetzt, die sich nun um die aus dem Zweiten Weltkrieg als Supermacht hervorgegangene Sowjetunion sammeln konnte.

      Im Rückblick können wir nun erkennen, daß die globale sozialistische Herausforderung des Kapitalismus auf der Schwäche ihres Gegners beruhte. Ohne den Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts im Zeitalter der Katastrophe hätte СКАЧАТЬ