Das Zeitalter der Extreme. Eric Hobsbawm
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Название: Das Zeitalter der Extreme

Автор: Eric Hobsbawm

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806239669

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СКАЧАТЬ und wurden weitaus älter als ihre Eltern, obwohl die Katastrophen der achtziger und neunziger Jahre in Afrika, Lateinamerika und der ehemaligen Sowjetunion dies nur schwerlich glaubhaft erscheinen lassen. Die Welt war unvergleichlich viel reicher als jemals zuvor – durch das mittlerweile herrschende Ausmaß an Waren- und Dienstleistungsproduktion –, aber auch reicher in ihrer grenzenlosen Vielfalt. Anders wäre es ihr auch nicht gelungen, eine Weltbevölkerung zu erhalten, die um ein Mehrfaches größer war als jemals zuvor in der Weltgeschichte. Bis in die achtziger Jahre lebten die meisten Menschen besser als ihre Eltern und in den fortgeschrittenen Wirtschaftssystemen auch besser, als sie es selbst jemals erwartet oder für möglich gehalten hatten. Für einige Jahrzehnte sah es in der Mitte des Jahrhunderts sogar so aus, als habe man Mittel und Wege gefunden, zumindest einen Teil dieses enormen Wohlstands in den reicheren Ländern mit einem gewissen Grad an ausgleichender Gerechtigkeit an die arbeitenden Menschen zu verteilen, doch am Ende des Jahrhunderts hatte Ungerechtigkeit wieder die Oberhand gewonnen. Selbst in den ehemals »sozialistischen« Ländern, wo zuvor eine gewisse Gleichheit in Armut geherrscht hatte, hielt Ungerechtigkeit massiv Einzug. Die Menschheit war viel besser ausgebildet als 1914. Tatsächlich waren wahrscheinlich zum erstenmal in der Geschichte die meisten Menschen des Lesens und Schreibens kundig; zumindest stand es so in den offiziellen Statistiken, wenngleich die Bedeutung dieser Errungenschaft am Ende des Jahrhunderts weit weniger klar war, als sie es 1914 gewesen wäre, weil zwischen dem Kompetenzminimum der »Lese- und Schreibkundigkeit«, auf das man sich offiziell geeinigt hatte (was häufig nichts anderes bedeutete als »funktionelles Analphabetentum«), und dem Bildungsniveau der Eliten mittlerweile eine riesige und wahrscheinlich noch wachsende Kluft entstanden war.

      Die Welt war angefüllt mit revolutionären und sich ständig weiterentwickelnden Technologien, die auf den Errungenschaften der Naturwissenschaften basierten. 1914 waren sie zwar bereits vorstellbar gewesen, aber ihre Entwicklung hatte noch völlig in den Kinderschuhen gesteckt. Die vielleicht dramatischste Konsequenz dieser Entwicklung war die Revolution im Transport- und Kommunikationswesen, die die Vorstellungen von Zeit und Raumdistanz nahezu zunichte gemacht hat. Es war eine Welt, die täglich, stündlich und in jeden Haushalt mehr Information und Unterhaltung liefern konnte, als sie 1914 kaiserlichen Herrschern zur Verfügung gestanden hatten. Sie ermöglichte es den Menschen, über Ozeane und Kontinente hinweg und nur nach dem Druck auf ein paar Knöpfe miteinander zu sprechen, und sie hat mit gutem Grund die kulturelle Überlegenheit der Stadt über das Land abgeschafft.

      Weshalb also endete das Jahrhundert nicht mit einer Jubelfeier angesichts dieses beispiellosen und wunderbaren Fortschritts, sondern in einer Stimmung des Unbehagens? Weshalb blickten so viele der Reflexion fähige Denker ohne Genugtuung zurück und ganz gewiß ohne Vertrauen in die Zukunft? Wahrscheinlich nicht nur deshalb, weil es ohne Zweifel das mörderischste Jahrhundert von allen war, über die wir Aufzeichnungen besitzen: mit Kriegszügen von nie gekannten Ausmaßen und von nie dagewesener Häufigkeit und Dauer, unterbrochen nur für kurze Zeit in den zwanziger Jahren, und beherrscht von bis dahin einmaligen menschlichen Katastrophen, die von diesen Kriegen hervorgerufen worden waren (von den größten Hungerkatastrophen der Geschichte bis hin zum systematischen Genozid). Im Gegensatz zum »Langen 19. Jahrhundert«, das eine Periode des beinahe ununterbrochenen materiellen, intellektuellen und moralischen Fortschritts schien und auch war – das also allgemein die Bedingungen des zivilisierten Lebens verbessert hatte –, hatten sich die Standards und Lebensbedingungen vor allem der Mittelklassen seit 1914 eindeutig wieder verschlechtert; wobei man diese Standards in den entwickelten Industriestaaten für völlig normal gehalten und auch zuversichtlich geglaubt hatte, daß diese sich auf rückständigere Regionen und weniger aufgeklärte Schichten der Bevölkerung ausweiten würden.

      Dieses Jahrhundert hat uns zwar gelehrt und lehrt uns auch weiterhin, daß der Mensch fähig ist, unter den brutalsten und theoretisch unerträglichsten Bedingungen zu leben; dennoch fällt es nicht leicht, das Ausmaß der sich leider immer rasender beschleunigenden Rückkehr in einen Zustand zu begreifen, den unsere Vorfahren im 19. Jahrhundert barbarisch genannt hätten. Wir vergessen, daß der alte Revolutionär Friedrich Engels von der Explosion einer irisch-republikanischen Bombe in Westminster Hall entsetzt war, weil er, ein alter Soldat, davon überzeugt war, daß ein Krieg nur gegen Kampftruppen und nicht gegen Zivilisten geführt werden darf. Wir vergessen, daß die Pogrome im zaristischen Rußland, die (vollkommen zu Recht) die Weltmeinung empört und russische Juden zwischen 1881 und 1914 zu Millionen über den Atlantik getrieben hatten, nur klein, beinahe vernachlässigenswert waren, gemessen am Ausmaß des modernen Massakers: Damals wurden die Toten in Dutzenden, nicht in Millionen oder auch nur Hunderten gezählt. Wir vergessen, daß einst eine internationale Konvention dafür Sorge trug, daß feindselige Handlungen »nicht ohne vorhergehende ausdrückliche Warnung und nur in Form einer begründeten Kriegserklärung oder eines Ultimatums mit bedingter Kriegserklärung stattfinden dürfen«. Wann hat zuletzt ein Krieg mit einer solch expliziten oder impliziten Erklärung begonnen? Oder wann mit einem förmlichen Friedensvertrag geendet, der zwischen den kriegführenden Parteien ausgehandelt worden wäre? Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden Kriege zunehmend gegen die Wirtschaft und die Infrastruktur und gegen die Zivilbevölkerung von Staaten geführt. Seit dem Ersten Weltkrieg waren die Kriegsverluste unter Zivilisten bei weitem größer als die Verluste unter den Soldaten aller kriegführenden Staaten, abgesehen von den USA. Wie viele von uns erinnern sich an das, was 1914 noch als selbstverständlich galt:

      »Zivilisierte Kriegsführung, so steht es in unseren Lehrbüchern, beschränkt sich soweit wie möglich darauf, die Streitkräfte des Feindes unbrauchbar zu machen; anderenfalls würde der Krieg weitergehen, bis eine der Parteien ausgelöscht wäre. Es geschieht aus gutem Grund …, daß sich die Nationen Europas diese Praxis angeeignet haben« (Encyclopædia Britannica, XI, 1911, Art.: Krieg).

      Wir können zwar kaum überschauen, in welchem Ausmaß Folter und Mord erneut zu einem akzeptierten Anwendungsmittel der öffentlichen Sicherheit von modernen Staaten wurden, aber wahrscheinlich unterschätzen wir völlig, welch dramatische Umkehr dies von der langen Ära der Rechtsentwicklung zwischen 1780 und 1914 bedeutet, seit zum erstenmal in einem westlichen Land offiziell die Folter abgeschafft worden war.

      Man kann aber die historische Buchhaltung von »Soll« und »Haben« im Weltgeschehen am Ende des Kurzen 20. Jahrhunderts nicht mit der vergleichen, die an seinem Anfang stand. Denn die Welt an seinem Ende unterschied sich qualitativ in zumindest dreierlei Hinsicht.

      Erstens war sie nicht mehr eurozentriert. Vielmehr hatte der Niedergang und der Untergang Europas stattgefunden, das zu Beginn des Jahrhunderts das unangefochtene Zentrum von Macht, Wohlstand, Intellektualität und »westlicher Zivilisation« darstellte. Europäer und ihre Nachkommen waren mittlerweile von etwa einem Drittel der Menschheit auf höchstens ein Sechstel reduziert und lebten in Ländern, die ihre Bevölkerungen kaum regenerierten und sich (mit einigen strahlenden Ausnahmen, wie bis in die neunziger Jahre die USA) mit Schutzwällen gegen den Druck der Immigration aus den Armutsländern umgaben. Die Industrien, denen Europa zum Durchbruch verholfen hatte, wanderten anderswohin ab. Die Länder, die einst über den Ozean nach Europa geblickt hatten, blickten anderswohin. Australien, Neuseeland und selbst die USA, zwischen den beiden Ozeanen gelegen, sahen ihre Zukunft im Pazifik, was immer das auch genau bedeuten sollte.

      Die »Großmächte« von 1914, europäisch ohne Ausnahme, waren ebenso wie der Erbe des zaristischen Rußland, die Sowjetunion, verschwunden oder auf den Rang von regionalen oder provinziellen Mächten zurückgefallen, mit Ausnahme vielleicht von Deutschland. Gerade die Anstrengungen hin auf die Schaffung einer gemeinsamen, supranationalen »Europäischen Gemeinschaft« und die Bemühungen, eine entsprechende Sensibilität für eine europäische Identität wiederherzustellen und so die alten Loyalitäten gegenüber historischen Nationen und Staaten zu ersetzen, beweisen das ganze Ausmaß dieses Niedergangs.

      War dieser Wandel, außer für Historiker, jedoch wirklich von tiefgreifender Bedeutung? Vielleicht nicht, denn er hat sich in den wirtschaftlichen, intellektuellen und kulturellen Konfigurationen der Welt nur geringfügig niedergeschlagen. Schon 1914 waren die USA die größte industrielle Wirtschaftsmacht gewesen, СКАЧАТЬ