Название: Die bedeutendsten Maler der Alten Zeit
Автор: Norbert Wolf
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная прикладная и научно-популярная литература
Серия: marixwissen
isbn: 9783843802352
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ROKOKO (UM 1720/30–UM 1780)
Als Dekorationsstil des Stadtadels, der sich vom Repräsentativen zum verfeinerten Lebensstil des Intimen hinwandte, entstand das Rokoko zwischen 1720 und 1730 in Paris, und zwar in Reaktion auf die Staatskunst Ludwigs XIV. (»Louisquatorze«) und im Anschluss an das »Régence« (zu Letzterem gehört der wunderbare Maler Antoine Watteau).
Namengebend für das Rokoko wurde als Leitmotiv die Rocaille, eine schnörkelhafte, muschelförmige Ornamentform, die in ihre asymmetrische Struktur gerne »Bildinseln« aufnahm. Die solcherart dekorierten Wände scheinen durch gekurvte Grundrisse in Schwingung versetzt, die Räume durch große Fenster und Spiegel optisch erweitert, zierliche Möbel, Porzellan, fein gemusterte Textilien, vergoldete Bronzen, Kristallleuchter usw. fügen sich zu einem hochkultivierten Gesamteindruck. Als ein weiteres typisches Indiz für diesen dem Leichten, Duftigen, häufig auch dem Lasziven, unterschwellig aber auch dem »Brüchigen«, Vergänglichen geneigten Stil darf man die fragile Technik der Pastellmalerei nennen, die etwa von der Italienerin Rosalba Carriera zu höchster Eleganz verfeinert und auch von dem bemerkenswerten Jean-Baptiste-Siméon Chardin am Ende seines Schaffens, mit dem er bereits zur Kunst der Aufklärung überleitet, aufgegriffen wurde. Nach Deutschland gelangte das Rokoko durch den in Frankreich geschulten, am Münchner Hof tätigen Architekten und Dekorateur François de Cuvilliés d. Ä. Insbesondere in Süddeutschland und Österreich drang das Rokoko aber auch in den Sakralraum ein und führte hier in allen Kunstgattungen zu einer unermesslichen, exquisiten, oft freilich auch sehr volkstümlichen Blüte (»Wieskirche«). In Italien erlebte das Rokoko – ganz abgesehen von Tiepolo – eine Nachblüte insbesondere in der venezianischen Malerei, und hier wieder in der Vedutenkunst eines Canaletto, Bernardo Bellotto, Pietro Longhi oder Francesco Guardi.
So divergent sich die einzelnen Malerei-Schulen und – Strömungen im Rokoko zeigen, so ist ihnen doch eines gemeinsam: die Bevorzugung der koloristischen Einheit gegenüber der Figurenbildung und damit eine bemerkenswerte Präferenz des Malerischen gegenüber dem linearen Moment. Dies gilt für Franzosen wie François Boucher oder Jean-Honoré Fragonard ebenso wie für einen Franz Anton Maulbertsch im deutschsprachigen Raum oder einen Pietro Longhi in Venedig, einen Thomas Gainsborough in England.
ANONYME BUCHKÜNSTLER
tätig um 800 am »Book of Kells«
Das Book of Kells ist einer der größten Kunstschätze der Welt. Das Buch ist im Trinity College in Dublin, im »Long Room« der altehrwürdigen Bibliothek, unter Panzerglas ausgestellt.
Umberto Eco zieht eine Parallele zwischen dem »wuchernden« Dekor des Buches, der »ein neues Universum zu definieren« suche, und dem antiklassischen Stil damaliger insularer, vornehmlich irischer Literaturästhetik, der in Komplexität, im Überfluss an Epitheta und Paraphrasen, im Monströsen, Maßlosen und Wunderbaren schwelgt.1 Auch in der Moderne erwies sich das Book of Kells als Gedankenmodell zu experimenteller Sprachartistik. Denn es inspirierte James Joyce zu Finnegans Wake (1922–1939), einem Stück Literatur, das Bild und Sinnbild der Welt sein wollte. Bereits im Zusammenhang mit seinem großen Roman Ulysses (1922) behauptete Joyce, dass viele Initialen des Book of Kells die substantielle Eigenart seiner Kapitel besäßen, und er rief die Leser zum wiederholten Vergleich mit jenen Miniaturen auf.
Die prähistorisch-keltische Flechtwerk-Ornamentik als Träger magischer Kräfte vereint sich in der überbordenden Ornamentik dieses Buches, in seinen Zierfeldern, Teppichseiten (die, einem Teppich gleich, vollständig von Dekoration bedeckt sind), seinen Initialen bruchlos mit dem christlichen Verständnis vom sakramentalen Sinn des Wortes. Die linearen Gebilde, deren tiefgründige Aussagekraft bereits die nubischen und koptischen Frühchristen Ägyptens und des Sudan mit christlichen Zeichen in Zusammenhang gebracht hatten, entsprangen den mythischen Vorstellungen von geheimnisvollen Netzen und Schlingen der Welt und des Teufels und ihrer apotropäischen Bannung.
Die Technologie der verwendeten Farben stellt ein kompliziertes Kapitel dar, das in einzelnen Fällen bis heute nicht geklärt ist. Insbesondere bleibt umstritten, ob ein bestimmtes leuchtendes Blau mit Hilfe von Lapislazuli entstand, einem im Mittelalter mit Gold aufgewogenen Halbedelstein (die kostbarste Variante stammte aus dem Himalajavorgebirge in Afghanistan). Jedenfalls waren die meisten Farbpigmente, die die Illuminatoren für das Wunderwerk des Book of Kells wählten, immens teuer.
Wer waren sie nun, diese Illuminatoren?
Das Book of Kells ist die Schöpfung eines in irischer Tradition verwurzelten Klosterskriptoriums. So viel steht fest. Doch ist es in Kells (etwa 60 km nordwestlich von Dublin) zu lokalisieren, in Iona (vor der Westküste von Schottland), im nordenglischen Northumbrien, gar auf dem Schottischen Festland? Die aktuelle Meinung tendiert zu Iona oder spricht sich wenigstens für die Möglichkeit aus, die Handschrift sei in Iona begonnen und in Kells gegen 800 abgeschlossen.
Umstritten ist die Anzahl der Schreiberhände – die Leistung der Schreiber, der Skriptoren, die sich in einer unglaublich komplexen und überwältigenden Kalligraphie manifestiert, darf ja aus dem künstlerischen Kosmos einer solchen Handschrift unter keinen Umständen ausgeklammert werden. Am besten wird man von drei oder vier Skriptoren ausgehen. Als Illuminatoren werden in der Hauptsache drei Künstler namhaft gemacht: der »Goldschmied«, da er mit Vorliebe Gelb verwendete, um Gold auf zahlreichen Zierseiten zu suggerieren; ferner der »Porträtmaler«, der für einen Großteil der kühnen figürlichen Miniaturen verantwortlich sei; schließlich der »Illustrator«, Urheber weiterer figurativer Kompositionen. Egal, ob man dieser Händescheidung folgen will oder nicht (statt ihrer gibt es auch die These lediglich zweier Illuminatoren), unbestritten bleibt die für den heutigen Betrachter fast unvorstellbare Homogenität und Harmonie der Ausstattung.
Das Können der Künstler, die vermutlich Mönche waren, erschöpft sich nicht in der Faszination, die sich an das Auge richtet. Man sollte immer beachten, dass jene »voluptas oculorum«, jene Begierde des Schauens, wie mittelalterliche Theologen dazu sagten, nie zum Selbstzweck geriet, dass sie sich im Book of Kells so gut wie immer in den Dienst einer Bildertheologie stellte und somit an den religiösen Intellekt, an eine spirituelle Auffassung richtete. Freilich: Der durchgehend zu konstatierende Drang zur Kalligraphie, in deren Schönheit es sich meditativ zu versenken gilt – einer Kommunion des Auges gleich –, verlässt gerne die Grenzen nüchterner Praktikabilität, er befördert die Buchstaben zu Bildern, СКАЧАТЬ