Название: Gesammelte Werke
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813475
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Eine Furcht, die jedoch nicht ganz echt war, ließ sie sich in das Schlafzimmer hinter der Küche schleichen, wo Bert gestorben war, und im Spiegel des Toilettentisches studierte sie ihr Gesicht. Nein, sie war nicht sehr verändert. Schön war sie nicht. Das wusste sie gut. Aber hatte Mercedes nicht gesagt, dass die großen Frauen in der Geschichte, die die Liebe der Männer errungen hatten, nicht schön gewesen waren? Und doch war sie alles eher als hässlich, wie Saxon sich sagte, als sie ihr Spiegelbild betrachtete. Sie sah ihre großen grauen Augen, die so tiefgrau waren und immer so lebendig blickten, und auf deren Oberfläche wie in deren grauer Tiefe immer unausgesprochene Gedanken schwammen, Gedanken, die zu Boden sanken und sich auflösten, um neuen Gedanken Platz zu machen. Die Brauen waren schön, darüber war sie sich ganz klar – fein gezeichnet, etwas dunkler als das hellbraune Haar, und sie passten ausgezeichnet zu ihrer unregelmäßigen Nase, die ausgeprägt weiblich, aber nicht schwach, eher pikant war und ein bisschen keck wirkte. Sie konnte sehen, dass ihr Gesicht etwas mager war, und ihre Lippen waren nicht ganz so rot wie früher; sie hatten etwas von ihrer frischen Farbe verloren. Aber alles das konnte wiederkommen. Ihr Mund war keine Rosenknospe – wie man es in den Magazinen sah. Sie betrachtete ihn besonders aufmerksam. Es war ein lustiger Mund, ein Mund, geschaffen, froh zu sein, zu lachen und andere zum Lachen zu bringen. Und sie wusste, dass ihr Lächeln auch bei anderen Lächeln zu erzeugen pflegte. Sie lachte mit den Augen allein – das war einer ihrer kleinen Tricks. Dann warf sie den Kopf zurück und lachte mit Augen und Mund zugleich, und zwischen den halbgeöffneten Lippen kamen die beiden Reihen starker weißer Zähne zum Vorschein.
Und sie erinnerte sich, wie Billy an dem Abend in der Germania-Halle, als er Charley Long abgefertigt hatte, ihre Zähne gelobt hatte. »Nicht groß und auch nicht dumme kleine Kinderzähne«, hatte Billy gesagt. »Gerade so, wie sie sein sollen, und sie passen zu Ihnen.«
Wieder ließ sie den Blick über ihr Spiegelbild schweifen. Ja, sie konnte es schon mit mancher aufnehmen. War Billy prachtvoll als Mann, so war sie ihm auf ihre Art ebenbürtig. Sie kannte genau ihren Wert und ebenso genau den seinen. Wenn er wie früher war, richtig der alte, nicht von Sorgen gequält, nicht von der Falle gepeinigt, nicht durch Trinken von Sinnen gebracht, wenn er er war, ihr junger Liebhaber, dann war er reichlich das wert, was sie ihm geben konnte.
Saxon warf sich einen letzten Blick im Spiegel zu. Nein, sie war nicht tot. So wenig, wie Billys Liebe und ihre Liebe tot war. Alles, was sie brauchten, war der rechte Boden – dann wuchs und blühte ihre Liebe wieder. Und jetzt kehrten sie Oakland den Rücken und wanderten fort, um den rechten Boden zu finden.
»Ach, Billy!« rief sie durch die Wand hindurch, während sie immer noch auf dem Stuhl stand und mit der einen Hand den Spiegel hin- und herwippte, sodass sie den Blick von ihren Fußgelenken und Waden bis zu dem Gesicht mit der warmen Farbe und dem schelmischen Ausdruck schweifen lassen konnte.
»Nun, was gibt es?« hörte sie ihn antworten.
»Ich mache mir selbst den Hof«, rief sie zurück.
»Was sind das nun für Dummheiten?« fragte er verblüfft. »Warum bist du so verliebt in dich?«
»Weil du mich liebst«, antwortete sie. »Ich liebe jedes bisschen von mir selbst, Billy, weil … weil … nun ja, weil du jedes bisschen von mir liebst.«
*
Die Tage flogen in Glück und Freude für Saxon dahin, die mehr als genug damit zu tun hatte, Billy zu essen zu geben und zu pflegen, ihre Hausarbeit zu verrichten, Pläne zu schmieden und ihren kleinen Vorrat an feinen Handarbeiten zu verkaufen. Es war schwer genug gewesen, Billys Einwilligung zum Verkauf all der hübschen Dinge zu erhalten. Schließlich aber glückte es ihr doch, sie ihm abzulisten.
»Es sind nur die Dinge, die ich selbst nicht brauche«, sagte sie eindringlich. »Und ich kann immer wieder neue machen, wenn wir uns irgendwo niedergelassen haben.«
Was sie nicht verkaufte, gab sie Tom zur Aufbewahrung, dazu die Hauswäsche und ihre und Billys überflüssige Garderobe.
»Mach nur zu«, sagte Billy. »Du verwaltest das Geschäft. Was du sagst, soll gelten. Hast du schon bestimmt, wohin wir reisen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Oder wie?«
Sie hob erst den einen Fuß, dann den anderen mit den soliden Straßenschuhen, die sie an diesem Morgen in Gebrauch genommen hatte.
»Auf Schusters Rappen, nicht wahr?«
»So ist unser Geschlecht nach dem Westen gekommen«, sagte sie stolz.
»Ja, dann sind wir aber die reinen Vagabunden«, wandte er ein. »Und ich habe nie von einer wandernden Frau gehört.«
»Nun, dann hörst du jetzt davon. Und, Billy, es ist keine Schande zu wandern. Meine Mutter wanderte fast den ganzen Weg über die Prärie. Und beinahe alle anderen Mütter sind in jenen Tagen gewandert. Mir ist es gleichgültig, was die Leute denken.«
Nach ein paar Tagen, als die Kopfwunde geheilt war, stand Billy auf und begann umherzugehen. Natürlich aber war er ganz hilflos, solange er noch beide Arme im Gipsverband trug.
Doktor Hentley ging nicht allein darauf ein, dass sie mit dem Bezahlen seiner Rechnung auf bessere Zeiten warten sollten, sondern schlug es ihnen direkt vor. Von Staatsboden erklärte er, auf Saxons eifrige Frage, nichts zu wissen, nur hätte er eine dunkle Vorstellung, dass die Tage, da man Boden vom Staate bekam, vorbei seien.
Tom hingegen war vollkommen überzeugt, dass der Staat eine Menge Boden hatte. Er sprach vom Honey Lake, von Shasta County und von Humboldt.
»Aber ihr könnt zu dieser Jahreszeit nicht daran denken. Der Winter steht vor der Tür«, sagte er zu Saxon. »Ihr müsst nach Süden wandern, bis ihr dorthin kommt, wo es wärmer ist, zum Beispiel an der Küste. Dort schneit es nicht. Ich will euch sagen, was ihr tun sollt. Ihr geht über San José und Salinas, bis ihr an die Küste bei Monterey kommt. Südlich davon werdet ihr zwischen geschütztem Wald und mexikanischen Bauernhöfen Staatsboden finden. Es ist ziemlich wild dort, und es gibt keine Wege. Sie züchten nur Vieh. Aber es gibt schöne Riesentannencanyons dort und guten Ackerboden, der direkt bis ans СКАЧАТЬ