Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel Proust
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Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen

Автор: Marcel Proust

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027208821

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СКАЧАТЬ Eltern beschränkten sich nicht darauf, die Tugenden Gilbertes vor mir zu loben – dieser Gilberte, die mir schon, bevor ich sie überhaupt gesehen, vor einer Kirche in einer Landschaft der Isle-de-France erschien, und dann, Anstoß nicht mehr der Träume, sondern des Erinnerns, immer für mich vor der Rotdornhecke auf dem Hügelweg stand, den ich einschlug, wenn ich nach Méséglise zu ging. – Als ich Frau Swann aus Neugier auf die Vorliebe eines Mädchens im schlecht gespielten, beiläufigen Ton eines Freundes des Hauses fragte, welche von ihren Kameraden Gilberte am liebsten habe, antwortete Frau Swann:

      »Aber Sie müssen doch tiefer in die Geheimnisse meiner Tochter eingeweiht sein, Sie, der große Günstling, der große Crack, wie die Engländer sagen.«

      Wenn sich bei einem so vollkommenen Zusammentreffen die Wirklichkeit dem anpaßt, was wir solange geträumt haben, verbirgt sie es uns ganz, vermischt sich mit ihm, wie zu zwei gleich großen übereinandergelegten Figuren, die nur noch eine bilden; wir aber möchten im Gegenteil das Besondere an unserer Freude betonen und allem Einzelnen, das wir ersehnen in dem Augenblick, da es erreicht ist, – um seiner Wirklichkeit sicherer zu sein – den Zauber seiner Unberührbarkeit wahren. Der Gedanke kann den alten Zustand nicht wiederherstellen; um ihn mit dem neuen zu konfrontieren, hat er nicht Spielraum mehr. Die Erfahrung, die wir gemacht haben, die Erinnerung an die ersten unerhofften Minuten, die Worte, die wir gehört, sind nun einmal da und versperren unserem Bewußtsein den Zutritt, sie beherrschen die Ausgänge unserer Erinnerung noch mehr als die unserer Einbildungskraft, sie wirken noch stärker auf unsere Vergangenheit zurück (die wir nicht mehr anzuschauen die Macht haben, ohne jene einzubeziehen) als auf die freibleibende Form unserer Zukunft. Jahrelang hatte ich glauben können: zu Frau Swann zu kommen, das sei ein wesenloses Hirngespinst, das sich mir nie verwirklichen würde; nachdem ich aber eine Viertelstunde bei ihr zugebracht hatte, war die Zeit, in der ich sie noch nicht kannte, zum Hirngespinst geworden und wesenlos wie eine Möglichkeit, welche durch die Verwirklichung einer anderen Möglichkeit zunichte gemacht wird. Wie hätte ich jetzt noch von dem Eßzimmer als von einer unfaßbaren Stätte träumen können, da doch in meinem Geiste sich nichts regen konnte, ohne den unablenkbaren Strahlen zu begegnen, die bis ins Unendliche zurück, bis in meine fernste Vergangenheit der Hummer à l'américaine entsandte, den ich gerade gegessen hatte. Und Swann mochte in seiner eigenen Erfahrung einen analogen Vorgang beobachtet haben: denn die Wohnung, in der er mich empfing, war anzusehen als die Stätte, in der sich zweierlei vermischte und zusammentraf: die ideale Wohnung, die meine Phantasie erzeugt hatte, und jene andere, welche Swanns eifersüchtige Liebe, ebenso erfinderisch wie meine Träume, ihm oft ausgemalt hatte, Odettes und seine gemeinsame Wohnung, die ihm als etwas so Unerreichbares erschienen war an jenem Abend, als Odette ihn und Forcheville mitgenommen hatte, eine Orangeade bei ihr zu trinken; das war nun aufgesogen von der Wirklichkeit, in der das Eßzimmer lag, in dem wir jetzt frühstückten; daß er in diesem unerhofften Paradies einmal zu seinem und Odettes gemeinsamen Butler sagen würde: »Ist die gnädige Frau fertig?«, das hatte er sich einst nicht ohne Herzklopfen vorstellen können; jetzt hörte ich ihn dieselben Worte in einer Mischung von leichter Ungeduld und befriedigter Eitelkeit aussprechen. Ebensowenig wie vermutlich Swann war ich imstande, mir mein Glück bewußt zu machen, und als einmal Gilberte selbst ausrief: »Wer hätte gedacht, das kleine Mädchen, das Sie Barlauf spielen sahen, ohne zu ihm zu sprechen, würde einmal Ihre große Freundin werden, zu der Sie alle Tage kommen, wenn Sie Lust haben!« – da sprach sie von einer Veränderung, die ich von außen her konstatieren mußte, innerlich aber nicht erlebte, denn sie trennte zwei Zustände, die ich nicht gleichzeitig denken konnte, ohne daß sie aufhörten, unterschieden zu sein.

      Und doch mochte diese Wohnung, die Swann so leidenschaftlich ersehnt hatte, für ihn einige Süße behalten, wenn ich auf ihn von mir schließen durfte, für den sie nicht alles Geheimnisvolle verloren hatte. Den besondern Schimmer, von dem ich lange Zeit hindurch das Leben der Swann umflossen glaubte, verdrängte ich nicht völlig aus ihrem Haus, als ich eindrang; er wich nur vor mir zurück, eingeschüchtert von diesem Fremden, diesem Paria, der ich gewesen war, dem jetzt Frau Swann anmutig einen herrlichen Sessel –, feindlich chokiert sah er aus – hinschob; in meiner Erinnerung aber spüre ich diesen Schimmer noch rings um mich. Kommt das daher, daß ich an Tagen, an denen mich Herr und Frau Swann zum Frühstück und nachfolgender Spazierfahrt mit ihnen und Gilberte einluden, beim Warten die mir eingeprägte Vorstellung: gleich wird Frau Swann oder ihr Gatte oder Gilberte kommen, mit meinen Blicken auf den Teppich, die Sessel, die Konsolen, Paravents und Bilder übertrug? Kommt es daher, daß seitdem diese Dinge in meinem Gedächtnis neben den Swann leben und schließlich etwas von ihnen angenommen haben? Und daß durch mich aus diesen Dingen, unter denen ich die Swann ihr Dasein zubringen wußte, Embleme ihres Privatlebens und ihrer Gewohnheiten wurden, von denen ich so lange ausgeschlossen gewesen? (Fremdartig blieben sie noch weiterhin, auch als mir die Gunst erwiesen wurde, mich unter sie zu mischen.) Jedenfalls, so oft ich an diesen Salon denke, den Swann uneinheitlich fand, ohne mit dieser Kritik etwas gegen den Geschmack seiner Frau sagen zu wollen – alles darin war ja noch in dem Stil (dem Mischgebild aus Atelier und Treibhaus) jener Wohnung, in der er Odette kennen gelernt, doch hatte sie schon angefangen in diesem Durcheinander eine Reihe wunderlicher Gegenstände, die sie jetzt selbst etwas »minderwertig« und »talmi« fand, durch eine Fülle kleiner mit alten Louis XIV-Seiden bespannter Möbel zu ersetzen (ganz abgesehen von den Prachtstücken, die Swann aus dem Hause am Quai d'Orléans mitgebracht hatte) – so oft ich jetzt an diesen zusammengewürfelten Salon denke, gewinnt er eine Einheit, einen eigenen Reiz, wie ihn nicht einmal die stilvollsten Einrichtungen, die aus vergangener Zeit uns überkommen sind, noch die lebendigsten neuen, die das Gepräge einer Persönlichkeit tragen, für mich besitzen. Nur wir selbst können gewissen Dingen, die wir sehen, durch unsern Glauben an ihr Dasein Seele geben, und die behalten und entwickeln sie dann in uns. Stellte ich mir vor, wie die Swann in dieser Wohnung ihre Stunden verbrachten, Stunden, die anders waren als die anderer Menschen, das Besondere an ihrem Leben ausdrückten und für ihren Alltag waren, was für die Seele der Körper ist, dann verteilten sich meine Gedanken in überall gleich verwirrender, gleich unerklärlicher Art unter die Gegenstände, verquickten sich mit der Aufstellung der Möbel, der Dichte der Teppiche, der Lage der Fenster und der Aufwartung der Bedienten. Nahmen wir nach dem Essen am großen Erkerfenster des Salons in der Sonne den Kaffee und fragte mich Frau Swann, wieviel Stück Zucker ich wolle, dann entströmte dem seidenen Taburett, das sie mir zuschob (und nicht ihm allein) zugleich mit dem wehen Reiz, den ich ehemals – unterm Rotdorn, dann neben dem Lorbeergebüsch – bei dem Namen Gilberte empfand, auch die frühere Feindseligkeit der Eltern Gilbertes gegen mich. Das kleine Möbel schien sie gekannt und geteilt zu haben, und unwürdig fühlte ich mich, meine Füße auf seine schutzlose Polsterung zu tun, ich kam mir dabei etwas niederträchtig vor. Es war durch heimliche Seeleneinheit verbunden mit dem Lichte der zweiten Nachmittagsstunde, das anders war hier als sonst irgendwo, hier in dem Golf, wo es zu unsern Füßen seine Goldflut spielen ließ, aus welcher bläuliche Diwane, duftige Tapeten auftauchten wie verzauberte Inseln; ja der Rubens oberhalb des Kamins besaß auch nur dergleichen und fast ebenso gewaltigen Zauber wie die Schnürschuhe von Herrn Swann und sein Cape, das mir solche Lust gemacht hatte, ein Gleiches zu tragen. Jetzt aber bat Odette ihren Gatten, es durch ein anderes zu ersetzen, um eleganter zu sein, wenn ich ihnen die Ehre erwies, mit ihnen auszufahren. Auch sie ging nun, sich umzuziehen, obgleich ich darauf bestand, es sei kein Straßenkleid annähernd so schön wie der wunderbare Schlafrock aus Crêpe de Chine oder Seide, altrosa, kirschrot, Tiepolorosa, weiß, mauve, grün, rot, gelb, glatt oder gemustert, in dem Frau Swann mit uns gefrühstückt hatte und den sie nun ablegen wollte. Wenn ich sagte, sie solle so ausfahren, lachte sie spöttisch über meine Unwissenheit oder vergnügt über mein Kompliment. Sie bat um Verzeihung für ihre vielen Peignoirs, sie fühle sich nun einmal nur in ihnen wohl, und verließ uns, um eine der herrlichen Roben anzulegen, die allgemeiner Anerkennung sicher waren. (Unter diesen mußte ich aber bisweilen auf ihren Wunsch die auswählen, die mir für heute am besten gefiele.)

      Wie stolz war ich, sobald wir im Jardin d'Acclimatation ausgestiegen, an Frau Swanns Seite zu gehen! Während sie lässig schreitend ihren Mantel wallen ließ, warf ich bewundernde Blicke auf sie, die sie kokett mit einem langen Lächeln erwiderte. Trafen wir irgendeinen Kameraden Gilbertes, Mädchen oder СКАЧАТЬ