Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen
Автор: Marcel Proust
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027208821
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Oft kreuzten wir in den Alleen des Bois oder des Jardin d'Acclimatation eine oder die andere große Dame aus Swanns Freundeskreis, und sie grüßte uns; manchmal bemerkte Swann sie nicht, dann machte seine Frau ihn aufmerksam: »Charles, sehen Sie Frau von Montmorency nicht?« Auf seinem Gesicht erschien das vertrauliche Lächeln langjähriger Freundschaft, doch zog er tief den Hut mit einer Eleganz, wie sie nur ihm eigen war. Bisweilen blieb die Dame stehen und freute sich, Frau Swann eine Höflichkeit erweisen zu können, die zu sonst nichts verpflichtete; sie wußte, Frau Swann würde nicht weiteren Nutzen daraus zu ziehen suchen, Swann hatte sie ja an Reserve gewöhnt. Gleichwohl hatte sie alle Manieren der großen Welt angenommen, und so elegant und vornehm die Haltung der Dame sein mochte, Frau Swann kam ihr darin immer gleich; sie blieb einen Augenblick bei der Freundin, die ihr Gatte getroffen hatte, stehen, stellte Gilberte und mich ungezwungen vor und bewahrte dabei soviel Freiheit und Ruhe, daß es schwer gewesen wäre zu sagen, wer von den beiden die große Dame war, Swanns Frau oder die aristokratische Passantin. Am Tage, an dem wir bei den Singhalesen waren, bemerkten wir auf dem Rückweg, in unserer Richtung kommend, von zwei andern gefolgt, die sie zu geleiten schienen, eine bejahrte, aber noch schöne Dame, in einen dunklen Mantel eingehüllt und mit einen kleinen Kapotthut auf dem Kopf, der unter dem Kinn mit zwei Bändern befestigt war. »Ah, da kommt jemand, der Sie interessieren wird«, sagte Swann zu mir. Jetzt war die alte Dame drei Schritt von uns; sie lächelte süß. Swann zog den Hut, Frau Swann machte einen Hofknix und wollte die Hand der Dame küssen, die einem Porträt von Winterhalter ähnlich sah. Sie hob Odette auf und küßte sie. »Wollen Sie wohl Ihren Hut aufsetzen, Sie«, sagte sie mit lauter, etwas mürrischer Stimme im Ton einer vertrauten Freundin zu Swann. »Ich werde Sie Ihrer Kaiserlichen Hoheit vorstellen«, sagte Frau Swann zu mir. Swann zog mich, einen Augenblick beiseite, während Frau Swann mit der Hoheit vom schönen Wetter und den neu eingetroffenen Tieren im Jardin d'Acclimatation plauderte. »Es ist die Prinzessin Mathilde«, sagte er zu mir. »Sie wissen, die Freundin von Flaubert, Sainte-Beuve und Dumas. Denken Sie, die Nichte Napoleons I! Um ihre Hand hat Napoleon III angehalten und der Kaiser von Rußland. Ist das nicht interessant? Sprechen Sie ein wenig mit ihr. Aber ich wollte, daß sie uns nicht eine Stunde auf den Beinen hielte.« »Ich habe Taine getroffen, der mir sagte, daß Hoheit mit ihm böse sind,« sagte Swann. »Er hat sich aufgeführt wie ein Schwein«, erwiderte sie derb. »Nach dem Artikel, den er über den Kaiser geschrieben hat, habe ich ihm eine Karte mit p.p.c. abgeben lassen.« Es war für mich eine Überraschung, wie wenn man etwa die Briefe der Herzogin von Orleans, der geborenen Prinzessin von der Pfalz, aufschlägt. Wohl empfand die Prinzessin Mathilde sehr französisch, doch mit der ehrenwerten Derbheit, die dem Deutschland von Einstmals eigen war und die sie gewiß von ihrer württembergischen Mutter geerbt hatte. Sobald sie aber lächelte, wurde ihre etwas karge, fast männliche Freimütigkeit durch italienisches Schmachten gemildert. Und die ganze Erscheinung steckte in einem Aufzug, der ganz Zweites Kaiserreich war. Die Prinzessin kleidete sich gewiß nur aus Anhänglichkeit an die Moden, welche sie einst geliebt hatte, so; aber es wirkte, als habe sie die Absicht, keinen Fehler im historischen Kolorit zu begehen und der Erwartung derer zu entsprechen, die von ihr die Beschwörung einer anderen Zeit erhofften. Ich flüsterte Swann zu, er solle sie fragen, ob sie Musset gekannt habe. »Sehr wenig, Herr Swann«, antwortete sie mit scheinbar verdrossener Miene, es war ein Scherz, daß sie zu ihrem alten Freunde Herr sagte. »Ich hatte ihn einmal zum Diner bei mir. Auf sieben Uhr hatte ich ihn eingeladen. Um halb acht setzten wir uns, da er noch nicht kam, zu Tisch. Um acht erscheint er, begrüßt mich, setzt sich, spricht kein Wort und geht nach dem Essen fort, ohne daß ich den Klang seiner Stimme gehört hätte. Er war schwer betrunken. Das hat mich nicht gerade ermutigt, es noch einmal mit ihm zu versuchen.« Swann und ich standen etwas abseits. »Ich hoffe, diese kleine Sitzung wird sich nicht in die Länge ziehen,« meinte er, »mich schmerzen die Fußsohlen. Ich weiß auch gar nicht, warum meine Frau das Gespräch so belebt. Nachher wird sie wieder über Erschöpfung klagen, und ich kann das lange Aufrechtstehen nicht mehr aushalten.« Frau Swann war gerade dabei, der Prinzessin, auf eine Auskunft hin, die sie von Frau Bontemps hatte, mitzuteilen, daß die Regierung nun endlich ihre Flegelei eingesehen und beschlossen habe, ihr eine Einladung zu schicken, um von der Tribüne aus dem Besuche beizuwohnen, den der Zar Nikolaus übermorgen im Dôme des Invalides machen sollte. Aber die Prinzessin, die trotz allem Anschein, trotz der Art ihrer Umgebung, die sich vorwiegend aus Künstlern und Schriftstellern zusammensetzte, im Grunde, jedesmal wenn sie zu handeln hatte, die Nichte Napoleons blieb, erwiderte: »Jawohl, diese Einladung habe ich heute morgen bekommen und sie dem Minister zurückgeschickt, der sie vermutlich jetzt schon hat. Ich habe ihm gesagt, ich brauche keine Einladung, um in den Dôme des Invalides zu gehen. Wenn die Regierung wünscht, daß ich hinkomme, dann gehe ich nicht auf eine Tribüne, sondern in unsere Gruft, wo das Grab des Kaisers ist. Dazu brauche ich keine Karten. Ich habe meine Schlüssel. Ich kann hinein, wann ich will. Die Regierung hat mich nur wissen zu lassen, ob sie wünscht, daß ich komme oder nicht. Aber wenn ich hingehe, dann da unten hin oder gar nicht.« In diesem Augenblick wurden Frau Swann und ich von einem jungen Mann gegrüßt, der ihr guten Tag sagte, ohne stehenzubleiben. Es war Bloch. Ich wußte nicht, daß sie ihn kannte. Auf meine Frage sagte Frau Swann, er sei ihr von Frau Bontemps vorgestellt worden, er sei Attaché im Kabinett des Ministers, was ich nicht wußte. Oft mochte sie ihn übrigens nicht gesehen haben – oder sie wollte ihn nicht bei seinem Namen nennen, den sie vielleicht nicht gerade »chick« fand – sie sagte nämlich, er heiße Herr Moreul. Ich versicherte ihr, sie müsse ihn mit jemandem verwechselten, er heiße Bloch. Die Prinzessin richtete eine Schleppe, die sich hinter ihr ausbreitete und die Frau Swann bewundernd betrachtete. »Das ist ein Pelz, den mir der Kaiser von Rußland geschickt hat,« sagte die Prinzessin, »und da ich ihn eben besuchte, habe ich das angelegt, um ihm zu zeigen, daß es sich als Mantel arrangieren ließ.« »Prinz Louis soll in die russische Armee eingetreten sein, die Prinzessin wird trostlos sein, ihn nicht mehr bei sich zu haben«, sagte Frau Swann, ohne die Zeichen von Ungeduld bei ihrem Gatten zu bemerken. »Das hat er gerade nötig gehabt! Ich habe ihm auch gesagt: ›Daß du einen Militär in der Familie hast, ist doch kein Grund dafür‹«,antwortete die Prinzessin, sie spielte schlicht und barsch auf Napoleon I an. Swann hielt es nicht mehr aus. »Madame, jetzt werde ich die Hoheit machen und um die Erlaubnis bitten, mich zu verabschieden, aber meine Frau ist sehr leidend gewesen, ich will nicht, daß sie länger still stehen bleibt.« Frau Swann machte von neuem einen Knix, und die Prinzessin hatte für uns alle ein göttliches Lächeln, das sie wohl aus der Vergangenheit mitbrachte, von den Grazien ihrer Jugend, den Abenden von Compiègne, es glitt unberührt und süß über das eben noch mürrische Gesicht; dann entfernte sie sich, gefolgt von den beiden Hofdamen, die in der Art von Dolmetschern, von Kindermädchen oder Krankenschwestern unsere Unterhaltung nur mit unwesentlichen Redensarten und unnötigen Erklärungen durchsetzt hatten. »Sie müssen noch in dieser Woche Ihren Namen bei ihr einschreiben,« sagte Frau Swann zu mir, »Karten gibt man nicht ab bei all diesen royautés, wie die Engländer sagen, aber sie wird Sie einladen, wenn Sie sich einschreiben lassen.«
In diesen letzten Wintertagen traten wir bisweilen vor der Spazierfahrt in eine der kleinen Ausstellungen ein, die gerade eröffnet wurden. Dort begrüßten Swann als Sammler von Ruf mit besonderer Ehrerbietung die Bilderhändler, bei denen die Ausstellungen stattfanden. Und in dieser Jahreszeit, da es noch kalt war, erwachte meine alte Sehnsucht, in den Süden und nach Venedig zu reisen, wenn ich in den Sälen einen schon volleren Frühling und eine glühende Sonne Veilchenschatten auf rosa Alpenabhänge legen und dem Canale grande die dunkle Durchsichtigkeit des Smaragd geben sah. War schlechtes Wetter, gingen wir in ein Konzert oder Theater und dann zu einem ›Tee‹. Hatte Frau Swann mir etwas zu sagen, das die Personen an den Nachbartischen oder selbst die bedienenden Kellner nicht verstehen sollten, so sagte sie es auf englisch, als wäre das eine Sprache, die nur wir beide kennten. Dabei konnte alle Welt Englisch, nur ich hatte es noch nicht gelernt und war nun gezwungen, ihr dies einzugestehen, damit sie nicht mehr über die Personen, die den Tee tranken, und die, welche ihn brachten, Bemerkungen mache, die, wie ich vermutete, unfreundlich waren und von denen ich selber kein Wort verstand, während das betroffene Individuum keins verlor.
Einmal bereitete mir Gilberte gelegentlich СКАЧАТЬ