Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel Proust
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Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen

Автор: Marcel Proust

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027208821

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СКАЧАТЬ Eifersucht oft vor, sie lasse ihn an eingebildeten Betrug glauben; dann aber erinnerte er sich, daß er die gleiche Überlegung zugunsten Odettes angestellt habe, und zwar mit Unrecht. Und so hörte alles, was die junge Frau, die er liebte, in den Stunden tat, da er fern von ihr war, auf, unschuldig zu sein. Hatte er aber einst den Schwur getan, wenn er die, von der er nicht ahnte, daß sie einmal seine Frau werden sollte, nicht mehr liebe, ihr unerbittlich seine endlich aufrichtige Gleichgültigkeit zu zeigen, um seinen lange gedemütigten Stolz zu rächen, – so lag ihm jetzt nichts mehr an dieser Vergeltung, die er doch ohne Risiko vollziehen konnte (denn was würde es ihm ausmachen, wenn er beim Wort genommen und des einst für ihn so notwendigen Zusammenseins mit Odette beraubt würde?). Nichts lag ihm mehr daran, mit der Liebe war das Begehren, zu zeigen, daß er nicht mehr liebe, verschwunden. Er, der einst, als er an Odette litt, sich danach sehnte, ihr einmal zu zeigen, daß er in eine andere verliebt sei –, jetzt, da er es gekonnt hätte, traf er tausend Vorsichtsmaßregeln, damit seine Frau von der neuen Liebe nichts merke.

      Von nun an nahm ich nicht nur an den Teegesellschaften teil, derentwegen Gilberte mich ehedem zu meinem Kummer verließ und früher heimkehrte, nein, auch an den Ausfahrten mit ihrer Mutter zur Promenade oder zu einer Matinee, die sie früher verhindert hatten, in die Champs-Élysées zu kommen und mich ihrer beraubten – in Tagen, wo ich dann allein am Rasenrande oder vor den Karussells blieb, – an diesen Ausfahrten ließen mich jetzt Herr und Frau Swann teilnehmen, ich hatte meinen Platz in ihrem Landauer; ich wurde sogar gefragt, was ich lieber wolle, ins Theater gehen, in eine Tanzstunde bei einer Freundin von Gilberte, in eine Nachmittagsgesellschaft bei Freundinnen der Swann (was Frau Swann einen »kleinen meeting« nannte) oder die Gräber von Saint-Denis besuchen.

      An den Tagen, an denen ich mit den Swann ausfahren sollte, kam ich zum Dejeuner, was Frau Swann Lunch nannte, zu ihnen; da man dazu auf halb Eins eingeladen wurde und meine Eltern damals um viertel Zwölf frühstückten, machte ich mich erst, wenn sie von Tische aufstanden, auf den Weg nach dem luxuriösen, immer – und zu dieser Zeit, da alle Welt zu Hause war – besonders einsamen Viertel. Bei schönem Wetter spazierte ich selbst im Winter und bei Frost, von Zeit zu Zeit den Knoten einer herrlichen Krawatte von Charvet fester knüpfend und nachschauend, ob meine Lackschuhe nicht schmutzig würden, in den Avenuen bis zwölf Uhr siebenundzwanzig auf und ab. Von weitem bemerkte ich den Vorgarten der Swann, wo die Sonne die entlaubten Bäume wie von Rauhreif glitzern ließ. In Wirklichkeit standen nur zwei in diesem Garten. Die ungewohnte Stunde machte das Schauspiel neu. In diese Naturfreuden (die noch die Unterbrechung der Gewohnheit und selbst der Hunger belebten) mischte sich die erregende Gewißheit, bei Frau Swann zu speisen, sie verminderte diese Freuden nicht, aber unterwarf und beherrschte sie, machte aus ihnen mondänes Zubehör; das schöne Wetter, die Kälte, das winterliche Licht, die ich um diese Zeit sonst nicht wahrnahm und nun für mich entdeckte, wurden zu einer Art Vorspiel zu den Oeufs à la crème, zu einer Patina und frischen rosigen Glasur auf der Mauerverkleidung der geheimnisvollen Kapelle, in der die Swann weilten und in deren Innern als Gegensatz mich soviel Wärme, Düfte und Blumen erwarteten.

      Um halb Eins entschloß ich mich endlich, in das Haus einzutreten, das, wie ein besonders großer »Schuh« für die Weihnachtsgeschenke, mir übernatürliche Freuden zu versprechen schien. (Das Wort Weihnachten kannten übrigens Frau Swann und Gilberte nicht, sie sagten Christmas, sprachen nur von Christmaspudding, von dem, was man ihnen zu Christmas geschenkt habe und – zu meinem wilden Schmerz – davon, daß sie zu Christmas verreisen wollten. Nun hielt ich es auch, selbst zu Hause, meiner unwürdig, von Weihnachten zu sprechen, ich sagte nur noch Christmas, was mein Vater sehr lächerlich fand.

      Zunächst begegnete ich nur einem Lakaien, der mich mehrere große Salons durchqueren ließ und dann in einen ganz kleinen, leeren führte, der schon begann, im blauen Lichte seiner Fenster Nachmittag zu träumen; da blieb ich allein in Gesellschaft von Orchideen, Rosen und Veilchen. Die beobachteten, wie Personen, die neben einem warten, ohne einen zu kennen, Schweigen, das durch ihre Eigenschaft, lebendige Dinge zu sein, noch eindringlicher wurde. Fröstelnd empfingen sie die Wärme eines rotglühenden Kohlenfeuers, das, wie Kostbarkeiten hinter einer Kristallvitrine, in einem weißen Marmorbecken untergebracht war und von Zeit zu Zeit seine gefährlichen Rubine einstürzen ließ.

      Ich hatte mich gesetzt, erhob mich aber schleunigst, als ich die Tür aufgehen hörte; es war nur ein zweiter Lakai, dann ein dritter, und das geringfügige Resultat, auf das ihr unnötig erregendes Kommen und Gehen hinzielte, war, ein wenig Kohlen aufs Feuer oder Wasser in die Vasen zu tun. Sie gingen, und ich befand mich wieder allein, sobald die Tür geschlossen war, die schließlich doch wohl Frau Swann öffnen würde. Und zuverlässig wäre ich in einer Zaubergrotte minder verwirrt gewesen als in diesem kleinen Salon, in dem das Feuer seltsame Verwandlungen mir vorzunehmen schien wie in Klingsors Laboratorium. Da klangen von neuem Schritte, und ich erhob mich nicht, es würde gewiß wieder nur ein Lakai sein. Swann war es. »Wie? Ganz allein? Ach, sehen Sie, meine arme Frau hat es nie fertig gebracht zu wissen, wie spät es ist. Zehn vor Eins! Jeden Tag wird es später. Und geben Sie acht: sie wird ankommen, ohne sich zu beeilen, und glauben, sie sei noch zu früh.« Und da er an gichtischer Neuralgie litt, was ihn ein klein wenig lächerlich machte, so wirkte der Umstand, daß er eine unpünktliche Frau hatte, die so spät aus dem Bois heimkam, bei ihrer Schneiderin die Zeit versäumte und nie rechtzeitig zum Frühstück erschien, beunruhigend auf seine Magennerven, schmeichelte dahingegen seiner Eitelkeit.

       Er zeigte und erklärte mir seine Neuerwerbungen, aber die Erregung, verbunden mit dem ungewohnten Fasten um diese Zeit, schuf in meinem angegriffenen Innern eine Leere, so daß ich zwar fähig war zu sprechen, aber nicht zuzuhören. Übrigens genügte mir bei den Kunstwerken, die Swann besaß, die Tatsache, daß sie bei ihm untergebracht waren und einen Teil der köstlichen Stunde ausmachten, die dem Frühstück voranging. Die Gioconda hätte sich da befinden können, ohne mir mehr Vergnügen zu bereiten als ein Schlafrock von Frau Swann oder ihre Riechfläschchen.

      So wartete ich weiter, allein oder mit Swann, und oft kam auch Gilberte, uns Gesellschaft zu leisten. Die Ankunft von Frau Swann erschien mir vorbereitet durch soviel majestätische Auftritte, unermeßlich bedeutsam. Ich lauschte auf jedes Geräusch. Aber so hoch, wie man sie erhofft, findet man keine Kathedrale, keine Welle im Sturm, keinen Sprung eines Tänzers; nach dem Auftritt livrierter Lakaien (sie waren wie Figuranten, deren Zug im Theater die endliche Erscheinung der Königin vorbereitet und gerade dadurch beeinträchtigt) hielt Frau Swann, wenn sie verstohlen in ihrem Sealmäntelchen, den Schleier über die von Kälte gerötete Nase gezogen, ankam, nicht, was sie meiner Phantasie während des Wartens versprochen hatte.

      War sie aber den ganzen Morgen zu Hause geblieben und kam sie dann in einem Peignoir aus hellfarbigem Crêpe de Chine in den Salon, so schien mir ihr Gewand eleganter als alle Roben.

      Bisweilen entschieden sich die Swann dafür, den Nachmittag zu Hause zu bleiben. Dann sah ich nach dem späten Frühstück sehr rasch hinter der Gartenmauer die Sonne dieses Tages, der mir doch anders als die andern hätte sein sollen, sinken; und wenn nun auch die Bedienten Lampen von allen Größen und Formen hereinbrachten, die jede auf dem Weihaltar einer Konsole, eines Guéridons, eines Eckschränkchens oder eines kleinen Tisches brannten, als sei ein unbekannter Kultus zu begehen, – aus der Unterhaltung erstand nichts Außerordentliches, und ich ging nach Hause, enttäuscht, wie man es schon als Kind oft nach der Mitternachtsmesse ist.

      Aber diese Enttäuschung war rein geistiger Natur. Ich konnte überglücklich sein in diesem Hause, wo Gilberte, wenn sie noch nicht bei uns war, gleich kommen und mir für Stunden ihr Wort und ihren aufmerksamen und lächelnden Blick schenken würde so, wie ich ihn zum erstenmal in Combray gesehen hatte. Höchstens war ich ein bißchen eifersüchtig, wenn ich sie des öftern in die großen Zimmer verschwinden sah, wohin eine Innentreppe führte. Gezwungen, im Salon zu bleiben (wie der Liebhaber der Schauspielerin nur seinen Parkettsitz hat und unruhig von dem träumt, was sich in den Kulissen, im Foyer der Schauspieler abspielt), stellte ich über diese andern Teile des Hauses an Swann weislich verschleierte Fragen, aus deren Tonfall aber ich eine gewisse Beklommenheit nicht verbannen konnte. Er erklärte mir, СКАЧАТЬ