Название: Dracula
Автор: Брэм Стокер
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Horror bei Null Papier
isbn: 9783954180080
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Als ich eben zu diesem Entschlusse gelangt war, hörte ich einen schweren Schritt innerhalb des Tores und sah durch die Ritzen ein Licht sich nähern. Dann vernahm ich das Rasseln von Ketten und das Dröhnen massiver Türriegel, die zurückgeschoben wurden. Ein Schlüssel drehte sich laut kreischend in dem scheinbar selten benutzen Schlüsselloch, und das große Tor ging auf.
Innerhalb desselben stand ein hochgewachsener alter Mann, glatt rasiert, mit einem langen weißen Schnurrbart und schwarz gekleidet vom Kopf bis zu den Füßen; kein heller Fleck war an ihm zu sehen. In der Hand hielt er eine altertümliche silberne Lampe, auf der ohne Zylinder oder Schirm eine Flamme brannte, sie warf lange, zitternde Schatten in der Zugluft des offenen Tores. Der alte Mann lud mich durch eine verbindliche Geste mit der Rechten ein, näher zu treten und sagte in vorzüglichem Englisch, aber mit einem fremdartigen Akzent:
»Willkommen hier in meinem Hause! Treten Sie frei und freiwillig herein!« Er machte keine Bewegung, um mir entgegenzugehen, sondern stand starr wie eine Statue, als hätte ihn sein Willkommensgruß in Stein verwandelt. In dem Augenblick aber, da ich die Schwelle überschritten hatte, trat er rasch auf mich zu, ergriff meine Hand und drückte sie dermaßen, dass ich zusammenzuckte; dabei war die Hand so kalt wie Eis, mehr wie die eines Toten als eines Lebenden. Dann sagte er:
»Willkommen in meinem Hause. Kommen Sie frei herein. Gehen Sie gesund wieder und lassen Sie etwas von der Freude zurück, die Sie mit hereingebracht haben!« Die Stärke des Handdruckes erinnerte mich dermaßen an den eisernen Griff des Kutschers, dessen Gesicht ich ja nicht gesehen hatte, dass ich einen Moment glaubte, er und der Mann, mit dem ich jetzt sprach, seien ein und dieselbe Person; ich fragte also, um sicher zu gehen: »Graf Dracula?« Er verbeugte sich höflich und erwiderte:
»Ich bin Dracula und begrüße Sie, Herr Harker, in meinem Hause. Kommen Sie herein, Sie bedürfen des Essens und der Ruhe, die Nachtluft ist recht kühl.« Während er so sprach, stellte er die Lampe auf eine kleine Konsole an der Wand und nahm mein Gepäck; er hatte es hereingetragen, noch ehe ich ihn daran hindern konnte. Ich erhob Einspruch, er aber sagte entschieden:
»Bitte, Sie sind mein Gast. Es ist schon spät und meine Dienerschaft ist nicht mehr verfügbar. Lassen Sie also mich für Ihre Bequemlichkeit sorgen.« Er trug tatsächlich meine Koffer durch den Torweg, dann eine steile Wendeltreppe hinauf, schließlich durch einen langen Korridor, auf dessen Steinfliesen unsere Schritte dumpf widerhallten. Am Ende dieses Korridors öffnete er eine schwere Türe, und ich sah auf ein hellerleuchtetes Zimmer, in dem ein gedeckter Tisch zum Abendbrot bereit stand, während in dem mächtigen Kamin ein großes Holzfeuer flammte und knisterte. Der Graf blieb stehen, stellte mein Gepäck nieder und zog die Türe hinter sich zu; dann schritt er durch das Zimmer, öffnete eine zweite Türe, die in ein kleines achteckiges, scheinbar fensterloses Gemach führte, das nur von einer einzelnen Lampe erleuchtet wurde. Jenseits desselben öffnete er eine weitere Tür und bat mich einzutreten. Es bot sich mir ein willkommener Anblick: ein großes, gut erleuchtetes Schlafzimmer, das von einem umfangreichen Kamin, in dem ebenfalls ein Holzfeuer laut prasselnd brannte, angenehm durchwärmt wurde. Der Graf brachte mein Gepäck und sagte, die Türe zuziehend: »Sie werden nach Ihrer Reise sich waschen und Toilette machen wollen. Ich denke, Sie finden alles nach Wunsch. Wenn Sie fertig sind, dann kommen Sie bitte in das andere Zimmer, wo das Abendbrot Ihrer wartet.«
Das Licht, die Wärme und des Grafen herzlicher Willkommensgruß hatten alle meine Zweifel und Befürchtungen zerstreut. Nachdem ich so wieder meine normale geistige Verfassung erlangt hatte, fühlte ich einen quälenden Hunger. Schnell machte ich mich zurecht und ging in das andere Zimmer.
Das Souper war schon angerichtet. Mein Gastfreund stand an einer Seite des Kamins, an das Steingesims gelehnt, und lud mich mit einer verbindlichen Handbewegung ein, Platz zu nehmen.
»Ich bitte, setzen Sie sich und essen Sie, wie es Ihnen passt. Sie werden es mir nicht verübeln, wenn ich mich nicht beteilige, denn diniert habe ich schon und zu soupieren bin ich nicht gewöhnt.«
Ich händigte dem Grafen den versiegelten Brief ein, den Herr Hawkins mir für ihn übergeben hatte. Er öffnete ihn und las ihn mit ernster Miene durch; dann gab er mir ihn mit freundlichem Lächeln zurück. Besonders eine Stelle aus dem Briefe bereitete mir besondere Freude:
Ich bedaure sehr, dass ein Anfall von Gicht, mit welcher ich ja schon immer zu schaffen hatte, mir unbedingt verbot, eine größere Reise zu machen und Sie zu besuchen. Aber es macht mir Freude, Ihnen einen Stellvertreter senden zu können, der mein weitgehendstes Vertrauen besitzt. Er ist ein junger Mann, energisch, talentiert und durchaus zuverlässig. Er ist in meinen Diensten aufgewachsen und sehr diskret. Er steht jederzeit während seines Aufenthaltes zu Ihrer Verfügung und ist ermächtigt, Aufträge jeder Art von Ihnen entgegenzunehmen.
Der Graf trat selbst an den Tisch heran und hob den Deckel von einer Terrine, in der ein prächtiges gebratenes Huhn lag. Dieses, mit etwas Käse und Salat, sowie eine Flasche alter Tokaier,1 von dem ich zwei Gläser trank, bildeten mein Abendbrot. Während ich aß, erkundigte sich der Graf über meine Reise, und ich erzählte ihm der Reihe nach alle meine Erlebnisse.
Unterdessen hatte ich die Mahlzeit beendet und auf Wunsch des Hausherrn einen Stuhl ans Feuer gezogen. Ich zündete mir eine Zigarre an, die er mit anbot, indem er sich zugleich entschuldigte, da er selbst Nichtraucher sei. Ich fand nun Gelegenheit, ihn etwas zu beobachten und, ich muss sagen, er besitzt eine sehr ausdrucksvolle Physiognomie.2
Sein Gesicht war ziemlich – eigentlich sogar sehr – raubvogelartig; ein schmaler, scharf gebogener Nasenrücken und auffallend geformte Nüstern. Die Stirn war hoch und gewölbt, das Haar an den Schläfen dünn, im übrigen aber voll. Die Augenbrauen waren dicht und wuchsen über die Nase zusammen; sie waren sehr buschig und in merkwürdiger Weise gekräuselt. Sein Mund, so weit ich ihn unter dem starken Schnurrbart sehen konnte, sah hart und ziemlich grausam aus; die Zähne waren scharf und weiß und ragten über die Lippen vor, deren auffallende Röte eine erstaunliche Lebenskraft für einen Mann in diesen Jahren bekundeten. Die Augen waren farblos, das Kinn breit und fest, die Wangen schmal, СКАЧАТЬ