Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
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So viel Treue zur Scholle gefiel dem Wanderer, und die offene Menschlichkeit in dem guten Gesicht und in den noch hellen stahlblauen Augen hob ihm den Mann des Volkes aus der Gewöhnlichkeit. Er hatte unterdessen in seiner Gesellschaft alle Baumgänge und Anlagen des Parks durchwandelt, der die ganze Breite der Hügelstufe einnahm, und fühlte sich mehr und mehr gefesselt. Die Lage des Hügels zwischen zwei Flusstälern, dem breiteren westlichen, vom Silberbande des Arno durchschlungenen, und dem engen östlichen mit einem kleinen Wasserlauf, der seinem jungen Zinsherrn, dem Tiber, zustrebte, gab ihm etwas Eigenes, Bedeutsames, das sich nicht so leicht anderwärts wiederholte. Wie schön müsste es sein, hier oben eine Nacht mit Mond und Sternen zu verbringen und in kurzem Abstand Sonnenunter- und -aufgang hinter den sich gegenüberliegenden Höhen zu erleben. Auch das Haus wurde von allen Seiten umgangen. Es war im Stil der italienischen Renaissance-Villen angelegt, ein bei geringer Höhe lang hingestreckter Bau mit vortretender Terrasse, zu der die schön geschwungene doppelte Freitreppe, eine spärlich tröpfelnde Brunnennische umrahmend, emporführte. Man sah es den Räumen von außen an, dass sie nie zum behaglichen Wohnen, nur zu festlicher Glanzentfaltung gedient haben konnten. Oben auf der Terrasse zwischen beiden Aufgängen wuchsen aus einer mächtigen Rosenschale zwei steinerne Putten, um deren Nacktheit ein blühender Rosenbusch neckisch seine Zweige schlang. Hier war jedoch die Grenze des Lebens, die Wohnstätte selber lag entseelt, ihre Fensterladen waren geschlossen wie die schweren Augendeckel eines Toten.
Dem alten Gärtner, der selten mehr die Wohltat eines Gesprächs mit Höhergebildeten genoss, war unterdessen das Herz weit aufgegangen, und er hatte den Wanderer in die ganze Geschichte der herrschaftlichen Familie durch mehrere Generationen, so wie sie ihm selber bekannt war, eingeweiht. Dass dieser zwar nicht um die Persönlichkeiten, wohl aber um die einschlägigen Verhältnisse Bescheid wusste, vermehrte sein Zutrauen und ließ ihm den unerwarteten Besucher fast wie einen alten Bekannten erscheinen. Nun rückte der Fremde mit seinem Wunsch, hier oben schlafen zu dürfen, heraus. Der alte Mann blickte bedenklich: in seiner Gärtnerwohnung sei kein Raum und sie wäre auch zu gering für einen solchen Gast. Der Herrschaft würde ja freilich kein Unrecht geschehen und sie brauchte es auch gar nicht zu erfahren, wenn er den fremden Herrn in einem ihrer Privatzimmer im unteren Stockwerk schlafen ließe, er hätte aber dabei doch das Gefühl, seiner Pflicht untreu geworden zu sein. Der obere Stock aber mit den Räumen für Gäste und Dienerschaft sei im Verfall und auch ganz vollgepfropft mit Gerümpel, bis auf den Teppichsaal, der allein noch heil sei, aber unter den Wandteppichen könne ein Mensch nicht schlafen.
Einen Teppichsaal habt Ihr hier oben? fragte der Wanderer mit angenehmer Überraschung. Und warum soll man in dem nicht schlafen können? Nun, es sei doch nicht angenehm, ganz allein zu sein mit den fremden Gesichtern, die einen von der Wand herab anstarrten, meinte der Gärtner. Er habe einmal mit seiner Enkelin eine Nacht da oben zugebracht, als ihm der Sturmwind das Dach seines Häuschens abgetragen hatte. Aber das Kind habe sich vor den Figuren so gefürchtet, dass auch ihm ganz unbehaglich zumute geworden sei.
Ihr werdet mich aber doch nicht von hier wegschicken, Großvater, ohne dass ich Eure Kunstschätze wenigstens gesehen habe? Eine Sammlung alter Wandteppiche mit figürlichen Darstellungen? Um die hätte sich’s ja allein verlohnt, den Weg hierher zu machen.
Ach nein, Herr, Sie dürfen sich nichts Besonderes vorstellen. Kunstschätze sind es nicht, es sind nur so alte gewebte Dinger, schäbig und angefressen, die schon seit Hunderten von Jahren dahängen und weiter verstauben. Nein, Sie sehen gar nichts daran und lachen mich aus, wenn ich Sie hinführe. Bloß bei Nacht, wenn man die Kerze brennen lässt oder wenn der Mond drüber hinstreift, machen sie so sonderbare Gesichter, dass man denkt, sie schauen einen an. Aber in den unteren Sälen hängen schöne Gemälde, die will ich Sie gerne sehen lassen, damit Sie nicht umsonst herauf gewandert sind.
Er schloss die Eingangstür auf.
Das Innere der Villa war, wie es der Wanderer erwartet hatte. Weite Prunkräume ohne Wohnlichkeit, augenscheinlich zu Empfangszwecken gebaut, eine jener anspruchsvollen Villen, die von den Besitzern nur vorübergehend bezogen werden, um hochstehende Gäste festlich zu bewirten; auf diese Bestimmung wiesen auch die baufälligen Stallungen und Wagenschuppen im Hofe hin. An den Wänden eine lange Reihe von Bildnissen toskanischer Herrscher, bei Cosimo I. beginnend, alle höfisch langweilig, dazwischen ein paar leidliche Kopien nach Werken der großen Kunst. Nur weniges, aber mächtiges Hausgeräte, echt und alt mit der unsäglichen Stimmung von Verwaistheit und Schwermut, wie sie solche seit Menschengedenken nicht benützten Räume ausatmen. In den Schlafgemächern die schönen, freistehenden Riesenbetten mit brokatenen Prachtgehängen und der dazugehörenden reichen Truhe am Fußende, venezianische Spiegel, eingelegte Spinde, kunstreiche Kandelaber, lauter Kostbarkeiten vergangener Geschlechter, unter denen zu ruhen der Eindringling gar keine Lockung spürte.
Auf sein Drängen führte ihn der Alte dann auch eine breite Steintreppe hinauf in das obere Geschoss. Hier war das Reich der Spinnweben und des Verfalls, die Luft stockig, alle Räume mit überzähligem Hausrat angefüllt oder völlig leergelassen, weil die Fenster fehlten.
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