Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
isbn:
Als ich fertig war, gab ich, ohne irgendeine Meinung zu äußern, die Blätter an Angela, die keine geeichten Kunstmaße, aber ein sehr lebendiges, angeborenes Gefühl für poetische Werte besaß.
Sie las entzückt und hingerissen. Aber von Zeit zu Zeit ließ sie das Blatt mit einem »Das verstehe ich nicht« sinken. Als sie zu Ende war, blätterte sie zurück, wie ich es getan hatte, und sagte dann ganz bestürzt und verwirrt:
Aber das sind ja unmögliche Dinge.
Es waren in der Tat unmögliche Dinge. Und ich stand vor der Aufgabe, ihm das zu sagen, denn von mir erwartete er die Wahrheit! Der unglückliche Mann hing jetzt, wie ich vor wenigen Tagen auf dem Gletscherhang, zwischen Sein und Nichtsein. Und ich, statt zu tun, was er getan hatte, dem Freund einen Halt zu geben, ich sollte ihn hinunterstoßen! Es gibt keine Zeit in meinem Leben, wo ich mehr gelitten hätte als damals. Auch die schwersten Lagen hatten sonst immer noch das Gute, dass der Weg unweigerlich vorgezeichnet war. Hier standen zwei Wege offen, die beide ins Verderben führten. Welchen sollte ich gehen? Ich hatte Augenblicke, wo ich wünschte, er hätte mich in den weißen Abgrund rollen lassen.
Angela sagte: Wenn er so groß ist, wie ich ihn halte, wird er die Wahrheit hören können.
Das wird er freilich, entgegnete ich, aber wie wird sie auf ihn wirken, jetzt, in diesem traurigen Augenblick?
Und doch bleibt dir nichts andres übrig, da er sie von dir erwartet, meinte sie. Schweigen wäre schlimmer, und das Schlimmste: ihn auf dem Irrweg weitergehen zu lassen.
Tag und Nacht ging es in mir auf und ab: Was sage ich? Wie sage ich’s? Und sollte ich wirklich sprechen, da ihm ja doch nicht zu helfen war? Ich sah bereits auch die Alexandertragödie ahnend ins Uferlose zerrinnen. Der Brahmane auf dem Scheiterhaufen hatte mir’s angetan. Sein Wiedererscheinen in Babylon, wie er dem fiebernden Alexander die Hand voll Asche hinreicht, schien mir ein echter Dichterfund. Aber würde es bei dieser Symbolik sein Bewenden haben? Was würde der alte Grübler bei der letzten Fassung von dem Urgegebenen übriglassen? Würde es überhaupt eine letzte Fassung geben oder würde man auch von diesem Werke sagen müssen: Alles fließt? Nie verstand ich besser den Spruch: Weniger ist mehr. Nur ein kleines an Selbstbeschränkung, an Zurückdämmen des Urfeuers, und es wären dauernde Werke geschaffen worden. Es war der alte Schaden des Zu viel, den er selber ehedem am deutschen Genius gerügt hatte. War da von der Aussprache irgendein Gewinn zu erwarten? Fühlte er nicht mit seinem feinen Kunstempfinden schon alles, was ich ihm sagen konnte, heimlich selbst?
Die Nachrichten aus La Tour flossen spärlich, und durch alle klang ein unausgesprochenes Schreckenswort. Nur zu Anfang musste in den schmeichlerischen Sonnenlüften eine kurze Besserung eingetreten sein, die nicht von Bestand war. Die Kranke sehnte sich nach Angela. Die Ärmste besaß weder Mutter noch Schwester, und von den Kunstgenossinnen an der Bühne hatte sie sich immer ferngehalten, um in keine Händel hineingezogen zu werden. Was eine Frau der andern sein kann, das hatte sie erst jetzt erfahren.
Sei, was du heißest, schrieb sie an Angela, und komm zu deinem verlorenen Schwesterlein.
Zuweilen unterschrieb sie sich Perdita, ein Name, mit dem sie irgendeine nicht ausgesprochene Bedeutung verknüpfte.
In La Tour de Peilz holte Ruhland uns an dem kleinen Bahnhof ab. Auf die bange Frage nach Frau Selmas Befinden hob er die Schultern hoch und schwieg bedeutsam. Man konnte sehen, wie es ihn in der Kehle würgte. Sie war ihm ja, wie ich von ihr selber wusste, einmal sehr teuer gewesen.
Dann sagte er möglichst sachlich und trocken: Der Krankheitsherd breitet sich nach Ansicht des Arztes mit großer Geschwindigkeit aus.
Als ich nach dem Gatten fragte, ein neues Achselzucken:
Er will jetzt zu viel tun, wo er vorher zuwenig tat. Aber ich zweifle, ob er der Kranken damit eine Erquickung bereitet. Es wird gut sein, wenn jetzt ein Frauenauge über ihr wacht.
Es verhielt sich so, wie der alte Hausfreund fürchtete. Der unberechenbare Mann beängstete und bedrängte die hinsterbende Frau jetzt mit einem Übermaß von zärtlicher Sorge. Die erfahrene Wärterin, unter deren Walten das Rechte geschah, war zu einer erkrankten Angehörigen abgerufen worden, und ihre Nachfolgerin zeigte sich der schweren Aufgabe nicht gewachsen.
Wir richteten uns auf dem andern Flügel des Stockwerks ein, das durch eine große gemeinsame Glasveranda mit der Borckschen Wohnung zusammenhing. Hinter dieser Glaswand, die unmittelbar auf den See ging und die ganze Sonnenseite des Hauses einnahm, lag Selma und täuschte mit rosigen Wangen und glänzenden Augen dem ersten Blick eine erneute Jugend vor. Aber beim Aufrichten verriet sich ihre erschreckende Abmagerung. Blumen, die sie unmäßig liebte und deren sie nie genug sah, umgaben sie in Überfülle fast wie eine Tote, denn Gustav willfahrte jetzt blindlings allen ihren Wünschen und konnte sich mit Aufmerksamkeiten gar nicht genug tun. Angela trug gleich die starkduftenden hinaus, öffnete das Fenster und übernahm in ihrer sanften Festigkeit die Leitung der Pflege.
Du hast gelesen? fragte mich Gustav scheu, als ich ihm nach dem Auspacken seine Blätter schweigend auf den Tisch legte. Wir sprechen darüber, mein Alter, sagte ich herzlich. Jetzt müssen die ersten Gedanken Selma gelten. Es scheint nicht zum besten bei ihr zu stehen.
Weiß Gott, dass es nicht gut steht, ich gebe mich keiner Täuschung hin, antwortete er. Wüsste ich nur, was den Anstoß zu diesem plötzlichen Zusammenbruch gegeben hat. Wir hatten ihm aus guten Gründen die Begegnung mit Sommer verheimlicht, und auch das Mädchen schwieg, von Angela in Pflicht genommen. Aber sein grübelnder Geist ahnte doch den Zusammenhang mit dem dunklen Geheimnis seines eigenen Schicksals. Er litt unsäglich, suchte gutzumachen, was er in all den Jahren an ihr versäumt und verbrochen hatte, und einen neuen Liebesfrühling über sie auszuschütten, unter dem die kranke Frau nur schneller verbrannte.
Das СКАЧАТЬ