Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
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Dein Schweigen hat mir den Stab gebrochen, lieber Harry, aber quäle dich um dessentwillen nicht. Du konntest keine fromme Lüge sagen, es wäre deiner und meiner unwürdig gewesen, und eben darum habe ich dich zum Richter gewählt. Mein Innerstes hatte selber schon das Urteil gesprochen, und nur wie auf ein Wunder hoffte ich noch, ich Tor, auf das Wort des Heils: Du hast gesiegt. – Nein, ich habe nicht gesiegt, und das Feuer hat schon vor Tagen die Missgeburt verzehrt. Selma hatte mir’s offen gesagt, dass das Gedicht in seiner früheren Fassung besser war. Ich grollte ihr darob, unterschätzte ihre Urteilskraft und fühlte doch, dass sie recht hatte. Aber noch wollte ich mich nicht ergeben, ich wollte weiterringen nach neuen Zielen, da streckte der Gott mir seinen Speer entgegen.
Vielleicht ist Frauenliebe das Schönste auf der Erde. Aber sie müsste der Preis des Siegers sein. Was nützt die Krone dem, der sie sich selber absprechen muss? Wenn doch die Frauen das verstehen wollten: dem, der Großes will und es nicht erreichen kann, ist die Liebe nichts nütze. Sie wird ihm nur zur Qual und er rächt sich dafür. Die inneren Hemmungen, woran er krankt, machen einen bösen Geist aus ihm. Dann kommen die Frauen und wollen mit Balsam heilen, was nur das Eisen heilt.
Der starre alte Mann in seinem Soldatengrab ist Sieger geblieben. Ich bin der Überwundene und werde das stumme Wort nicht brechen, das ich ihm im Jahre Siebzig gab. Dann werden mir wohl auch meine ehemaligen Kameraden glauben, dass es damals nicht das Stückchen Blei war, was ich fürchtete.
Der Morgen bricht an und im Kamin kräuselt sich und verglimmt das letzte beschriebene Blatt. Das Häufchen Ruß, was du dort findest, war der Alexander. Der Brahmane mit seiner Handvoll Asche ist auch bei mir gewesen und hat mich letzte Weisheit gelehrt.
Legt mich nicht zu Selma, ich könnte sie im Grab noch drücken. Ihr ist wohler ohne mich. Nicht weit von ihr ist noch ein Platz frei, wo ich bei der Feier stand. Dort lasst mich allein sein, wie ich es im Leben war, aber in ihrer Nähe. Das schmale Plätzchen hat Raum, um alles Wollen und Streben des Erdballs darin unterzubringen. Dass die Welt mich vergesse, ist das einzige, was ich von ihr erhoffe. Aber in dir und noch einem werde ich ein Weilchen weiterleben, bis auch eure Stunde schlägt. Lebe wohl! Lebt wohl!
Als ich aus dem Hause stürzte, um den Verschwundenen zu suchen, prallte ich gegen einen Mann im Überrock mit umgehängter Reisetasche, der eben hastig die Klingel zog – Kuno!
Seine ersten Worte waren: Wo ist Gustav?
Zu spät! Ich wusste es, ich komme zu spät, stieß er hervor, als er mehr aus meinen Gebärden als aus meinen Worten verstand, was vorging. Er warf seine Reisetasche in den Flur und folgte mir in Eile nach. Seltsamerweise kam er nicht wegen Selmas Tod, von dem er noch nichts wusste: eine plötzliche wilde Angst um Gustav hatte ihn aufgejagt und gezwungen, Tag und Nacht zu reisen.
Unterwegs begegneten wir Ruhland, den gleichfalls ein Vorgefühl hertrieb. Dieser übernahm es, auf dem Friedhof zu suchen. Ich wusste schon, dort war er nicht, das letzte Wort auf Erden konnte der Dichter nur tief allein mit seinem Genius gesprochen haben.
Auf einer hochgelegenen Stelle, abseits vom Wege, wo ein paar mächtige Platanen zu einem Hain zusammentraten, stand eine Parkbank mit dem Blick auf den See. Dort pflegte der Dichter, wenn der Geist ihn trieb, zu sitzen und in sein Taschenbuch zu schreiben. Auch heute saß er dort – in sich zusammengesunken und mit einem Arm über der Seitenlehne hängend, die ihn am Niedergleiten hinderte. Die alte Familienpistole lag neben ihm am Boden. Sie hatte gute Arbeit gemacht: Stellung und Gesichtsausdruck des Toten zeigten, dass das Ende leicht und rasch gewesen war.
Trotz der frühen Stunde waren wir nicht die Ersten, die ihn fanden. Eine Wache war schon bei ihm aufgestellt, um zu verhindern, dass jemand ihn berühre, ehe das Gericht zur Stelle sei, und eine Anzahl Menschen stand gaffend in der Nähe.
Die Wache wollte uns das Herantreten verwehren, aber mit einem Sprung war Kuno bei dem Toten und rief außer sich:
Gustav! Gustav! Was hast du getan! Ich kann dir nicht mehr helfen, ich kam zu spät, um zu retten. Du hast dein Gewand weggeworfen, bevor drüben das neue für dich gewebt war. Was soll nun aus dir werden?
Verzweifelt sah er sich nach allen Seiten wie nach einem unsichtbaren Retter um:
Ihr guten Geister, die ihr zum Schutz für die Unglücklichen da seid, lasst ihn nicht nackt und frierend umherirren. Deckt ihn mit euren Fittichen, haltet ihn an eurem Brustflaum warm, bis er wieder hat, worein er sich hülle.
Achtlos auf die Umherstehenden, sprach er bald auf den Entseelten ein, als ob dieser ihn noch verstehen könne, bald zu den Überirdischen, deren Beistand er ihn empfahl.
Die Gaffer, soweit sie die deutsche Sprache verstanden, wurden von Scheu und Schauder erfasst und bekannten später, dass sie sich gefürchtet hätten.
Die ganzen Tage, die der Tote noch über der Erde verbrachte, war Kuno wie von Sinnen. Er klagte sich aufs bitterste an, dass er zu langsam gewesen sei, die Seele, der er sich zugeschworen hatte, vor ihrem schwersten Missgriff zu bewahren. Die Not des Freundes, die für uns andere beschlossen war, für ihn begann sie mit seinem Ende.
Bevor der Sarg zugenagelt wurde, kniete er noch einmal bei dem Toten nieder und blickte lange in das entseelte Angesicht, das einen Ausdruck leidvoller Erhabenheit trug. Dann beugte er sich zu seinem Ohr herab, und man hörte ihn dumpf und eindringlich sagen:
Wiederkehren! Besser machen!
Die Blumen auf Selmas Hügel waren noch nicht verwelkt, als wir den ungleichen Schicksalsgefährten neben ihr zur Ruhe brachten. Nur wenige schlechte Freundeskränze schmückten den Dichtersarg. Zuletzt kam ein Knabe und legte einen vollen schweren Lorbeerkranz nieder, dessen weiße Schleife die überraschende Aufschrift zeigte: Von Olaf Hansen. Kuno sah mich durchdringend an, aber das Rätsel löste sich auf natürliche Weise. Angela hatte das Goldstück, das ich noch immer mit einem von Olafs Hand beschriebenen Blättchen bei mir trug, aus meiner Brieftasche genommen und es gemäß dem Wunsch des Längstverblichenen in die ernste Huldigung für den Größten unseres Jugendkreises verwandelt.
Bevor wir abreisten, schüttete ich die verkohlten Papierreste, die wir in Gustavs СКАЧАТЬ