Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Isolde Kurz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962812515

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СКАЧАТЬ Nie­der­tracht fä­hig hielt, so war ihr doch nicht wohl da­bei, ihn un­ter vier Au­gen mit Sel­ma zu wis­sen.

      Die­se hat­te sich schon beim Abendes­sen, als von ih­rer heu­ti­gen Rol­le die Rede war, An­deu­tun­gen ent­schlüp­fen las­sen, die man auf ein ge­stör­tes Ehe­ver­hält­nis be­zie­hen konn­te, und An­ge­la war nur im­mer be­strebt ge­we­sen, den Sinn ih­rer Wor­te ins All­ge­mei­ne um­zu­deu­ten und ab­zu­len­ken. Auf dem Nach­hau­se­weg moch­te sie dann in ih­rer hem­mungs­lo­sen Art ge­gen den Mann, den sie für den er­ge­be­nen Freund ih­res Gat­ten hielt, noch deut­li­cher ge­wor­den sein und er die­se Of­fen­her­zig­keit für ein Ent­ge­gen­kom­men im Sinn sei­ner al­ten, längst be­gra­be­nen Wün­sche und Hoff­nun­gen ge­nom­men ha­ben. Statt der be­ab­sich­tig­ten Wei­ter­rei­se mach­te er ein Wie­der­se­hen für den nächs­ten Tag aus, und Sel­mas Kin­der­sinn ging mit Ent­zücken auf sei­nen Vor­schlag ei­ner Wa­gen­fahrt am Seeu­fer mit an­schlie­ßen­der Ein­kehr in ei­ner be­lieb­ten Gast­stät­te drau­ßen im Grü­nen ein. Vi­el­leicht spiel­te ein ge­wis­ser heim­li­cher Trotz ge­gen Gu­stav, für den es kei­ne Er­ho­lung als in Männer­ge­sell­schaft gab, da­bei mit, denn ich bin ge­wiss – und die tiefer bli­cken­de An­ge­la war es gleich­falls –, dass die Ärms­te nie­mals eine Hin­nei­gung für Som­mer emp­fun­den hat, sie ließ sich ein­fach vom Au­gen­blick tra­gen.

      An­ge­la aber sorg­te sich, ob Som­mer nichts ge­gen Gu­stav im Schil­de füh­re und ob er wirk­lich ab­ge­reist sei. Sie woll­te gleich am Mor­gen zu Sel­ma fah­ren, wur­de aber durch den Be­such ei­ner Ju­gend­be­kann­ten, die zu­fäl­lig von ih­rer An­we­sen­heit ge­hört hat­te, auf­ge­hal­ten. Als sie nach ei­nem Gang mit die­sem bei der Künst­le­rin vor­sprach, hieß es, die gnä­di­ge Frau sei mit ei­nem frem­den Herrn weg­ge­fah­ren. Be­tre­ten kehr­te sie in den Gast­hof zu­rück und hör­te dort, dass die zwei sie hat­ten ab­ho­len wol­len; es war die Be­din­gung, an die Sel­ma ihr Mit­fah­ren ge­knüpft hat­te. Da die drit­te nicht zu ha­ben war, konn­te sie nicht mehr um­keh­ren und setz­te ihre Fahrt al­lein mit Som­mer fort.

      Was an dem un­se­li­gen Tage zwi­schen den Bei­den vor­ging, hat man nie ge­nau er­fah­ren. Ohne Zwei­fel woll­te er die einst auch von ihm um­wor­be­ne Frau von dem Man­ne, der sie ein­ge­stan­de­ner­ma­ßen nicht glück­lich mach­te und den er auch nach sei­nem kur­z­en Sinn ih­rer un­wür­dig hielt, los­rei­ßen und vor­über­ge­hend oder dau­ernd an sich zie­hen. Sel­ma wi­der­stand, er wur­de drin­gen­der, und da sie ihn em­pört in sei­ne Schran­ken wies, muss er ihr in ei­nem Aus­bruch plötz­li­cher Ro­heit die Vor­gän­ge aus dem Feld­la­za­rett von Gra­ve­lot­te ins Ge­sicht ge­wor­fen ha­ben, die Gu­stav ihr ver­heim­lich­te. Mög­lich, dass er ihr so­gar in sei­ner Wut mit ei­ner Ver­öf­fent­li­chung droh­te, die ih­res Gat­ten bür­ger­li­che Stel­lung ver­nich­tet hät­te. Das plötz­li­che We­grei­ßen die­ses Schlei­ers und die Er­kennt­nis, wo­hin ihr Ein­fluss den im­mer noch lei­den­schaft­lich ge­lieb­ten Mann ge­führt hat­te, muss töd­lich ge­wirkt ha­ben. Am spä­ten Nach­mit­tag fuhr ein Wa­gen im lang­sams­ten Schritt an Gu­stavs Hau­se vor, und eine fast leb­lo­se Ge­stalt wur­de von Som­mer und ei­nem un­ter­wegs an­ge­ru­fe­nen Arzt vor­sich­tig die Trep­pe hin­auf­ge­tra­gen. Eine Vier­tel­stun­de spä­ter gab der ers­te­re beim Vor­über­fah­ren an un­serm Gast­hof zwei ei­lig ge­krit­zel­te Zei­len ab:

      Ihre Freun­din, die schon lan­ge lei­dend zu sein scheint, hat un­ter­wegs einen Blut­sturz er­lit­ten. Be­ge­ben Sie sich schleu­nigst zu ihr. Ich muss­te sie den Hän­den ei­nes Kol­le­gen über­las­sen, da mei­ne Wei­ter­rei­se un­auf­schieb­lich ist. Sa­gen Sie ihr, so­bald sie zu hö­ren fä­hig ist, dass ih­rem Gat­ten von mir kei­ne Ge­fahr droht.

      Mei­ne Frau fand Sel­ma im Mor­phi­um­schlaf und ließ sich als hel­fen­der En­gel an ih­rem Bet­te nie­der, von dem sie nur wich, um an das mei­ni­ge zu ei­len, nach­dem Gu­stav mich im Gast­hof ab­ge­lie­fert hat­te. Dort lag ich dann drei Wo­chen mit aus­ge­streck­tem Fuß un­tä­tig, ohne den schwer be­dräng­ten Freun­den hel­fen zu kön­nen.

      Mit dem Ge­sicht ei­nes Verzwei­feln­den er­schi­en Gu­stav an mei­nem La­ger. Denn er lieb­te Sel­ma doch, und mehr, als er sel­ber ge­wusst hat­te. Seit er in die Ge­fahr, sie zu ver­lie­ren, blick­te, ging ihm auf, was er an ihr be­saß und was er bis­her vor sei­nem in­ne­ren Wüh­len über­se­hen hat­te. Dies­mal klag­te er auch nicht über die Dä­mo­nen, die sich aufs neue ge­gen sein Schaf­fen ver­schwo­ren, er sprach nur von Sel­ma. Täg­lich we­nigs­tens ein­mal hol­te er An­ge­la weg, weil die Kran­ke sich nach ih­rer wei­chen Stim­me und ih­ren lin­den Hän­den sehn­te. Als sich nach lan­gen vier­zehn Ta­gen ihr Zu­stand zu bes­sern schi­en, und man dar­an den­ken konn­te, sie in die mil­de­re Luft des Gen­fer Sees zu brin­gen, fuhr er nach Mon­treux vor­aus, wo er ver­geb­lich ein Un­ter­kom­men für die Kran­ke such­te. Ein freund­li­cher Zu­fall führ­te ihm je­doch sei­nen al­ten Freund und An­hän­ger Dr. Ruh­land in den Weg, der sich ei­ner schwa­chen Lun­ge we­gen am See auf­hielt, und die­ser fand ihm in dem gleich­falls wind­ge­schütz­ten klei­nen La Tour de Peilz ein schö­nes son­ni­ges Stock­werk un­mit­tel­bar am Was­ser. Dor­thin brach­te er die Kran­ke in Ge­sell­schaft ei­ner ge­schul­ten Wär­te­rin und der ver­trau­ten Magd. Dass wir nach­fol­gen wür­den, so­bald mein Fuß es ge­stat­te­te, ver­stand sich von selbst und war schon bei Über­nah­me der Dop­pel­woh­nung vor­ge­se­hen. Die bei­den Frau­en trenn­ten sich mit Leid, doch ver­lang­te Sel­ma in ih­rer Schwä­che nach kei­ner Auss­pra­che mehr; nur die Bot­schaft Som­mers hat­te An­ge­la ihr noch trös­tend zu­ge­flüs­tert.

      Ehe er schied, brach­te Gu­stav mir sei­nen »Be­frei­er« in der neu­en Fas­sung.

      Du hast jetzt Zeit und Samm­lung zum Le­sen, sag­te er ernst; lies und sage mir dann klar und of­fen, wie ich dich ken­ne, was du da­von hältst. Dein Ur­teil soll mir ein Got­tes­ur­teil sein.

      Ich las einen gan­zen Tag und eine hal­be Nacht, und als ich fer­tig war, las ich zum zwei­ten Mal. Es war die alte, be­zwin­gen­de Spra­che, viel­leicht in noch ge­stei­ger­ter Kraft, es wa­ren die Ge­stal­ten, an de­nen ich mich ein­mal be­rauscht hat­te. Aber ein selt­sa­mes Däm­mer­licht um­schwank­te sie, ent­klei­de­te sie ih­rer Un­mit­tel­bar­keit und über­zeu­gen­den Nähe. Oder lag es an mir, dass ich, um so­viel äl­ter ge­wor­den, die ers­te ju­gend­li­che Be­geis­te­rung nicht mehr auf­brin­gen konn­te? Nein, es lag an der Sa­che. Zwar der An­fang war fast der­sel­be ge­blie­ben, und auch die »Va­rus­schlacht« hat­te noch viel von ih­rer al­ten Grö­ße, aber den drit­ten Teil, den Tod des Be­frei­ers, konn­te ich nur als völ­lig miss­lun­gen be­trach­ten. Die Vor­stel­lung, dass Ar­mi­ni­us kein an­de­rer als Sieg­fried sei, hat­te ge­wiss et­was Be­ste­chen­des und war ja dem Dich­ter schon frü­her na­he­ge­tre­ten; jetzt wur­de sie An­lass, dass sich al­les trüb­te und ver­wirr­te. Die bei­den ers­ten Tei­le stan­den noch im hel­len Licht der Ge­schich­te, der drit­te ver­lor sich ins My­thisch-Mys­ti­sche. Die er­schla­ge­ne Al­rau­ne, Wo­tan und die Siegs­göt­tin­nen wa­ren in der »Va­rus­schlacht« nur Mit­tel ge­we­sen, die der von hel­le­nisch-rö­mi­schem Geist be­rühr­te Che­rus­ker­fürst brauch­te, um sein Volk auf­zu­rüt­teln. Im drit­ten Tei­le spiel­ten sie leib­haft her­ein. Der ver­nich­te­te Va­rus spuk­te in Ge­stalt des Dra­chen Faf­ner СКАЧАТЬ