Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Und ihretwegen habe ich mich vor diesem Schuft gedemütigt! Aber ich glaube, Herr Persicke, ich werde doch lieber nicht in die Partei eintreten. Ich glaube, dafür ist es zu spät. Es hat schon ein bisschen sehr lange gedauert mit euch!
Er blinzelte, er streckte sich. Er atmete wohlig, jetzt war ihm wieder gut zumute.
Ich werde gleich nachher nach dem Persicke sehen. Mehr Spritzen bekommt er jedenfalls nicht. Hoffentlich übersteht er’s. Gleich nachher sehe ich nach ihm, erst einmal will ich die schönste Wirkung genießen. Aber gleich nachher – Ehrenwort!
57. Otto Quangels anderer Zellengefährte
Als Otto Quangel von einem Aufseher in seine neue Zelle im Untersuchungsgefängnis geführt wurde, stand ein großer Mann vom Tisch auf, an dem er lesend gesessen, und stellte sich unter das Zellenfenster, in der vorschriftsmäßigen Haltung, mit den Händen an der Hosennaht. Aber die Art, wie er diese »Ehrenbezeigung« ausführte, verriet, dass er sie nicht für sehr notwendig hielt.
Der Aufseher winkte auch gleich ab. »Is ja jut, Herr Doktor«, sagte er. »Da haben Sie einen neuen Zellengefährten!«
»Schön!«, sagte der Mann, der aber für Otto Quangel mit seinem dunklen Anzug, seinem Sporthemd und Schlips mehr wie ein »Herr« als wie ein Zellenkamerad aussah. »Schön! Mein Name ist Reichhardt, Musiker. Kommunistischer Umtriebe beschuldigt. Und Sie?«
Quangel fühlte eine kühle, feste Hand in der seinen. »Quangel«, sagte er zögernd. »Ich bin Tischler. Ich soll Hoch- und Landesverrat begangen haben.«
»Ach, Sie!«, rief der Dr. Reichhardt, der Musiker, dem Aufseher nach, der eben die Tür schließen wollte. »Von heut an wieder zwei Portionen, ja?«
»Is ja jut, Herr Doktor!«, sagte der Aufseher. »Weeß ich ja von alleene!«
Und die Tür schloss sich.
Die beiden sahen sich einen Augenblick prüfend an. Quangel war misstrauisch, fast sehnte er sich nach seinem Karlchen Hund im Gestapokeller zurück. Mit diesem feinen Herrn, einem richtigen Doktor, sollte er nun zusammenleben – es war ihm unbehaglich.
Der »Herr« lächelte mit den Augen. Dann sagte er: »Tun Sie nur so, als wenn Sie alleine wären, wenn Ihnen das lieber ist. Ich werde Sie nicht stören. Ich lese viel, ich spiele mit mir selbst Schach. Ich treibe Gymnastik, um den Körper frisch zu erhalten. Manchmal singe ich ein wenig vor mich hin, aber nur ganz leise; es ist natürlich verboten. Würde Sie das stören?«
»Nein, das stört mich nicht«, antwortete Quangel. Und fast wider seinen Willen setzte er hinzu: »Ich komme aus dem Bunker von der Gestapo und habe da an die drei Wochen mit einem Verrückten zusammengesperrt gelebt, der ewig nackt war und Hund spielte. Mich stört so leicht nichts mehr.«
»Gut!«, sagte der Dr. Reichhardt. »Noch schöner wär’s freilich gewesen, wenn Sie Musik ein wenig gefreut hätte. Es ist die einzige Art, sich hier in diesen Mauern Harmonie zu verschaffen.«
»Davon versteh ich nichts«, antwortete Otto Quangel abweisend. Und er setzte hinzu: »Es ist ein mächtig feines Haus gegen das, wo ich gewesen bin, was?«
Der Herr hatte sich wieder an den Tisch gesetzt und sein Buch in die Hand genommen. Er antwortete freundlich: »Ich war da unten auch eine Weile, wo Sie gewesen sind. Ja, etwas besser ist es schon hier. Wenigstens wird man nicht geschlagen. Die Aufseher sind meist stumpf, aber nicht völlig verroht. Doch Gefängnis bleibt Gefängnis, das wissen Sie ja. Ein paar Erleichterungen. Ich darf zum Beispiel lesen, rauchen, mir mein eigenes Essen kommen lassen, eigene Kleidung und Bettwäsche halten. Aber ich bin ein Sonderfall, und auch eine erleichterte Haft bleibt Haft. Man muss erst so weit kommen, dass man die Gitter nicht mehr fühlt.«
»Und sind Sie soweit?«
»Vielleicht. Meistens. Nicht immer. Durchaus nicht immer. Wenn ich zum Beispiel an meine Familie denke, dann nicht.«
»Ich hab nur ’ne Frau«, sagte Quangel. »Hat dieses Gefängnis auch eine Frauenseite?«
»Ja, die gibt es hier, wir sehen aber nie etwas von den Frauen.«
»Natürlich nicht.« Otto Quangel seufzte schwer. »Meine Frau haben sie auch eingesteckt. Hoffentlich haben sie die heute auch hierher gebracht.« Und er setzte hinzu: »Sie ist zu weich für das, was sie im Bunker aushalten musste.«
»Hoffentlich ist sie auch hier«, sagte der Herr freundlich. »Wir werden es durch den Pastor erfahren. Vielleicht kommt er noch heute Nachmittag. Übrigens dürfen Sie sich auch einen Verteidiger nehmen, jetzt, da Sie hier sind.«
Er nickte Quangel freundlich zu, sagte noch: »In einer Stunde gibt es Mittag«, setzte die Lesebrille auf und fing an zu lesen.
Quangel sah einen Augenblick zu ihm hin, aber der Herr wollte nicht weitersprechen, sondern las wirklich.
Komisch, diese feinen Leute!, dachte er. Ich hätt noch ’ne Masse zu fragen gehabt. Aber wenn er nicht will, auch gut. Ich will nicht sein Hund werden, der ihm keine Ruhe lässt.
Und ein wenig gekränkt machte er sich an das Beziehen seines Bettes.
Die Zelle war sehr sauber und hell. Sie war auch nicht gar zu klein, man konnte drei und einen halben Schritt hin- und wieder drei und einen halben Schritt zurückgehen. Das Fenster stand halb offen, die Luft war gut. Es roch hier angenehm; wie Quangel später feststellen konnte, kam dieser gute Geruch von der Seife und der Wäsche des Herrn Reichhardt her. Nach der stickig-stinkenden Atmosphäre des Gestapobunkers fühlte sich Quangel an einen hellen, fröhlichen Ort versetzt.
Nachdem er sein Bett bezogen hatte, setzte er sich darauf und sah zu seinem Zellengenossen hin. Der Herr las. In ziemlich rascher Folge wendete er Blatt um Blatt um. Quangel, der sich nicht erinnern konnte, seit seiner Schulzeit ein Buch gelesen zu haben, dachte verwundert: Was der nur zu lesen hat? Ob der nichts nachzudenken hat, hier, an diesem Ort? Ich könnte nicht so ruhig sitzen und lesen! Ich muss immerzu an Anna denken, und wie alles gekommen ist und wie es weitergeht und ob ich mich auch weiter anständig halte. Er sagt, ich kann mir ’nen Rechtsanwalt nehmen. Aber ein Rechtsanwalt kostet einen Haufen Geld, СКАЧАТЬ