Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
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Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke

Автор: Hans Fallada

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962813598

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      »Ja, das kann ich. Aber ich tue es nicht, we­nigs­tens nie vor dem Pub­li­kum. Se­hen Sie mal, Quan­gel, das ist doch ähn­lich wie bei Ih­nen: auch Sie kön­nen ho­beln und sä­gen und Nä­gel ein­klop­fen. Aber Sie ha­ben es nicht ge­tan, Sie ha­ben nur die an­de­ren be­auf­sich­tigt.«

      »Ja, da­mit sie mög­lichst viel schaf­fen. Ha­ben denn Ihre Leu­te da­durch, dass Sie da­stan­den, nun schnel­ler und mehr ge­spielt?«

      »Nein, das ha­ben sie frei­lich nicht ge­tan.«

      Schwei­gen.

      Dann sag­te Quan­gel plötz­lich: »Und bloß Mu­sik … Se­hen Sie, wenn wir in un­sern gu­ten Zei­ten ge­ar­bei­tet ha­ben, nicht bloß Sär­ge, son­dern Mö­bel, An­rich­ten und Bü­cher­schrän­ke und Ti­sche, da ha­ben wir was ge­ar­bei­tet, was sich se­hen las­sen konn­te! Bes­te Tisch­ler­ar­beit, ver­zapft und ge­leimt, was noch in hun­dert Jah­ren hält. Aber bloß Mu­sik – wenn Sie auf­hö­ren, ist nichts von Ih­rer Ar­beit ge­blie­ben.«

      »Doch, Quan­gel, die Freu­de in den Men­schen, die gute Mu­sik hö­ren, die bleibt.«

      Nein, in die­sem Punk­te ka­men sie nie zu ei­nem vol­len Ein­ver­ständ­nis; eine lei­se Ver­ach­tung für die Tä­tig­keit des Di­ri­gen­ten Reich­hardt blieb in Quan­gel zu­rück.

      Aber er sah, dass der an­de­re ein Mann war, ein auf­rech­ter, wahr­haf­ti­ger Mann, der un­ter Be­dro­hun­gen und Schreck­nis­sen sein Le­ben un­be­irrt wei­ter­ge­lebt hat­te, stets freund­lich, stets hilfs­be­reit. Stau­nend be­griff Otto Quan­gel, dass die Freund­lich­kei­ten, die ihm Reich­hardt er­wies, nicht spe­zi­ell ihm gal­ten, son­dern dass er sie je­dem Zel­len­ge­nos­sen er­wie­sen hät­te, zum Bei­spiel auch dem »Hund«. Ei­ni­ge Tage hat­ten sie einen klei­nen Dieb in der Zel­le, ein ver­dor­be­nes, ver­lo­ge­nes Ge­schöpf, und die­ser Ben­gel nütz­te die Freund­lich­kei­ten des Dok­tors hohn­la­chend aus; er rauch­te ihm all sei­ne Zi­ga­ret­ten fort, er ver­han­del­te sei­ne Sei­fe an den Kal­fak­tor, er stahl das Brot. Quan­gel hät­te die­se Krea­tur am liebs­ten ver­prü­gelt, oh, der alte Werk­meis­ter hät­te den Ben­gel schon zu­recht­ge­stutzt. Aber der Dok­tor woll­te das nicht ha­ben, er nahm den Dieb, der sei­ne Güte als Schwä­che ver­spot­te­te, in Schutz.

      Als der Kerl schließ­lich aus ih­rer Zel­le ge­holt wor­den war, als sich her­aus­ge­stellt hat­te, dass er in un­be­greif­li­cher Bos­heit ein Bild, das ein­zi­ge Bild, das Dr. Reich­hardt von Frau und Kin­dern be­saß, zer­ris­sen hat­te, als der Dok­tor trau­ernd vor den Fet­zen die­ses Bil­des saß, die sich doch nicht wie­der zu­sam­men­fü­gen las­sen woll­ten, und als Quan­gel da zor­nig sag­te: »Wis­sen Sie, Herr Dok­tor, ich glau­be manch­mal, Sie sind wirk­lich schlapp. Wenn Sie mir gleich er­laubt hät­ten, den Schuft or­dent­lich zu­sam­men­zu­stau­chen, da hät­te so was nicht pas­sie­ren kön­nen« – da ant­wor­te­te der Di­ri­gent mit ei­nem trau­ri­gen Lä­cheln: »Wol­len wir denn wer­den wie die an­de­ren, Quan­gel? Die glau­ben doch, dass sie uns mit Schlä­gen zu ih­ren An­sich­ten be­keh­ren kön­nen! Aber wir glau­ben nicht an die Herr­schaft der Ge­walt. Wir glau­ben an Güte, Lie­be, Ge­rech­tig­keit.«

      »Güte und Lie­be für solch einen bos­haf­ten Af­fen!«

      »Wis­sen Sie denn, wie er so bos­haft wur­de? Wis­sen Sie, ob er sich jetzt nicht ge­gen Güte und Lie­be nur wehrt, weil er Angst da­vor hat, wenn er nicht mehr schlecht ist, an­ders le­ben zu müs­sen? Hät­ten wir den Jun­gen nur noch vier Wo­chen in un­se­rer Zel­le ge­habt, Sie hät­ten die Wir­kung schon ge­spürt.«

      »Man muss auch hart sein kön­nen, Dok­tor!«

      »Nein, das muss man nicht. Solch ein Satz gibt die Ent­schul­di­gung für jede Lieb­lo­sig­keit ab, Quan­gel!«

      Quan­gel be­weg­te un­mu­tig den Kopf mit dem schar­fen, har­ten Vo­gel­ge­sicht hin und her. Aber er wi­der­sprach nicht wei­ter.

      58. Das Leben in der Zelle

      Sie ge­wöhn­ten sich an­ein­an­der, sie wur­den Freun­de, so­weit ein har­ter, tro­ckener Mensch wie Otto Quan­gel der Freund ei­nes auf­ge­schlos­se­nen, gü­ti­gen Men­schen wer­den konn­te. Ihr Tag war – durch Reich­hardt – fest ein­ge­teilt. Der Dok­tor stand sehr früh auf, er wusch sich kalt am gan­zen Lei­be, mach­te eine hal­be Stun­de Gym­nas­ti­k­übun­gen und rei­nig­te dann selbst die Zel­le. Spä­ter, nach dem Früh­stück, las Reich­hardt zwei Stun­den und ging dann eine Stun­de lang in der Zel­le auf und ab, wo­bei er nie ver­gaß, die Schu­he aus­zu­zie­hen, um sei­ne Nach­barn in der Zel­le dar­über und dar­un­ter nicht durch sein stän­di­ges Au­fund­ab­ge­hen ner­vös zu ma­chen.

      Bei die­sem Mor­gen­spa­zier­gang, der von zehn bis elf Uhr dau­er­te, sang Dr. Reich­hardt vor sich hin. Meist summ­te er nur ganz lei­se, denn vie­len Auf­se­hern war kaum et­was Gu­tes zu­zu­trau­en, und Quan­gel hat­te sich dar­an ge­wöhnt, die­sem Sum­men zu lau­schen. So we­nig er auch von der Mu­sik hal­ten moch­te, er merk­te doch, dass die­ses Sum­men ihn be­ein­fluss­te. Manch­mal mach­te es ihn mu­tig und stark ge­nug, je­des Schick­sal zu er­tra­gen, dann sag­te Reich­hardt wohl: »Beetho­ven«. Und manch­mal mach­te es ihn auf eine un­be­greif­li­che Art leicht und fröh­lich, wie er es nie in sei­nem Le­ben ge­we­sen war, dann sag­te Reich­hardt: »Mo­zart«, und Quan­gel wuss­te nichts mehr von sei­nen Sor­gen. Und wie­der­um kam es dun­kel und schwer von des Dok­tors Mun­de, dann war es manch­mal wie ein Schmerz in Quan­gels Brust und wie­der, als säße er als Jun­ge mit sei­ner Mut­ter in der Kir­che: das gan­ze Le­ben lag noch vor ihm, und das war et­was Gro­ßes. Reich­hardt aber sag­te: »Jo­hann Se­bas­ti­an Bach«.

      Ja, Quan­gel, der im­mer wei­ter we­nig von der Mu­sik hielt, konn­te sich doch nicht ganz ih­rem Ein­fluss ent­zie­hen, so pri­mi­tiv das Sin­gen und Sum­men des Dok­tors auch war. Er ge­wöhn­te sich dar­an, auf ei­nem Sche­mel sit­zend, ihm zu lau­schen, wie er dort auf und ab ging, meist ge­schlos­se­nen Au­ges, denn die Füße kann­ten den schma­len, kur­z­en Zel­len­weg. Quan­gel sah dem Mann ins Ge­sicht, die­sem fei­nen Herrn, mit dem er drau­ßen in der Welt nicht ein Wort zu re­den ge­wusst hät­te, und manch­mal ka­men ihm Zwei­fel, ob er denn sein ei­ge­nes Le­ben wohl auf die rich­ti­ge Art ge­führt hät­te, ge­trennt von al­len an­de­ren, ein Le­ben selbst­ge­woll­ter Ve­rein­ze­lung.

      Der Dr. Reich­hardt sag­te auch manch­mal: »Wir le­ben nicht für uns, son­dern für die an­de­ren. Was wir aus uns ma­chen, ma­chen wir nicht für uns aus uns, son­dern nur für die an­de­ren …«

      Ja, es war kein Zwei­fel: über die fünf­zig hin­aus, ge­wiss ei­nes na­hen To­des, wan­del­te sich Quan­gel noch. Er sah es nicht ger­ne, er wehr­te sich da­ge­gen, und doch merk­te er im­mer stär­ker, dass er sich wan­del­te, nicht nur durch die Mu­sik, son­dern vor al­lem durch das Bei­spiel des sum­men­den Man­nes. Er, der sei­ner Anna so oft den Mund ver­bo­ten hat­te, der Stil­le um sich für den er­stre­bens­wer­tes­ten Zu­stand hielt, er er­tapp­te sich da­bei, dass er sich da­nach sehn­te, der Dr. Reich­hardt möge doch end­lich ein­mal das Buch aus der Hand le­gen und wie­der ein Wort zu ihm spre­chen.

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