Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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»Da habe ich meine Karten geschrieben.«
»Und früher, als noch kein Krieg war?«
Quangel musste erst richtig überlegen, was er früher getan hatte. »Ja, ganz früher habe ich gerne geschnitzt.«
Und der Doktor sagte nachdenklich: »Tja, das werden sie uns freilich nicht erlauben: Messer. Wir dürfen den Henker doch nicht um seine Gebühren bringen, Quangel!«
Und Quangel, zögernd: »Wie ist das, Doktor, Sie spielen Schach immer mit sich allein? Man kann das doch auch zu mehreren spielen?«
»Ja, zu zweien. Hätten Sie Lust, es zu lernen?«
»Ich glaube, ich bin zu dumm dafür.«
»Unsinn! Wir wollen es gleich einmal versuchen.«
Und der Dr. Reichhardt klappte sein Buch zu.
So lernte Quangel noch das Schachspiel. Er lernte es zu seiner Überraschung sehr schnell und ohne alle Schwierigkeiten. Und er erfuhr wieder einmal, dass etwas, was er früher gedacht hatte, grundfalsch war. Er hatte es ein bisschen albern und kindisch gefunden, wenn er in einem Kaffeehause gesehen hatte, wie zwei Männer Holzstückchen zwischen sich hin und her schoben, er hatte es Zeit totschlagen genannt, etwas für Kinder.
Nun erfuhr er, dass dies Hin- und Herschieben von Hölzchen auch etwas wie Glück geben konnte, eine Klarheit im Kopf, die tiefe, ehrliche Freude über einen schönen Zug, die Entdeckung, dass es sehr wenig darauf ankam, ob man gewann oder verlor, dass vielmehr die Freude an einer schön gespielten verlorenen Partie weit größer war als die über ein Spiel, das er durch einen Fehler des Doktors gewonnen hatte.
Wenn jetzt der Dr. Reichhardt las, saß Quangel ihm gegenüber, das Schachbrett mit den schwarzen und weißen Figuren vor sich, daneben den Reclam-Band: Dufresne, Lehrbuch des Schachspiels, und er übte sich in Eröffnungen und Endspielen. Später ging er zum Nachspielen ganzer Meisterpartien über, sein klarer, nüchterner Kopf behielt mühelos zwanzig, dreißig Züge, und schnell kam der Tag, da er der überlegene Spieler war.
»Schach und matt, Herr Doktor!«
»Da haben Sie mich also wieder drangekriegt, Quangel!«, sagte der Doktor und neigte seinen König grüßend vor dem Gegner. »Sie haben das Zeug zu einem sehr guten Spieler in sich.«
»Ich denke jetzt manchmal, Herr Doktor, zu was allem ich wohl das Zeug in mir habe, von dem ich früher nichts wusste. Erst seit ich Sie kenne, erst seitdem ich zum Sterben in diesen Zementkasten gekommen bin, erfahre ich, wie viel ich in meinem Leben doch verpasst habe.«
»Das wird jedem so gehen. Jeder, der sterben muss, und vor allem jeder, der wie wir vor seiner Zeit sterben muss, wird sich über jede vertrödelte Stunde seines Lebens grämen.«
»Aber bei mir ist es doch noch ganz anders, Herr Doktor. Ich hab immer gedacht, es ist genug, wenn ich mein Handwerk ordentlich tue und nichts verlumpe. Und nun erfahre ich, ich hätte noch ’ne ganze Menge andere Dinge tun können: Schach spielen, nett zu den Menschen sein, Musik hören, ins Theater gehen. Wirklich, Herr Doktor, wenn ich vor meinem Sterben noch einen Wunsch äußern dürfte, ich möchte Sie mal mit Ihrem Stöckchen in so einem großen Symphoniekonzert sehen, wie Sie’s nennen. Ich bin neugierig, wie das aussieht und wie es auf mich wirken würde.«
»Keiner kann nach allen Richtungen leben, Quangel. Das Leben ist so reich. Sie würden sich zersplittert haben. Sie haben Ihre Arbeit getan und sich immer als ganzer Mann gefühlt. Als Sie noch draußen waren, hat Ihnen nichts gefehlt, Quangel. Sie haben Ihre Postkarten geschrieben …«
»Aber sie haben doch nichts genützt, Herr Doktor! Ich habe gedacht, es haut mich hin, wie der Kommissar Escherich mir beweist, dass von 285 Karten, die ich geschrieben, 267 in seine Hände geraten sind! Nur 18 nicht erwischt! Und diese 18 haben auch nichts gewirkt!«
»Wer weiß? Und Sie haben doch wenigstens dem Schlechten widerstanden. Sie sind nicht mit schlecht geworden. Sie und ich und die vielen hier in diesem Hause und viele, viele in anderen festen Häusern und die Zehntausende in den KZs – sie widerstehen alle noch, heute, morgen …«
»Ja, und dann wird uns das Leben genommen, und was hat dann unser Widerstand genützt?«
»Uns – viel, weil wir uns bis zum Tode als anständige Menschen fühlen können. Und mehr noch dem Volke, das errettet werden wird um der Gerechten willen, wie es in der Bibel heißt. Sehen Sie, Quangel, es wäre natürlich hundert Mal besser gewesen, wir hätten einen Mann gehabt, der uns gesagt hätte: So und so müsst ihr handeln, das und das ist unser Plan. Aber wenn ein solcher Mann in Deutschland gewesen wäre, dann wäre es nie zu 1933 gekommen. So haben wir alle einzeln handeln müssen, und einzeln sind wir gefangen, und jeder wird für sich allein sterben müssen. Aber darum sind wir doch nicht allein, Quangel, darum sterben wir doch nicht umsonst. Umsonst geschieht nichts in dieser Welt, und da wir gegen die rohe Gewalt für das Recht kämpfen, werden wir am Schluss doch die Sieger sein.«
»Und was werden wir davon haben, da unten in unsern Gräbern?«
»Aber, Quangel! Möchten Sie denn lieber für eine ungerechte Sache leben als für eine gerechte sterben? Es gibt doch gar keine Wahl, weder für Sie noch für mich. Weil wir sind, die wir sind, mussten wir diesen Weg gehen.«
Lange schwiegen sie.
Dann fing Quangel wieder an: »Dieses Schachspiel …«
»Ja, Quangel, was ist damit?«
»Ich denke manchmal, ich tue unrecht damit. Viele Stunden habe ich nur das Schach im Kopf, und ich habe doch noch eine Frau …«
»Sie denken genug an Ihre Frau. Sie wollen stark und mutig bleiben; alles, was Sie stark und mutig erhält, ist gut, und was Sie schwach und zweiflerisch macht wie Grübeln, ist schlecht. Was nützt Ihrer Frau das Grübeln? Ihr nützt, wenn der Pastor Lorenz ihr wieder einmal sagen kann, dass Sie stark und mutig sind.«
»Aber er kann, seit sie diese Zellengenossin hat, nicht mehr offen mit ihr sprechen. Der Pastor hält das Weib auch für eine Spionin.«
»Der СКАЧАТЬ