Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Der Alte ist verzweifelt. Er sagt: »Die Mutter wird das nie zugeben, das mit der Entmündigung, und dass ich ewig hierbleibe!«
»Na, so ewig wird’s gar nicht werden, wie du jetzt aussiehst!« Baldur lacht und schlägt die Beine mit den schön gebeutelten Reithosen übereinander. Zufrieden betrachtet er den – von der Mutter erzeugten – Glanz seiner Stiefel. »Und Mutter hat solche Angst vor dir, die weigert sich ja sogar, dich zu besuchen. Denkst du, Mutter hat vergessen, wie du sie beim Halse gehabt und gewürgt hast? Das vergisst dir Mutter nie!«
»Dann schreibe ich an den Führer!«, rief der alte Persicke aufgebracht. »Der Führer lässt einen alten Kämpfer nicht im Stich!«
»Was bist du denn dem Führer noch nutze? Der Führer schert sich einen Dreck um dich, der wirft nicht einen Blick auf dein Geklaue! Außerdem kannst du mit deinen alten, zittrigen Säuferhänden gar nicht mehr schreiben, und außerdem lassen die hier gar keinen Brief von dir raus, dafür werde ich sorgen! Schade um das Papier!«
»Baldur, habe doch Erbarmen mit mir! Du bist doch mal ein kleiner Junge gewesen! Ich bin doch sonntags mit dir spazieren gegangen. Weißt du noch, wie wir mal auf dem Kreuzberg waren, und das Wasser lief so schön rosa und blau? Ich hab dir immer Würstchen und Bonbons gekauft, und als du damals mit elf Jahren die Geschichte mit dem kleinen Kind angestellt hattest, da habe ich dafür gesorgt, dass du nicht von der Schule flogst und in Zwangserziehung kamst! Was wärst du ohne deinen ollen Vater, Baldur? Und nun darfste mich auch nicht in dieser Klapsmühle stecken lassen!«
Baldur hatte sich diesen langen Erguss, ohne eine Miene zu verziehen, angehört. Nun sagte er: »Also jetzt willst du auf die Gefühlstube drücken, Vater? Finde ich ganz tüchtig von dir. Bloß so was wirkt bei mir nicht, das müsstest du doch wissen, dass ich mir aus Gefühlen nichts mache! Gefühle – eine richtige Schinkenstulle ist mir lieber als alle Gefühle! Aber ich will nicht so sein, ich will dir noch ’ne Zigarette schenken – allez hopp!«
Aber der Alte war zu aufgeregt, um jetzt an Rauchen zu denken. Die Zigarette fiel – zum neuen Ärger Baldurs – unbeachtet auf den Boden.
»Baldur!«, flehte der Alte wieder. »Du weißt nicht, was dies für ein Haus ist! Hier lassen sie einen verhungern, und immer schlagen einen die Pfleger. Und die anderen Kranken schlagen mich auch. Ich hab so zittrige Hände, ich kann mich nicht wehren, und dann nehmen sie mir das bisschen Essen auch noch weg …«
Während der Alte so flehte, hatte Baldur sich zum Fortgehen fertiggemacht, aber sein Vater klammerte sich an ihn, er hielt den Sohn fest und fuhr immer eiliger fort: »Und es kommen noch viel schrecklichere Dinge vor. Manchmal gibt der Oberpfleger den Kranken, die ein bisschen laut waren, eine Spritze mit so ’nem grünen Zeug, ich weiß nicht, wie es heißt. Und davon müssen die Leute immerzu kotzen, sie kotzen sich die Seele aus dem Leibe, und plötzlich sind sie weg. Mausetot, Baldur, du wirst doch nicht wollen, dass dein Vater so stirbt, indem er sich die Seele aus dem Leibe kotzt, dein eigener Vater! Baldur, sei gut, hilf mir! Nimm mich hier raus, ich habe solche Angst!«
Aber Baldur Persicke hatte sich jetzt lange genug dieses Geflenne angehört. Er machte sich von dem alten Persicke gewaltsam los, drückte ihn in einen Sessel und sagte: »Na, dann mach’s gut, Vater! Ich werde die Mutter von dir grüßen. Und denke daran, dass da am Tisch noch eine Zigarette liegt. Wäre ja schade darum!«
Damit ging dieser echte Sohn eines echten Vaters, beide echte Produkte hitlerischer Erziehung.
Baldur aber verließ noch nicht die Trinkerheilanstalt, sondern er ließ sich bei Herrn Oberarzt Dr. Martens melden. Er hatte auch Glück, der Oberarzt war sowohl da wie auch zu sprechen. Er begrüßte seinen Besucher höflich, und einen Augenblick sahen sich die beiden vorsichtig musternd an.
Dann sagte der Oberarzt: »Wie ich sehe, sind Sie auf der Napola, Herr Persicke, oder irre ich mich?«
»Nein, Herr Oberarzt, ich bin auf der Napola«, antwortete Baldur stolz.
»Ja, heute geschieht für unsere Jugend allerhand«, meinte der Oberarzt, beifällig nickend. »Ich wollte, ich hätte in meiner Jugend auch solche Förderung erfahren. Sie sind noch nicht zum Kriegsdienst eingezogen, Herr Persicke?«
»Mit dem üblichen Kommiss werde ich wohl verschont werden«, sagte nachlässig-verächtlich Baldur Persicke. »Ich werde wohl irgendein großes ländliches Gebiet zur Verwaltung bekommen, Ukraine oder Krim. Ein paar Dutzend Quadratkilometer.«
»Ich verstehe«, nickte der Arzt. »Und Sie erwerben jetzt die notwendigen Kenntnisse dafür?«
»Ich entwickele meine Führereigenschaften«, erklärte Baldur schlicht. »Für alle Fachgeschichten werde ich untergeordnete Kräfte haben. Aber ich werde die Leute unter Dampf halten. Und die Iwans werde ich schleifen. Es gibt viel zu viel von denen!«
»Ich verstehe«, nickte wieder Dr. Martens. »Der Osten ist unser künftiges Siedlungsgebiet.«
»Jawohl, Herr Oberarzt, in zwanzig Jahren wird bis an die Küsten des Schwarzen Meeres, bis an den Ural kein Slawe mehr leben. Alles wird ein rein deutsches Land sein. Wir sind die neuen Ordensritter!«
Baldurs Augen hinter der Brille blitzten.
»Und das werden wir alles dem Führer zu verdanken haben«, sagte der Oberarzt. »Ihm und seinen Getreuen!«
»Sie sind in der Partei, Herr Doktor Martens?«
»Leider nicht. Die Wahrheit zu gestehen, ein Großvater von mir hat eine Torheit begangen, der bekannte kleine Webfehler, Sie wissen?« Und eilig fortfahrend: »Aber die Sache ist beigelegt und geordnet, meine Chefs sind für mich eingetreten, ich gelte als reiner Arier. Ich möchte sagen: ich bin es. In Kürze hoffe ich auch, das Hakenkreuz tragen zu dürfen.«
Baldur saß sehr gerade. Als reiner Arier fühlte er sich seinem Gegenüber weit überlegen, der solche Hintertreppen brauchte. »Ich wollte mit Ihnen wegen meines Vaters reden, Herr Oberarzt«, sagte er, fast im Tone eines Vorgesetzten.
»Oh, mit СКАЧАТЬ