Alle guten Geister…. Anna Schieber
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Название: Alle guten Geister…

Автор: Anna Schieber

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066112202

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      Da kamen die Buben an, und bekamen, mitten in der Woche, frische Hemden, und wurden mit den Sonntagsanzügen bekleidet. Und Jungfer Liese ging geschäftig hin und her und steckte ihnen noch ein Extrataschentuch ein. „Ihr werdet’s brauchen,“ sagte sie.

      Dann gingen sie zur Bahn und wagten alle drei nicht umzusehen auf der Straße und gingen ungelenk dahin, wie Leute tun, die sich beobachtet fühlen. Denn unter den Türen der Werkstätten, und auf den Hausstaffeln, und unter den Fenstern erschienen die Nachbarn und stießen einander an und flüsterten vernehmlich: „Da gehen sie. Es ist eine Erlösung. Es ist eine Wohltat, daß die Frau stirbt. Aber hinreisen? Da können sie etwas Schönes erleben. Nicht für hundert Mark in so ein Haus.“ Und die andern sagten: „Da können sie nicht anders. Es stirbt eins nur einmal.“

      Durch das Getuschel hindurch gingen die drei, mit verlegenen Gesichtern, und waren froh, als sie in der Bahn saßen.

      Sie sprachen unterwegs nicht viel miteinander. Hie und da fing einer der Buben etwas an. Aber der Vater gab nicht recht Antwort. Wie mochte sie aussehen, seine Frau? Was konnte sie mit ihm reden wollen? Er hatte sie einst gern gehabt; sie war ein feines, blühendes Mädchen und eine fleißige, rührige, mütterliche junge Frau gewesen. Aber als das Unglück geschah und dann die Krankheit kam, ja, er hatte ihr wohl so ein bißchen Vorwürfe gemacht damals; („das hätte ein anderer auch getan,“ dachte er), da hatte er nichts mehr mit ihr anzufangen gewußt. Seitdem war sie ihm wie gestorben. Und nun lebte sie noch einmal auf und wollte mit ihm reden.

      Das ging rundum mit ihm. Da konnte er nicht auf die Fragen seiner Söhne hören.

      Und als, kurz vor dem Eintritt durch das eiserne Tor, schon das Haus mit den Gitterfenstern vor Augen, Franz seinen Rockflügel ergriff und sagte: „Könnte ich nicht lieber draußen warten? Ich, ich möchte lieber nicht mit hinein,“ da kam es ihm vor, als ob die Kinder doch wohl nicht recht auf den Besuch bei ihrer Mutter vorbereitet seien.

      Und er wollte noch rasch seiner Pflicht Genüge tun, als Mann und Vater, und gab seinem Lieblingssohn, obgleich er ihm seinen Wunsch mehr als nur nachfühlen konnte, eine Ohrfeige, daß ihm der Hut aufs Pflaster fiel, und sagte: „Was? Draußen bleiben? Das könnte dir passen. Du gehst mit hinein, sag’ ich und besuchst deine Mutter, wie sichs gehört. Bleib’ ich vielleicht draußen?“ Und er fühlte sich nach dieser Tat und Rede sicherer und erhobener als zuvor.

      Da schritten sie miteinander durch das Tor und gingen über Treppen und lange Gänge, und hörten unterwegs allerlei Töne, die sie nicht verstanden und die ihnen Herzklopfen machten, weil sie nicht wußten, von welcherlei Wesen sie kamen. Und dann tat sich ihnen eine Tür auf; helles Licht kam durch das breite, geöffnete Fenster in den Raum, den sie betraten; und Georg Ehrensperger, der Jüngste, der von allen Dreien am meisten mit Herz und Sinnen dabei war, dachte mit Staunen, daß Meister Nössel, der Flickschneider auf dem Turm, nichts Rechtes gewußt habe.

      Denn er hatte gesagt, daß die Mutter im Dunkeln sitze und warten müsse, bis ihr Gott das Licht wieder anzünde.

      Und hier war helles Licht.

      Oder? Oder war das bereits wieder angezündet?

      Aber es war helles, gewöhnliches Tageslicht, solches, in dem alle Menschen wandeln. Es war gar nichts Absonderliches dabei.

      Auch die Frau, die in den weißen Kissen ruhte und ihnen entgegensah, war weder so besonders schön noch so besonders schrecklich, wie das abendliche Phantasiegebild, das die Stelle einer Mutter bei ihm vertreten hatte, wechselsweise gewesen war.

      Sie hatte ein weißes, sanftes Gesicht, und Augen, in denen das ganze Leben zusammengedrängt schien, suchende, bittende, hungrige Augen; man wußte nicht, ob sie lachen oder weinen, sich fürchten oder sich freuen wollten. Es war wohl das alles miteinander, und löste sich in raschem Wechsel in ihrer Seele ab. Sie hatte gescheiteltes Haar; links und rechts hing ihr eine Flechte davon über die Schulter und lag auf ihrer Brust, blond und silbern gemischt und verlor sich unter der Bettdecke.

      Die Hände hatte sie schwer auf der Decke liegen; da hob sie mit Mühe eine davon zum Willkomm, und ließ sie wieder fallen. „Da seid ihr,“ sagte sie. „Das seid ihr? ach!“ Denn sie hatte kleine, zwei- und vierjährige Kinder verlassen. Die waren ihr wieder ans Herz getreten, als ihr Ich zu sich selber kam. Nun standen ein paar sonnverbrannte, halbwüchsige Buben an ihrem Bett, und traten näher, als ihnen ihr Vater einen kleinen Puff von hinten her gab, und machten verlegene Gesichter.

      „Grüß Gott,“ sagte der Kleinere und sah sie so von unten herauf an. Da fand er, daß hier nichts zu fürchten sei, und daß er schon lang mit dieser Frau zusammengelebt habe, irgendwie und wo. Und auch, daß sie sowohl mit Frau Judith, als mit der Rektorin Cabisius irgend eine Ähnlichkeit habe; er besann sich nicht, welche, er fühlte sie nur. Vor denen aber war er längst nicht mehr scheu. Da war er es auch vor ihr nicht mehr. „Ich glaube doch,“ sagte er später, als er sich selbst besser verstand, „ich glaube doch, daß mir damals einen Tag lang meine Mutter gehört hat, wie eine Mutter ihrem Kind gehört, und ich auch ihr.“

      Denn es währte an jenem Tag nicht lange, da saß Georg auf dem Bettrand und hatte seine rauhe Bubenhand in die feine, weiße, heiße Hand seiner Mutter geschoben. Und sie holte die eine und andere Frage aus sich heraus, Fragen, wie ein Kind sie tut, und sah ihn an, als trinke sie etwas Langentbehrtes, Frisches aus seinem Gesicht und aus seinen Reden.

      Der Bäcker Ehrensperger war froh, daß er nicht viel zu sagen brauchte. Sie waren Beide etwas hilflos, als sie versuchen wollten, einander ein Wort zu sagen. Die Frau bekam einen Augenblick eine heiße Röte in die Wangen; er war ihr fremd geworden, er war wohl nie so recht ein Teil ihres Wesens gewesen. Da setzte er sich auf einen Stuhl, der am Fenster stand und sah mit Erleichterung, daß Georg die Sache in die Hand nahm. Er ertappte sich nach einer Weile darauf, daß er die Daumen umeinander drehte. Das war ihm so zur Gewohnheit geworden; so oft er in Ruhe dasaß, tat er so. Da hörte er erschreckt auf; es war wohl nicht passend heute. Aber nach ein paar Minuten fing er wieder an. Die Uhr auf dem Türmchen, das zwischen den Bäumen herausblickte, zeigte auf ein Uhr. Da stand er auf und sagte, er wolle mit den Kindern gehen, etwas zu essen. Franz griff nach seinem Hut, er war mehr als Georg Fleisch von seines Vaters Fleisch; er wußte hier auch nicht recht etwas anzufangen. Georg rührte sich nicht. „Laß mich da,“ sagte er. Da leuchtete aus den Augen der blassen Frau ein Strahl, als ob ein helles Licht sich darin spiegele, und sie drückte in ihrer Schwachheit leise die Kinderhand, als ob sie sie festhalten wolle für immer. Ihre Gedanken gingen wohl nicht weit hinaus. Jetzt war immer.

      Da ließen sie ihn sitzen und gingen.

      Sie kamen lang nicht wieder.

      Als sie wiederkamen, hatte Georg eine kleine Mundharmonika an den Lippen, die er meist in der Tasche bei sich trug. Er blies darauf, weich und sachte, als ob er fühle, daß hier herein keine lauten Töne paßten. Es war keine eigentliche Melodie, es war nur so ein Tonreigen, nicht tonreicher, als das Geplätscher eines Bächleins ist. Aber sie waren froh dabei, beide.

      „Willst du wohl?“ sagte der Vater, „das fehlte noch, Musik machen.“

      Da lächelte die Kranke. „Nein, laß ihn,“ sagte sie, freier als zuvor, „er hat mir gesagt, daß er etwas werden will, bei dem man Musik machen kann. Laß ihn.“

      Dann sah sie aus, als ob sie einschlafen wollte.

      Georg hielt ihre Hand und fühlte, wie die Pulse in den Fingerspitzen pochten, als ob das Leben überall da innen gegen die Wände stieße und heraus wolle. Und einmal klopfte es hart und stark unter der leichten Decke der Mutter, „klopf, klopf, klopf.“

      „Mutter, СКАЧАТЬ