Alle guten Geister…. Anna Schieber
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Название: Alle guten Geister…

Автор: Anna Schieber

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066112202

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      Nein, sie kannten Mina nicht. Sie waren nun zwölf und dreizehn Jahre alt, hatten schon vieles gelernt und hatten den starken Trieb, noch viel mehr zu lernen, und hätten am liebsten eines immer dasselbe gelernt, was das andere lernte, obgleich das ja nicht so durchzuführen war.

      Sie hatten auch schon von Mozart gehört, wenn auch nicht allzuviel. Aber noch fragten sie nicht viel danach, wer die und jene Musik geschaffen habe. Es mußte nur klingen und singen, das war die Hauptsache.

      Es wurde auch rasch vollends dunkel, darum gingen sie nun wieder, hielten einander an der Hand und gingen auf der breiten Landstraße ins Städtchen hinein.

      Meister Hollermann saß wieder am Fenster und flötete. Es war jetzt ein leises, weiches Getön. Vielleicht dachte er dabei an Mina und wie sie mit glänzenden Augen neben ihm gesessen hatte jenes einzige Mal, da sie miteinander so im Reich der Töne waren.

      Oder vielleicht sah er in die ziehenden Abendwolken und fragte, wohin ihr Geist gegangen sei, damals, als sie an einem schönen Juniabend, einem Abend wie heut, für immer ihre Bügelstähle und ihre Kundenwäsche, ihre kleine trauliche Stube und ihn selbst, der sie so liebte, verlassen hatte.

      Die Kinder wußten das nicht. Aber Georg stand plötzlich still und sagte: „ich will noch ein wenig horchen“ und es half nichts, daß Gertrud vor Ungeduld trippelte. Er hatte die Hände in den Taschen und horchte.

      **

       *

      Das war das erste Mal gewesen.

      Von da an war der alte Hollermann hie und da genötigt, etwas von dem herauszugeben, was ihn innerlich bewegte.

      Er war viel gewandert in seinem Leben, weit umher. Viel erworben hatte er sich nicht. Gerade genug, um das kleine, windschiefe Häuschen kaufen zu können und darin die Korbmacherei zu betreiben. Er flickte die Waschkörbe der Bürgersfrauen und die Marktkörbe der Bauernweiber, und flocht aus Weiden Tragkörbe für die Weingärtner und was so mehr des ländlichen Bedarfs war.

      Dabei konnte er die Bilder der weiten Welt an sich vorbeiziehen lassen. Einmal, zu Minas Zeiten, war Aussicht gewesen, daß er sich, wie die Putzmacherin Maute, des Aufschwungs befleißigen werde. Damals lag ihm an einem freundlichen Nest und an Brot für sie beide. Nachher, als sie gestorben war, hatte er keinen solchen Antrieb mehr. Da wurde er mehr und mehr einer der Horchenden. Er ging so still für sich hin. Und als er’s einzurichten wußte, kehrte er in die Heimat zurück und spann sich da in eine eigene, stille und doch belebte Welt ein. Wer konnte wissen, was alles seine schweigsame Seele füllte?

      Es war eine kleine Gemeinde von Pietisten im Städtchen. Und weil dabei fromme, eingezogene Leute waren, die sich versammelten, um miteinander übers Evangelium zu reden, so ging er auch hin, denn ihn verlangte nach Gemeinschaft. Aber er sprach nicht ihre Sprache. Sie hatten alle Worte der Bibel so schön genau zurechtgelegt und nun redeten sie über die tiefen Geheimnisse, die in der Offenbarung des Johannes stehen und es war ihnen alles so klar, daß kaum noch etwas zu fragen blieb. Da wurde er noch einsamer; und als sie sagten, nun solle er auch reden, da schüttelte er leise den Kopf.

      Der junge Zimmermann Dieterle, der dabei war, der sagte, wenn er darauf zu sprechen kam, daß seine Augen wie in eine unergründliche Tiefe gesehen hätten, „und,“ sagte er, „ich hätte wissen mögen, was er sah, aber er fand das Wort nicht.“

      Von da an ging er allein dahin, wenn er nicht hie und da auf den Turm stieg zu seinen alten Freunden, dem Turmwächter und der Frau Judith. Er war aber freundlich gegen alle, die ihm nahe kamen, und nächtigte einmal zwei Handwerksburschen in seinem Bett. Da brachte er die eine Hälfte der Nacht am Tisch sitzend über einem alten Buch zu, und sah die andere Hälfte lang zum Fenster hinaus nach den Sternen und nach dem Kommen des Morgens. Nun kam, wenige Tage nach jenem Samstagabend, an dem er den beiden Kindern die Flöte geblasen hatte, der lang aufschießende Knabe mit dem schmalen Gesicht und den hungrigen Augen vor seine Tür, diesmal ohne Gertrud. Die saß daheim und hatte Handarbeitsstunde bei ihrer Großmutter. Hollermann hörte ein kleines Geräusch am Fenster, dann an der Stubentür. Und als er, in Strümpfen, denn so saß er an der Arbeit, hinging und öffnete, da prallte der Kopf mit dem dunklen Haarbusch vom Schlüsselloch zurück, an das er sich horchend gelegt hatte. Dunkelrot wurde der Knabe und sagte verwirrt und stotternd: „ich, ich wollte — ich habe hier eine Flöte.“ Da zog ihn Meister Hollermann mit sich hinein.

      Es war eine alte, verstaubte Flöte mit grünspanigen Klappen, die Georg in Papier gewickelt unter dem Arm trug. Er hatte sie in einer Bodenkammer gefunden und sie tönte ihm in Gedanken nun fort und fort so lieblich, tönte ihm in der Schule in die Geschichte des Hannibal hinein, tönte beim Vesper zu den Lauten der Jungfer Liese, die an sich gar keine Ähnlichkeit mit Musik hatten, tönte, tönte, bis er nun hier stand und sagte, als ob er vor dem König stände und um die Hälfte seines Landes bäte: „wenn Sie mir zeigen täten, wie man’s macht.“ Das Übrige sagte sein flehendes Bubengesicht.

      Nun studierten sie miteinander, daß es eine Art hatte. Das machten sie so: Georg hatte die Melodien im Kopf, die er von der Schule und Kirche her kannte und die er etwa auf der Straße hörte. Die pfiff er seinem Lehrer vor, worauf dieser sie auf die Flöte übertrug, was dann hinwiederum Georg so lange nachprobierte, bis er die Melodie richtig heraus hatte.

      Das trieben sie eine ganze Weile und vergnügten sich sehr damit. „Bub,“ sagte der alte Hollermann, „du lernst das besser als ich. Daran ist nicht zu drehen. Ich hab’s in mir drin, das hab’ ich. Aber ich kann’s nicht so von mir geben. Ich hab’ schon gedacht, nachher einmal, in einer andern Welt, da könn’ ich das vielleicht.

      Was mein Großvater war, der Schäfer Hollermann, der wußte eine Geschichte von einem Geiger. Der zog herum und wollte das schönste Lied spielen lernen, das es gibt.

      Da ging er zu den Vögeln in den Wald und horchte und horchte. Das konnte er bald. Er konnte geigen, daß man die Amseln und die Finken und Drosseln heraushörte.

      Aber das war ihm noch nicht schön genug. Da horchte er auf den Wind. Was konnte der für Lieder singen. Ganz leise, feine, daß man die Blätter an den Bäumen rascheln hörte und die Ähren hin und her schwanken. Und dann starke und frohe, weißt du? so, wie es tönt, wenn der Frühling kommt. Und die ganz wilden, wo sich die Eichen biegen, wenn der Sturm durch sie hinfährt.

      Das lernte er auch nachspielen. Da zog er weiter, denn er wußte, daß ihm noch viel fehle. „Und,“ sagte er, „eher will ich nicht aufhören, bis ich das schönste Lied von allen habe.“

      Das Wasserrauschen konnte er nachbilden, man glaubte die Wellen blinken zu sehen und die Bächlein rieseln zu hören.

      Und er spielte Hochzeitsreigen und Tanzlieder, und was die jungen Mädchen und Burschen singen, und Kirchenlieder. Und manchmal spielte er etwas, das kein Mensch verstand. Da mußte weinen, wer es hörte. Es war, als ob er etwas suche und das tat er auch. Er suchte das schönste Lied von allen; da hörte er hie und da einen Ton, aber er fand nie das Ganze.

      Darüber wurde er alt und grau und kam zu sterben. Er war aber ganz allein, denn, Georg, wer das will — aber das verstehst du noch nicht.

      Ja, und da klang es auf einmal irgendwo, und nun wußte er, daß dies das Lied sei, das einzige, das es gebe. Und er griff nach seiner Geige, und, so stark seine Hand zitterte, er konnte es doch spielen. Aber die Saiten zersprangen davon, eine nach der andern. Da starb er und das war auch ganz gut, denn sonst hatte er ja nichts gewollt. Und siehst du, darum denke ich, daß es einen Ort gibt, wo man das alles kann, was man in sich hat, weil es dem Geiger irgendwo her tönte, als er schon im Sterben lag. Und weil ihm die Seiten sprangen, als er es zu spielen versuchte, darum denke ich, СКАЧАТЬ