Alle guten Geister…. Anna Schieber
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Читать онлайн книгу Alle guten Geister… - Anna Schieber страница 8

Название: Alle guten Geister…

Автор: Anna Schieber

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066112202

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СКАЧАТЬ zu seinen Lateinern.

      Er hatte vorhin seine Enkelin unter der horchenden Jugend entdeckt. Sie war mit großen Augen in dem Schwarm gestanden, die Hände auf dem Rücken, und hatte den Tönen nachgespürt, wie sie so unbegreiflich aus dem braunen Kasten kamen, eine Welle nach der andern. Da hatte er ihr zugerufen; es war ein gutes Stück vom Hause weg: „Verlauf’ dich nicht, Gertrud, hörst du?“ Und sie hatte, wie erwachend, zu ihm hinaufgesehen und dann lachend den Kopf geschüttelt. „Verlaufen? Nein, nur noch ein Stückchen mit dem Mann.“

      Da war er zufrieden gewesen. Sie war fünf Jahre alt damals, und ein festes, stämmiges, kleines Mädchen. Sie stand so wacker unter all’ den andern. Das freute ihn. Er dachte nicht, daß seine Frau unter der Haustür stehe und mit der Hand über den Augen Ausschau halte, bis das Kind sein Geldstück abgegeben habe und wieder komme, um dann, „als ein nettes Kind“ im Garten zu spielen. Er war so sorglos. Es fiel ihm gar nicht ein, eine Topfpflanze aus dem Kind zu machen, und es wurde denn auch keine, obgleich die Großmutter hie und da einen Anlauf nahm, wenigstens ein Honoratiorenkind zu erziehen.

      Die Drehorgel tönte ferner und ferner. Es hatten sich nur wenige Leute im Städtchen über die Musik, die sie hervorbrachte, geärgert, und diese Wenigen konnten nun aufatmen. Die andern, die sich gefreut hatten, nahmen ihre Arbeit wieder auf, und da und dort ging einem und dem andern noch eine der Melodien durch den Kopf. Draußen auf einem Grasrain setzte sich der Invalide nieder und begann das Geld, das in seiner Mütze lag, zu zählen. Da standen noch zwei Kinder vor ihm. Sie waren, jedes für sich, nicht bewußt miteinander, hinter ihm hergegangen, bis er hier anhielt. Das eine war ein Bub. Er hatte ein blasses, sommersprossiges Gesicht und ernsthafte Augen, die auf den Orgelkasten blickten, als könnten sie etwas aus ihm herausholen. „Ist es jetzt ganz aus? Ist nichts mehr da drin?“, fragte er und machte ein sehnsüchtiges Gesicht. Der Invalide lachte. „Hast du etwas?“ fragte er zurück. „Es ist schon noch etwas drin, aber nicht für nichts. Hast du Geld?“ Da schoß dem Buben das Blut ins Gesicht vor hilfloser Scham. Er wendete sich ab und suchte in seinen Taschen. Da kamen ein paar alte Brotrinden hervor, ein Stück Bindfaden und ein Stück farbiges Glas. Das Glas hielt er zögernd hin, ohne etwas zu sagen; vielleicht fand es Gnade vor dem Orgelmann, wann er es sah. Der lachte noch viel lauter. „Ha, ha,“ lachte er, „damit willst du mich wohl bezahlen? du Knirps! ha, ha, das ist gut. Du, das kann man nicht essen, das Glas.“ Da kamen dem Buben die Tränen. Er schämte sich so sehr und hätte so gerne noch etwas Musik gehört. Ganz voll Wasser standen seine Augen; da fuhr er sich mit dem Ärmel darüber und schluckte und schluckte. Das kleine Mädchen, das daneben stand, sah es. Es war auf eigene Faust hier heraus gekommen. Aber nun war es plötzlich ganz lebendig dabei. „Warum lachst du so, Mann?“ fragte es zornig. „Jetzt weint er, siehst du’s? Da, so nimm das Bildchen, es ist eine Rose drauf. Jetzt mach’ Musik, du mußt nur da herumdrehen, ich habs gut gesehen.“ Der Junge sah mit Staunen auf die Beschützerin, die ihm so unverhofft erwachsen war. Sie war nicht größer als er, aber viel kecker, so wie Kinder sind, deren fröhliche Zuversicht noch nirgends schmerzhaft beschnitten und zur Schüchternheit herabgedämpft ist. Da kam wieder ein wenig Lebensmut in seine Augen. Der Invalid lachte, daß es dröhnte. Aber es war ein wohlgefälliges Lachen. Mit der Faust schlug er auf die Drehorgel, da erhob sich ein leises Schwirren und Klingen darin. „Friß mich nicht, Kleines,“ sagte er. „Ich werd’ doch noch lachen dürfen. Wenn man bloß noch einen Arm hat und sich sein bißchen Notdurft muß zusammendudeln, und soll nicht einmal lachen dürfen. Was hat man denn sonst, he? Das sag’ mir.“

      Sie sah ihn groß an. Einer, der solche Musik machen konnte, und fragte so. „Wo ist dein anderer Arm?“ fragte sie. „Laß einmal sehen, unter dem Kittel.“

      „Der? liegt in Frankreich begraben,“ sagte er. „Dort liegt er und ich plage mich hier herum mit dem einen. Wenn das nicht zum Lachen ist, was denn sonst? Den hat mir eine Kugel weggerissen. Aber davon versteht ihr nichts. Oder, versteht ihr das, warum die Leute einander die Arme wegschießen und die Füße, und einander totschießen? Ich meine, Leute, die gar nichts von einander wissen, bloß so von Weitem her; bloß weil ihnen das einer befiehlt? He, versteht ihr das?“

      Nein, das verstanden sie nicht. Musik wollten sie hören; das andere, das war ihnen eine dunkle Sache. Arme und Beine wegschießen? Sie waren noch nicht sehr lang in der Gegend, das will sagen, auf der Welt. Es war da noch sehr viel Fremdes, das sie noch nicht kannten.

      „Ja so,“ sagte der Invalide. „Ja so, ja, ihr krieget noch ein Lied da heraus; heißt das, das Mädel kriegt eins. Du kannst dich in ein Mausloch hinein schämen, Bub, daß du dich hinstellst und heulst. So, angefangen. Aufgepaßt.“

      Da drehte er seinen Handgriff herum und drehte ein Lied heraus. Noch eins. „So, das gefällt euch wohl?“ sagte er, als die Beiden horchten, wie die Mäuse. Sie nickten nur. Es war wohl jetzt unwiderbringlich zu Ende? Denn der Invalide stand auf und hängte sich seinen Kasten um.

      „Da müßt ihr eben sehen, daß ihrs auch einmal so weit bringet, als ich,“ sagte er. „Das ist ein feines Leben, das könnt ihr glauben. Seht ihrs, ich habe die Taschen voll Brot. Was will man mehr? So weit könnt ihrs auch bringen.“

      „Wir haben daheim den ganzen Laden voll Brot und Wecken,“ sagte der Bub, „und noch Feinbackwerk, so viel, daß mans gar nicht zählen kann.“ Er hatte einen gewaltigen Anlauf dazu genommen, um auch etwas Rechtes zu sagen; da schoß er übers Ziel hinaus und protzte. Das hatte er nicht beabsichtigt.

      „Aber ich will auch Musik machen, wann ich groß bin, und dann mach ich so viel Musik, den ganzen Tag, und hör’ nicht immer gleich auf, wie du. Bis ich genug habe, so lang spiel’ ich.“ Da wurde er wieder rot. Denn der Orgelmann sah ihn so spöttisch an, daß er in seine vorige Verlegenheit zurückfiel.

      „So,“ sagte er. „Aha. Da ißt du dich zuerst dicksatt und dann, wenn du noch kannst, dann kommt die Musik dran. Aha. Da setzst du dich wohl an den Backofen dazu? Bis du genug hast, so lang tust du das alles? Du Teigprotz.“

      Ganz erstaunt sahen ihn die Kinder an. Da kam solch ein verbissener Grimm heraus. Sie faßten einander an der Hand. Sie verstanden nicht, daß behagliche Sattheit und ein geruhlicher Sitz in der Ofenwärme dem landfahrenden Mann ein Paradies war, in das er nie gelangen konnte, und daß seine Grobheit unwillige Bewunderung des Versagten sei. Es paßte nicht zu dem lustigen Gesicht, das der Invalid den ganzen Morgen gemacht hatte. Es war wie einer der schrillen, gellenden Nebenaustöne, die seine Orgel oft mitten in eine heitere Melodie hineinwarf. Aber die Kinder verstanden diesen Ton aus einer fremden, düsteren Welt nicht. Sie kehrten still um und ließen ihre Hände ineinander und sahen sich nur noch einmal schüchtern nach dem Mann um, wie er davonstapfte zwischen den hellbegrünten Hecken und immer noch den Kopf schüttelte und einmal mit dem Fuß aufstieß, daß der Kasten schütterte.

      „So, jetzt laß ihn,“ sagte Gertrud, da der Bub blaß und still neben ihr hertrottete. „Jetzt gehen wir heim; meine Großmutter wartet. Hast du auch eine Großmutter? Dann sagst du’s ihr, das von dem Mann.“

      „Nein,“ sagte er; „eine Großmutter? Nein.“

      Er war kein Prahlhans. Es war ein schüchternes Kind, und hatte allen Mut zusammengenommen, um sich auch an der Unterhaltung zu beteiligen. Die Musik und das kecke kleine Mädchen hatten ihn so kühn gemacht. Nun war er gewaltig aus dem Sattel geworfen.

      „Aber einen Großvater, das hast du doch?“ sagte Gertrud. Sie sagte es sehr eindringlich, denn es war ihr unbehaglich, zu fühlen, daß solch etwas durchaus Nötiges in irgend einem Leben fehle.

      „Nein,“ sagte der Bub noch einmal. „Einmal, da habe ich einen gehabt, aber das ist schon lang. Da war ich noch ganz klein. Der ist gestorben.“ Es war eine durchaus kühle Mitteilung.

      „Hm,“ sagte Gertrud, (das hatte sie von dem Rektor Cabisius aufgeschnappt), СКАЧАТЬ