Alle guten Geister…. Anna Schieber
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Название: Alle guten Geister…

Автор: Anna Schieber

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066112202

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СКАЧАТЬ wächst einem ein Baum im Magen. Der zersprengt einen, dann muß man sterben. Das sagt Frau Judith.“

      „Ach, immer mit eurer Frau Judith. Immer mit eurem Sterben.“ Franz war ein bißchen erschrocken. Da tat er ärgerlich: „Wenn ihr sonst nichts wißt.“

      „Die Mutter muß auch,“ sagte Georg. Das ging ihm heute so neben allem her. Nicht als Schmerz gerade. Er war jetzt zehn Jahre alt und als sie von ihren Kindern ging, in das dunkle Haus ihrer Seele, da war er erst zweijährig gewesen. Die paar schattenhaften Züge, die noch von ihr in seinem Herzen lebten, waren immer blässer geworden. Da hatte er angefangen, sich ein neues Bild von ihr zu schaffen; abends, wenn er im Bett lag. Das bekam von ihm alle schönen freundlichen, starken und liebenswerten Züge zugeteilt, die er irgend an andern Menschen sah. Aber auch die Menschen seiner Umgebung arbeiteten an dem Bild, und fügten traurige, mitleidenswerte, grausige und sogar schuldige Züge hinzu. Da mit einem Wort und dort mit einem. Das gab eine Mischung von Wonne und Grausen in die Gedankenwelt des kleinen Buben hinein. Es war nur ein Traumbild, das ihm sterben wollte. Aber es war ihm nun doch, als ob er nie mehr abends unter der Decke seine stillen Fäden in Furcht und Liebe zu diesem Bild hin spinnen könne. Es gab doch auch eine Leere. Er wußte nichts, das an dessen Stelle treten könne. Er konnte mit niemand davon reden; am Tag dachte er auch nur selten daran; nur heute ging der Gedanke so mit ihm. Darum fing er immer wieder davon an.

      „Das kann man noch nicht wissen,“ sagte sein Bruder Franz. „Wir müssen noch Kirschen brechen zum Heimbringen. Gib einmal den Korb herauf, Lore.“

      „Lore! Die schläft ja wohl?“ Nein, das tat sie nicht. Sie hatte sich aus den trockenen, harten Kirschen eine breite, prächtige Halskette gemacht, immer einen Stiel neben den andern mit rotem Garn gebunden. Die hatte sie nun umgehängt, gerade als sie gerufen wurde. Das mußte zuerst in Ordnung sein.

      „Da,“ sagte sie dann. „Nein, ich schlafe gar nicht. Guckt einmal. Bin ich nicht schön?“ Sie stellte sich auf die Fußspitzen und drehte sich einmal im Kreise.

      Doch, das war sie. Das sahen auch die anderen. Wie die roten, schimmernden Früchte um den weißen Hals lagen, der, gleich den Armen, entblößt war; wie die losen, rotblonden Haare auf das hellblaue Kleidchen fielen. Nein, sie wußten nicht so recht, warum Lore schön sei; sie fühlten es mehr. Sie war solch ein kleines, feines, leichtes Ding. Es tat nichts, daß sie in der Schule selten etwas recht konnte, und auch nicht, daß sie bei den Spielen immer zimpferlich tat. Sie mochten sie doch gern dabei haben. „Wißt ihr was?“ sagte Franz einmal, „zum Wegblasen ist sie. Wie Mehlstaub ist sie,“ sagte er und wählte den Vergleich aus seinem künftigen Handwerk, „man muß nur blasen, dann fliegt sie.“ „Nein,“ sagte Georg, „wie ein Löwenzahnstengel; wenn man bläst, fliegen die Samen hinaus, und so fliegt ihr Haar, aber Lore selber? Die steht doch fest auf den Füßen.“ Er war gründlicher, er konnte nicht recht solch ungenaue Vergleiche leiden.

      Franz sah von seinem hohen Sitz aus wohlgefällig auf Lore herunter. „Du Krott,“ sagte er. Das sollte eine Schmeichelei sein; so faßte sie es auch auf. Sie lachte vergnügt und hüpfte ein paar Schritte gegen den Abhang zu. Da sah man den steilen Weg hinunter und weit über das Tal hin. „O,“ rief sie und drehte den Kopf zurück, „da kommt Lude. Der rennt, was er kann. Jetzt ist er an den Staffeln. So rennt kein Mensch sonst den Berg herauf. O, jetzt verliert er seinen Schlappschuh. Schon wieder! Jetzt nimmt er beide in die Hand und läuft in den Strümpfen.“

      Lude war der Bäckerlehrling. Es war schon bemerkenswert, daß er es so eilig hatte, er gehörte im gewöhnlichen Leben nicht gerade zu den Hastenden. Er war klein und rund und sah meistens schläfrig aus. Er wollte sicher etwas anderes, als etwa Kirschen brechen.

      Ein paar mal stand er still und schnappte nach Luft, dann trabte er vollends weiter den steilen letzten Stich herauf. Nun kam er heran. „Was ist, Lude?“ Sie fragten alle miteinander. Da stieß er unter Pusten und Schnauben heraus: „Heimkommen sollet ihr. Aber schnell; was ihr laufen könnt. Ihr müsset verreisen. Es ist, es ist, da hin, wo, wo die Frau ist. Euer Vater hat schon seine schwarzen Hosen an; er geht auch mit.“

      Da waren sie schon vom Baum herunter und rannten davon. Keines von ihnen sagte ein Wort. Was war da zu sagen? Da war etwas zu erleben. Der Vater hatte die schwarzen Hosen an. Und sie sollten dorthin reisen; das war etwas Wirkliches, das war nicht mehr nur Gerede und ausgemaltes Phantasiewerk. „So wart doch, Georg,“ rief Gertrud, als sie den langen Sprüngen ihres Kameraden nicht mehr nachkam; „du rennst auch gar zu arg.“ Da blieb er stehen und sah sich um, aber nur einen Augenblick. „Du gehst ja doch nicht mit,“ sagte er, und dann rannte er weiter, bis ins Tal und bis nach Hause.

      Da hatte auch Gertrud ihr Erlebnis des Tages, das sie nicht vergaß. Da war eine Sache, das nur ihn anging, sie nicht, und die sie nicht mit ihm teilen konnte.

      Da hatte sie einen schweren Satz aus dem Katechismus des wirklichen Lebens zu lernen. Er handelte davon, daß kein Mensch dem andern überall hin folgen kann und daß man sich darin ergeben muß, zu Zeiten draußen zu stehen, während der andere, mit dem man gleichen Schritt halten möchte, drinnen im Haus ganz allein ein Stück weiter lebt, in Lust oder Leid, oder in Mühe, die beides in sich schließt.

      Sie lernte heute nur die äußeren Umrisse davon. Es war schon dafür gesorgt, daß sie später wieder und wieder daran zu lernen hatte. Es war auch für heute ganz genug. Das geht nicht nur so wie eine Kopfarbeit. Sie stampfte mit dem Fuß auf aus einem machtlosen inneren Grimm heraus. Und dann fing sie an zu laufen, daß die Röcke flogen. Nach Haus, nach Haus. Sie wollte nicht so allein zurückbleiben. Lore? ja, die stieg behutsam hintendrein; und oben im Kirschbaum saß Lude, der sich für die vorige Eile durch einen behaglichen Schlendrian und einen Schmaus bezahlt machen wollte. Aber sie war dennoch allein.

      Darum lief sie, was sie konnte, daß sie nach Hause kam.

      Der Bäcker Ehrensperger hatte nicht nur die schwarzen Hosen an, die dem Lude solchen Eindruck gemacht hatten, sondern auch die Weste und den Rock. Er sah unbehaglich und hilflos genug aus in diesem feierlichen Anzug, der ihm doch von Jungfer Liese als passend und erforderlich für die heutige Fahrt aufgenötigt war. An der Weste hatte sie findig das Rückenfutter auseinandergetrennt; das klaffte nun unter dem Rock; da schlossen vorn die Knöpfe über Brust und Bäuchlein. Aber der Rock. Der war nach allen Seiten hin zu eng. Vorne stand er weit offen. Aber am Rücken und an den Schultern verspürte der Mann ein beständiges Ziehen und Drücken. Ihm war, als knacke da und dort etwas. Das waren wohl die Nähte? Es war ihm unbehaglich zu Mute. Innerlich und äußerlich. Die Reise schuf ihm auch ein Mißbehagen. Er war nicht aufs Absonderliche, Tragische angelegt. Und dies hier war absonderlicher als alles, was er bisher erlebt hatte. Denn hin und her besehen, was sollte er dort? Er hatte immer unweigerlich bezahlt, was die Sache kostete. Aber, noch einmal, persönlich gefragt, was sollte er dort? Es war ihm unzweifelhaft unbehaglich zu Mut. Da war solch’ eine fremde, andersartige Welt; so eine gewisse, geistige Macht, eine düstere, tragische. Es war ihm, als sollte er mit Geistern aus dem Jenseits in Verbindung treten. Wie sollte er sich da benehmen? Was sollte er sagen? Er hätte gern einen tüchtigen Kuchen eingepackt und sich mit dieser Gabe von der persönlichen Verpflichtung gelöst, der er sich unterworfen fühlte. Aber das war ja wohl nichts. Wie hatte es in dem Eilbrief geheißen, der vor einer Stunde in den Vormittagsnicker des Meisters hereingefallen war?

      „Ihre Frau, von deren Krankheit Ihnen bereits Anzeige gemacht ist, hat, nicht ganz ungewöhnlicherweise, noch eine fast vollständige Klärung ihrer Sinne erlebt und verlangt in diesem wachen Zustand nach Mann und Kindern. Sollten Sie, wie anzunehmen ist, diesem Wunsch zu entsprechen gedenken, so wird es gut sein, dies unverzüglich zu tun, da die Kranke ihrer Auflösung in den nächsten vierundzwanzig Stunden entgegengeht.“

      Diesem Ruf war nicht zu entgehen. Den letzten Wunsch eines Sterbenden muß man erfüllen. Das wurzelt tief im Volk, im Menschen überhaupt. Es ist wohl die unbewußte Hochachtung vor der Majestät des СКАЧАТЬ