Alle guten Geister…. Anna Schieber
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Название: Alle guten Geister…

Автор: Anna Schieber

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066112202

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СКАЧАТЬ sie war schon geneigter, ihm zu verzeihen, daß er’s im Leben nicht weiter gebracht habe.

      „Ja,“ sagte er jetzt eben, „ich habe oft an ihn gedacht, draußen herum, an meinen Großvater, meine ich, den alten Schäfer Hollermann. Meinen Vater hab’ ich nie gekannt und meine Mutter war so still und gedrückt, wie meine Großmutter laut, stark und entschlossen. Da sagte er, als ich noch ein kleiner Knirps war, oft zu mir: „Komm, Bub, geh’ mit mir hinaus, das ist nichts für uns zwei. Geh’ mit mir auf die Weide.“ Da saß ich denn unter einem Weidenbusch und ringsum war die Welt ganz rund um mich her, ich saß ganz in der Mitte. Die Schafe grasten auf den Brachäckern, die Staren saßen ihnen auf den Rücken, und flogen ab und zu, und mein Großvater stand und lehnte sich auf seinen Stock und sah still um sich. Es muß im Frühling gewesen sein. Er sagte nie viel. Aber wenn er auf der Flöte blies, dann verstanden wirs Beide, der Schäferhund und ich. So war es uns auch zu Mut, gerade so. Das kann man nicht sagen. Ich habe die Flöte überkommen, ich habe sie noch.“

      Er schwieg wieder und sah still vor sich hin. Da kam Frau Judith in den Kreis. „Jetzt das von dem Stock,“ sagte sie, „das war das Geheimnisvollste, was man sich denken kann, das ist ein Märchen.“

      „Ja,“ sagte er, „das ist es auch, warum ich so viel an ihn dachte in der Welt draußen. Wenn die Leute so alles wußten, und sich stritten um das Wahre, und dabei so unruhig wurden und arm. Dann dachte ich an den Stock.

      Mein Großvater war so, was man einen unwissenden Menschen nennt. Er konnte weder lesen, noch schreiben, und auswendig gelernt hat er nur einen einzigen Vers aus dem Lied: „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende.“ Das verdroß die Großmutter und sie hielt ihm hundert Mal vor, daß sie ihn eigentlich lieber nicht hätte nehmen sollen, „wenn er,“ sagte sie, „nicht sonst solch ein guter Kerl wäre,“ und daß er eigentlich auch gar kein rechter Christ sei. Auch sagte sie des öfteren, daß sie über seine Zukunft in jenem Leben ihre starken Zweifel habe, da er ja nicht einmal den Katechismus könne, und daß sie sich jedenfalls werde einen anderen Platz aussuchen müssen. Dazu lächelte er aber nur vor sich hin und sah so nach seinem eisenbeschlagenen Schäferstock hin, der in der Ecke stand, als ob der es besser wisse. Und das war auch so, denn der Großvater legte ihn jeden Morgen quer vor sich hin auf die Erde, wenn er draußen war bei den Schafen. Und dann legte er die Hände zusammen und sprang darüber, ein, zwei, dreimal. Er sagte nichts dazu, ich habs oft genug gesehen. Aber sein Gesicht war feierlich und festlich dabei. Ich glaube doch, daß er den Schäferstock vor unsern Herrgott hingelegt hat und nachher wieder in Gottes Namen aufgehoben.

      Das ist so mit mir gegangen, und daß er dabei fröhlich war und lieb und ohne Streit. Und ich hätte manchmal sagen mögen, wenn sich einer abmühte mit Grübeln und Sorgen und dabei das Licht in seinen Augen erlosch: „Leg’ deinen Stock hin und spring’ in Gottes Namen drüber.“

      Da waren sie eine Weile still und stießen große Rauchwolken aus und sahen, ein jeder, in ihre vergangenen Wege hinein und die noch kommenden derer, die sie lieb hatten, und waren eine Gemeinde untereinander. Frau Judith nickte stark und fröhlich mit dem Kopf. Das war so ihre Art, wenn ihr innerlich etwas Frohes aufging. Und die Frau Rektorin schluckte tapfer den Antrieb hinunter, den sie einen Augenblick lang hatte, zu sagen, daß der alte Schäfer doch wohl ein halber Heide gewesen sein möchte, wenn auch vielleicht ein frommer.

      Ihr Töchterlein fiel ihr ein, das sie einst mit sechs Jahren in den Sarg gelegt hatte, unter lauter Blumen. Und ihr Gatte, wie der damals sagte: „Besseres kann keinem widerfahren, als nach einem Kinderleben zu sterben als ein Kind.“

      Und es wurde ihr warm ums Herz; da schwieg sie.

      **

       *

      Sie hatten sich viel zu erzählen aus den langen Jahren ihrer Lebenswanderung. Sie blieben nicht an den Kindertagen stehen. Das hatten sie gern gewollt. Aber das Leben trat vor sie hin und sagte: und dann, und dann. Da kamen sie über die Grenzen der Jugend hinaus, und sprachen von Lehr- und Wanderjahren, von Hochzeit, Geburt und Tod. Meister Nössel hatte sein Weib verloren, und Frau Judith ihren Mann, und der Rektor Cabisius seine Kinder, und der Korbmacher hatte weder das eine noch das andere jemals besessen. Da kamen sie in ihrer Rede nach und nach darauf, daß der Mensch in das Leben hereingeboren werde als ein junger Baum, den man ins Land pflanzt, und der des Sonnenscheins bedarf und der Stürme und all’ des Wechsels von Trockenheit und Erdfeuchte, Frost und Hitze, um daran stark zu werden und fruchtbar und eigenständig, „und,“ sagte der Rektor Cabisius, „seine Wurzeln tief und fest in den Grund zu versenken, den keiner sieht und jeder bedarf“. Aber sie machten nicht viele und kluge Worte darüber, denn sie waren einfache Leute, und was das Leben sie gelehrt hatte, das war mehr in die Tiefe gegangen, als in die Breite.

      Nur die Frau Rektorin sagte, aus ihrem wallenden Großmutterherzen heraus: „Aber den Kindern möchte man doch manches Harte ersparen. Wenn ich an Gertrud denke, und daß das Leben sie so rütteln sollte. Ich mag nicht daran denken. Sie ist so zur Freude geschaffen.“ „Darum wird sie auch zur Freude gelangen, das ist sicher,“ sagte ihr Mann herzlich und bot ihr über den Tisch herüber die Hand, und die andern sahen mit stillen Augen zu.

       Inhaltsverzeichnis

      So hatte Georgs und Gertruds Freundschaft angefangen; das lag ein paar Jahre zurück.

      Es war ein Drehorgelmann durchs Städtchen gezogen, ein alter Invalid mit einem lustig zwinkernden Gesicht und einem großen, roten Schnauzbart. Der rechte Ärmel hing ihm schlaff herunter, die Orgel trug er an einem Riemen, der über die Achsel ging; mit der linken Hand drehte er die Kurbel herum, da kamen die Lieder aus dem Kasten heraus, eins ums andere. Es waren deren vier. Ein Choral; da horchten die alten Leute auf und die ganz einfachen, frommen Gemüter. Sie unterbrachen ihre Hantierung, legten den schrillen, gellenden Tönen den Text unter, den sie aus dem Gesangbuch kannten und nickten beifällig. Und die alten Weiblein, die unter den knospenden Akazienbäumen des Marktplatzes ihre Enkel hüteten, summten mit, und suchten in der Rocktasche nach einem Stück Kupfergeld. Dann ein Marschlied, wie es die Soldaten singen, wann sie heimziehen vom Exerzierplatz. Da hörten die Gesellen in den Werkstätten auf zu hämmern, und den Mägden, die am Spültrog standen oder die Straße kehrten, schwellte sich die Brust. Denn mit dem Lied zogen ganze Regimenter an ihnen vorbei, junge, starke Burschen, so recht aus dem Vollen. Der Oberlehrer Hölzle in der Knabenvolksschule ging von Fenster zu Fenster und schloß alle Flügel. Denn nun schallte das dritte Lied herauf: „Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd.“ Und in der Schule wollte mit einem Mal alles jung werden. Was Geographie von Hindostan! Was Stromgebiet des Ganges! „Ins Feld, in die Freiheit gezogen.“ Die Buben rutschten hin und her und hatten nicht übel Lust, auszubrechen. Es war auch solch eine starke, frische Frühlingsluft draußen. Darum schloß Herr Hölzle die Fenster. Denn er dachte, daß fern von der Versuchung, fern von der Übertretung sei. Und dann fuhr er fort, von der Höhe des Himalaja zu sprechen. Gegenüber war die Lateinschule. Da bog sich ein grauer Kopf aus dem Fenster und ein heiteres Gesicht sah auf den Markt hinunter, wo der alte Kriegsmann seine Orgel drehte und ein immer feurigeres Tempo anschlug. Denn er war jetzt von einer ganzen Schar umgeben. Aus allen Häusern und Höfen und Nebengäßchen quoll es von Kindern, solchen, die noch in dem glücklichen, freien Alter standen. Sie drängten sich um ihn und als er weiter ging, die Hauptstraße entlang, schwärmten sie mit, stolpernd und keuchend vor Eifer, ihm ganz nah zu sein, und traten einander auf die Schuhbänder, bis einige fielen, und die Mütter hintendrein rannten, um ihre Sprößlinge unter ihre Augen zurückzuholen.

      Da gab die Oper Martha noch das vierte Lied her: „Ach, so fromm, ach, so traut“. Das schmolz nur so hin. Und die Amtsdienersfrau Ramsler putzte ihrem Jüngsten das Näschen mit der Schürze und schneuzte hernach sich selbst in Rührung. Denn das Lied hatte sie einst СКАЧАТЬ