Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
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»Wie im Himmel werden wir leben«, rief sie begeistert. »Du wirst mir alles zeigen, erklären, denn du kennst ja alles, du weißt alles, du bist doch ein Weltmann.« Sie lehnte ihre Stirn an Ambrosius’ Stirn und schaute ihm in die Augen. »Willst du?«
»Gewiss, gewiss«, erwiderte er unsicher. Anfangs hatte er mit großem Unbehagen zugehört. All das erschien ihm abenteuerlich und unmöglich. Aber Rosa war schön, während sie sprach. Die Augen leuchteten in Erregung und Tränen, über der Stirn das wirre blonde Haar, eine energische, eigensinnige Falte zwischen den Augenbrauen. Und wenn sie die Stirn krauszog, die Zähne aufeinanderbiss, die Lippen zu einem bösen, ungezogenen Lächeln aufwarf und Sally oder Lanin etwas recht Übles nachsagte, dann sah sie wie ein schöner wütender Bube aus; aber, gleich wieder, wenn sie Ambrosius gerade und flehend in die Augen schaute, wenn sie sich eng – eng an seine Brust schmiegte und, ihre Lippen ganz nah den seinen, fragte, ob er sie mitnehmen wolle, da war es wieder die umstrickende Milde und Süßigkeit der Frau. Je länger Ambrosius Rosa anblickte, um so möglicher erschien ihm der Plan. Warum auch nicht? Vor seinen Eltern fürchtete er sich nicht, er war ihnen schon einmal davongelaufen, und sonst? Was konnte ihn sonst noch halten? Rosa konnte er nicht verlassen, das wurde ihm mit jeder Minute klarer, er hätte sich ja schämen müssen, diesem tapferen Mädchen zu sagen: »Ich wage es nicht.« Rosa setzte ein so großes Vertrauen in ihn, sie bewunderte ihn und nannte ihn einen Weltmann; zeigte er sich jetzt kleinlich und zaghaft, dann war es vielleicht vorbei mit dieser Bewunderung und Liebe, und ihm entging dieses schöne, seltsame Wesen. Zum ersten Mal zweifelte er an seiner Unwiderstehlichkeit und lieh unbeholfen diesem Gefühl Worte, indem er flüsterte: »Bei Gott! Liebchen! Ich wusste es nicht, dass ich so stark in dich verliebt bin.«
»Also ja, Amby, morgen reisen wir?«
»Natürlich! Wohin aber?«
»Ja, wohin?« Rosa eilte zum Tisch. Unter den Büchern des Trödlers befand sich auch ein zerfetzter Schulatlas, und der sollte ihnen sagen, wo sie ihr Glück finden würden. Sie steckten ihre Köpfe über dem Atlas zusammen. »Nach Paris?« fragte Rosa.
»Ja –«, erwiderte Ambrosius gedehnt.
»Oder ist das zu weit? Übrigens würde ich dort immer an die französischen Stunden der Schank erinnert werden.« Mit Wollust fuhr Rosas Finger über die abgegriffenen, verblassten Blätter hin. »Vielleicht nach Wien?«
Kannte Ambrosius Wien? – Ja, er kannte es; der Gedanke an Wien machte ihn erröten, denn dorthin war er seiner ersten Liebe, der Kunstreiterin, gefolgt.
»Oh, Wien würde ich gern sehen. Also nach Wien – nicht?«
»Ja – gut!« Ambrosius erwärmte sich für diesen Plan und schlug sich allerhand peinliche Geldfragen, die sich melden wollten, aus dem Kopf. Er nahm Rosa wieder auf seine Knie und erzählte, beschrieb. Oh, sie sollte erfahren, was Leben heißt! Mit dem Hass gegen die Gegenwart, der beide beseelte, gegen die ruhigen Tage voll regelmäßiger Pflicht und Arbeit malten sie sich eine Zukunft von lauter Festen und Vergnügungen aus. Verwirrt und berauscht von unklaren Visionen eines bunten Glückes schloss Rosa die Augen und lauschte der heimlichen Stimme ihres Geliebten, die, ein warmer, wollüstiger Hauch, über ihre Wange lief. Es war finster geworden, durch die Vorhänge sah man den trübroten Lichtfleck der Laterne über dem Hoftor. Die Erbsenblüten auf dem Tisch begannen zu welken und mischten ihren starken süßen Duft in den faden Staubgeruch, der ringsum von den alten Sachen aufstieg. Draußen – im Laden – sang Ida mit heiserer Kinderstimme ein Lied, immer dieselbe scharfe, traurige Notenfolge.
Ambrosius schwieg. Die beiden Liebenden hatten sich in einen alles vergessenden Traum hineingewiegt. Rosa hatte keinen Gedanken, fast kein Bewusstsein ihrer selbst, als Ambrosius sie in seine Arme nahm und durch das Zimmer trug. Es war ihr, als würde sie von einem lauen, sanft rauschenden Wasser fortgetragen – weit fort. Draußen, im berauschenden Hauch der Sommernacht, hatte sie widerstanden, hier, in der engen, dumpfen Trödlerstube, gab sie sich hin. Der durchdringende süße Duft der Erbsenblüte betäubte sie halb – und in die schwüle Luft dieser Liebesstunde drängten sich – wie Fieberträume – die Visionen breiter, lärmender Straßen, hell erleuchteten Säle, und dann kam wieder, wie aus weiter Ferne, Idas scharfe, säuerliche Stimme mit ihrem schläfrigen Lied.
Am Abend hatte es zu regnen angefangen. Als Rosa auf die Straße hinaustrat, schlugen ihr große kalte Tropfen so heftig in das Gesicht, dass es schmerzte. Dazu fegte noch ein heftiger Wind durch die Gassen, rüttelte an den Blechschilden der Läden und ließ den Regen laut auf die Dächer trommeln. Rosa lief; dieses Pfeifen, Klatschen und Lärmen erschreckte sie; fast hätte sie den Weg nach Hause nicht gefunden, so wirre drehten sich die Gedanken in ihrem Kopf. Die feuchten Straßen, der zuckende Widerschein der Laternen auf den Plätzen, die Fenster, durch die man in friedlich erleuchtete Wohnstuben blickte, wo Familien ruhig um die Lampe versammelt waren – alles zog an Rosa vorüber wie blasse, fremde Traumbilder, wie jene Visionen, die sich so seltsam immer wieder in den Sinnenrausch hineingeschoben hatten. In ihren Ohren klang Idas Lied eigensinnig fort, und auf ihrem Körper glaubte sie noch Ambrosius’ heiße Hände und Lippen zu spüren. Atemlos rannte sie vorwärts, erst vor ihrer Wohnung blieb sie einen Augenblick stehen und sann – dann stieg sie langsam die Treppe hinan.
Der Flur und das Wohnzimmer waren finster, nur in der Küche brannte das Feuer. Durch die halb offene Türe sah Rosa Agnes stehen, sie musste gehört haben, dass die Türe geöffnet wurde, denn ohne sich umzuwenden fragte sie: »Rosa – bist du’s?«
»Ja«, erwiderte Rosa. Ohne Hut und Mantel abzulegen, blieb sie im Flur stehen und schaute in die Küche hinein. Dieser matt vom kleinen Herdfeuer erleuchtete Raum mit seinen dämmerigen СКАЧАТЬ