Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ ver­spro­chen, sie mit­zu­neh­men. Gut, sie war be­reit. Jetzt war Rosa im Zuge und fuhr eif­rig zu spre­chen fort. Mit der flin­ken, in­stink­ti­ven Men­schen­kennt­nis der Frau­en hat­te sie es bald er­kannt, dass das schwan­ke Ge­müt ih­res Ge­lieb­ten an­fangs vor je­der Tat zu­rück­schreck­te, um schließ­lich – ward es ge­drängt – sich wohl­ge­mut in al­les zu fü­gen. Sie leg­te ihm den Plan der Flucht vor. Sie woll­te den Va­ter über­re­den, mor­gen zu Klappe­kahl zu ge­hen. Ag­nes leg­te sich, wie Rosa sie kann­te, um neun Uhr zur Ruhe. Um neun Uhr also konn­te Rosa fort­ge­hen. Bis zur nächs­ten Ei­sen­bahn­sta­ti­on hat­ten sie drei Stun­den, und dann lag die gan­ze Welt vor ih­nen.

      »Wie im Him­mel wer­den wir le­ben«, rief sie be­geis­tert. »Du wirst mir al­les zei­gen, er­klä­ren, denn du kennst ja al­les, du weißt al­les, du bist doch ein Welt­mann.« Sie lehn­te ihre Stirn an Am­bro­si­us’ Stirn und schau­te ihm in die Au­gen. »Willst du?«

      »Ge­wiss, ge­wiss«, er­wi­der­te er un­si­cher. An­fangs hat­te er mit großem Un­be­ha­gen zu­ge­hört. All das er­schi­en ihm aben­teu­er­lich und un­mög­lich. Aber Rosa war schön, wäh­rend sie sprach. Die Au­gen leuch­te­ten in Er­re­gung und Trä­nen, über der Stirn das wir­re blon­de Haar, eine ener­gi­sche, ei­gen­sin­ni­ge Fal­te zwi­schen den Au­gen­brau­en. Und wenn sie die Stirn kraus­zog, die Zäh­ne auf­ein­an­der­biss, die Lip­pen zu ei­nem bö­sen, un­ge­zo­ge­nen Lä­cheln auf­warf und Sal­ly oder La­nin et­was recht Übles nach­sag­te, dann sah sie wie ein schö­ner wü­ten­der Bube aus; aber, gleich wie­der, wenn sie Am­bro­si­us ge­ra­de und fle­hend in die Au­gen schau­te, wenn sie sich eng – eng an sei­ne Brust schmieg­te und, ihre Lip­pen ganz nah den sei­nen, frag­te, ob er sie mit­neh­men wol­le, da war es wie­der die um­stri­cken­de Mil­de und Sü­ßig­keit der Frau. Je län­ger Am­bro­si­us Rosa an­blick­te, um so mög­li­cher er­schi­en ihm der Plan. Wa­rum auch nicht? Vor sei­nen El­tern fürch­te­te er sich nicht, er war ih­nen schon ein­mal da­von­ge­lau­fen, und sonst? Was konn­te ihn sonst noch hal­ten? Rosa konn­te er nicht ver­las­sen, das wur­de ihm mit je­der Mi­nu­te kla­rer, er hät­te sich ja schä­men müs­sen, die­sem tap­fe­ren Mäd­chen zu sa­gen: »Ich wage es nicht.« Rosa setz­te ein so großes Ver­trau­en in ihn, sie be­wun­der­te ihn und nann­te ihn einen Welt­mann; zeig­te er sich jetzt klein­lich und zag­haft, dann war es viel­leicht vor­bei mit die­ser Be­wun­de­rung und Lie­be, und ihm ent­ging die­ses schö­ne, selt­sa­me We­sen. Zum ers­ten Mal zwei­fel­te er an sei­ner Un­wi­der­steh­lich­keit und lieh un­be­hol­fen die­sem Ge­fühl Wor­te, in­dem er flüs­ter­te: »Bei Gott! Lieb­chen! Ich wuss­te es nicht, dass ich so stark in dich ver­liebt bin.«

      »Also ja, Amby, mor­gen rei­sen wir?«

      »Na­tür­lich! Wo­hin aber?«

      »Ja, wo­hin?« Rosa eil­te zum Tisch. Un­ter den Bü­chern des Tröd­lers be­fand sich auch ein zer­fetz­ter Schul­at­las, und der soll­te ih­nen sa­gen, wo sie ihr Glück fin­den wür­den. Sie steck­ten ihre Köp­fe über dem At­las zu­sam­men. »Nach Pa­ris?« frag­te Rosa.

      »Ja –«, er­wi­der­te Am­bro­si­us ge­dehnt.

      »Oder ist das zu weit? Üb­ri­gens wür­de ich dort im­mer an die fran­zö­si­schen Stun­den der Schank er­in­nert wer­den.« Mit Wol­lust fuhr Ro­sas Fin­ger über die ab­ge­grif­fe­nen, ver­blass­ten Blät­ter hin. »Vi­el­leicht nach Wien?«

      Kann­te Am­bro­si­us Wien? – Ja, er kann­te es; der Ge­dan­ke an Wien mach­te ihn er­rö­ten, denn dort­hin war er sei­ner ers­ten Lie­be, der Kun­strei­te­rin, ge­folgt.

      »Oh, Wien wür­de ich gern se­hen. Also nach Wien – nicht?«

      »Ja – gut!« Am­bro­si­us er­wärm­te sich für die­sen Plan und schlug sich al­ler­hand pein­li­che Geld­fra­gen, die sich mel­den woll­ten, aus dem Kopf. Er nahm Rosa wie­der auf sei­ne Knie und er­zähl­te, be­schrieb. Oh, sie soll­te er­fah­ren, was Le­ben heißt! Mit dem Hass ge­gen die Ge­gen­wart, der bei­de be­seel­te, ge­gen die ru­hi­gen Tage voll re­gel­mä­ßi­ger Pf­licht und Ar­beit mal­ten sie sich eine Zu­kunft von lau­ter Fes­ten und Ver­gnü­gun­gen aus. Ver­wirrt und be­rauscht von un­kla­ren Vi­sio­nen ei­nes bun­ten Glückes schloss Rosa die Au­gen und lausch­te der heim­li­chen Stim­me ih­res Ge­lieb­ten, die, ein war­mer, wol­lüs­ti­ger Hauch, über ihre Wan­ge lief. Es war fins­ter ge­wor­den, durch die Vor­hän­ge sah man den trü­b­ro­ten Licht­fleck der La­ter­ne über dem Hof­tor. Die Erb­sen­blü­ten auf dem Tisch be­gan­nen zu wel­ken und misch­ten ih­ren star­ken sü­ßen Duft in den fa­den Staub­ge­ruch, der rings­um von den al­ten Sa­chen auf­stieg. Drau­ßen – im La­den – sang Ida mit hei­se­rer Kin­der­stim­me ein Lied, im­mer die­sel­be schar­fe, trau­ri­ge No­ten­fol­ge.

      Am­bro­si­us schwieg. Die bei­den Lie­ben­den hat­ten sich in einen al­les ver­ges­sen­den Traum hin­ein­ge­wiegt. Rosa hat­te kei­nen Ge­dan­ken, fast kein Be­wusst­sein ih­rer selbst, als Am­bro­si­us sie in sei­ne Arme nahm und durch das Zim­mer trug. Es war ihr, als wür­de sie von ei­nem lau­en, sanft rau­schen­den Was­ser fort­ge­tra­gen – weit fort. Drau­ßen, im be­rau­schen­den Hauch der Som­mer­nacht, hat­te sie wi­der­stan­den, hier, in der en­gen, dump­fen Tröd­ler­stu­be, gab sie sich hin. Der durch­drin­gen­de süße Duft der Erb­sen­blü­te be­täub­te sie halb – und in die schwü­le Luft die­ser Lie­bes­stun­de dräng­ten sich – wie Fie­ber­träu­me – die Vi­sio­nen brei­ter, lär­men­der Stra­ßen, hell er­leuch­te­ten Säle, und dann kam wie­der, wie aus wei­ter Fer­ne, Idas schar­fe, säu­er­li­che Stim­me mit ih­rem schläf­ri­gen Lied.

      Am Abend hat­te es zu reg­nen an­ge­fan­gen. Als Rosa auf die Stra­ße hin­austrat, schlu­gen ihr große kal­te Trop­fen so hef­tig in das Ge­sicht, dass es schmerz­te. Dazu feg­te noch ein hef­ti­ger Wind durch die Gas­sen, rüt­tel­te an den Blech­schil­den der Lä­den und ließ den Re­gen laut auf die Dä­cher trom­meln. Rosa lief; die­ses Pfei­fen, Klat­schen und Lär­men er­schreck­te sie; fast hät­te sie den Weg nach Hau­se nicht ge­fun­den, so wir­re dreh­ten sich die Ge­dan­ken in ih­rem Kopf. Die feuch­ten Stra­ßen, der zu­cken­de Wi­der­schein der La­ter­nen auf den Plät­zen, die Fens­ter, durch die man in fried­lich er­leuch­te­te Wohn­stu­ben blick­te, wo Fa­mi­li­en ru­hig um die Lam­pe ver­sam­melt wa­ren – al­les zog an Rosa vor­über wie blas­se, frem­de Traum­bil­der, wie jene Vi­sio­nen, die sich so selt­sam im­mer wie­der in den Sin­nen­rausch hin­ein­ge­scho­ben hat­ten. In ih­ren Ohren klang Idas Lied ei­gen­sin­nig fort, und auf ih­rem Kör­per glaub­te sie noch Am­bro­si­us’ hei­ße Hän­de und Lip­pen zu spü­ren. Atem­los rann­te sie vor­wärts, erst vor ih­rer Woh­nung blieb sie einen Au­gen­blick ste­hen und sann – dann stieg sie lang­sam die Trep­pe hin­an.

      Der Flur und das Wohn­zim­mer wa­ren fins­ter, nur in der Kü­che brann­te das Feu­er. Durch die halb of­fe­ne Türe sah Rosa Ag­nes ste­hen, sie muss­te ge­hört ha­ben, dass die Türe ge­öff­net wur­de, denn ohne sich um­zu­wen­den frag­te sie: »Rosa – bist du’s?«

      »Ja«, er­wi­der­te Rosa. Ohne Hut und Man­tel ab­zu­le­gen, blieb sie im Flur ste­hen und schau­te in die Kü­che hin­ein. Die­ser matt vom klei­nen Herd­feu­er er­leuch­te­te Raum mit sei­nen däm­me­ri­gen СКАЧАТЬ